Hamburg. Jedes Kilo mehr erschwert den Weg zurück, sagt Ernährungs-Doc Matthias Riedl. Wie man seinen Corona-Speck konkret bekämpfen kann.

Um Modelmaße geht es dem Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl überhaupt nicht, wenn er über den idealen Bauchumfang spricht. Aber der Bauchumfang sei eben „viel wichtiger bei der Einschätzung des Übergewichtsrisikos als der sogenannte Body-Mass-Index. Bei einer gesunden Frau sollte der Bauchumfang unter 80 Zentimetern liegen, über 88 ist es dann zu viel. Bei Männern sind es 94 Zentimeter, und 102 sind die obere Grenze.“

Tatsächlich hätten die meisten Menschen eine zu üppige Leibesmitte, „das ist eine Seuche, danach müsste man viel mehr gehen, aber es gibt darüber keine Zahlen. Arnold Schwarzenegger etwa hatte einen BMI von 33 in seiner besten Zeit, und das ist natürlich gar nicht aussagekräftig“, sagt der Leiter des Medicums Hamburg.

Gesunde Ernährung: BMI oft nicht aussagekräftig

Mit einem Body-Mass-Index von 30 gelte man bereits als adipös, 25 bis 30 gelten als Übergewicht. „Es kommt aber darauf an, wo das Fett sitzt“, sagt der Ernährungs-Doc. Es gebe normalgewichtige Übergewichtige, die trotzdem krank seien, weil sie Fett im Bauch und in den Organen einlagern.

„54 Prozent der Gesellschaft sind zu dick, Männer sind stärker betroffen als Frauen. Je älter die Männer werden, desto übergewichtiger werden sie. Zwischen 30 und 40 ist die Gewichtszunahme enorm, also wenn sie heiraten, Karriere machen. Und bei den über 65-Jährigen sind 71 Prozent übergewichtig oder adipös. Es nimmt kontinuierlich ab 30 Jahren zu“, sagt der Internist, Diabetologe und Ernährungsmediziner.

„Corona hat die Selbstwirksamkeit beschädigt"

Bei den Frauen steige das Übergewicht auch ab 30 Jahren an, zwischen 45 bis 64 Jahren seien 50 Prozent übergewichtig oder adipös, und ab 65 Jahren seien knapp 60 Prozent zu dick. „Frauen kriegen es etwas besser hin“, sagt Riedl.

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie sei es jetzt besonders wichtig, sein Gewicht auf den Prüfstand zu stellen, sagt der Experte. „Corona hat die Selbstwirksamkeit beschädigt und suggeriert, dass wir hilflos ausgeliefert sind. Jetzt ist der Zeitpunkt gegenzusteuern. Jetzt müssen wir zurückschlagen.“ Die Fitnessstudios seien geöffnet, und auch Bewegung an der frischen Luft mache jetzt im Frühling wieder Spaß.

Ernährung muss dauerhaft umgestellt werden

Je mehr man wiege, desto schwieriger sei es, die Pfunde wieder loszuwerden. „Der Körper merkt sich mit jedem Rekord den neuen Wert als Ideal“, warnt Riedl und wiederholt sein Credo: „Die Ernährung muss dauerhaft umgestellt und neu strukturiert werden, denn mit einem einzigen Franzbrötchen kann man eine Stunde Kraftsport neutralisierten. Es muss also an das Essen rangegangen werden. Was gegessen wird, wann gegessen wird und vor allem die Frage, warum gegessen wird, ist entscheidend.“

Der Ernährungs-Doc erklärt auch die Sollwert Theorie: „Das Gewicht ist zwar stark genetisch bedingt und wird vom Körper immer angesteuert. „Wenn er zunimmt, dann sagt er sich, die größte Gefahr ist das Verhungern, ich wiege jetzt 102 Kilo, dann nehme ich das als neuen Sollwert. Nach der Pandemie ist der Sollwert bei manchen möglicherweise fünf bis zehn Kilo höher. Deshalb ist jetzt ein guter Zeitpunkt, und nicht abwarten, bis der Sollwert noch höher ist.“

Stillstand muss ausgehalten werden

Werde der Sollwert unterschritten, dann produziere der Körper ganz langsam Hungerhormone. „Das wird dann so schlimm, dass die Gewichtsabnahme erst schnell ging und plötzlich stagniert. Und der Körper reduziert seinen Energieverbrauch um zehn bis 15 Prozent“, so Riedl.

Zu diesem Zeitpunkt komme bei vielen die Frustration. Deshalb sei es dann ganz wichtig, dranzubleiben, denn diese kleine Delle beim Abnehmen müsse man aushalten und nicht aufhören, weil man denke, es habe keinen Sinn mehr. „Wenn man das als Versagen fehldeutet, hört man auf. Wenn man das aber verstanden hat, bleibt man dabei“, sagt der Ernährungsmediziner.

Etwa acht Prozent der Hamburger haben Diabetes

„Die größten Gefahren, die ein Mensch kennt, sind, an Infektionen zu sterben, gefressen zu werden und zu verhungern. Darin sind wir richtig gut trainiert.“ Corona gebe uns das Gefühl des Kontrollverlusts, sodass die Selbstwirksamkeit sinken könne, sagt Riedl, „doch genau jetzt sollten wir zurückschlagen und eine Ernährungsumstellung anfangen“.

Wer zu viel Gewicht zulegt, gerät zudem in Gefahr, an Diabetes zu erkranken. In Deutschland gebe es regionale Unterschiede bei der Betroffenheit mit dieser Krankheit, sagt der Ernährungsmediziner. „In Hamburg sind es etwa acht Prozent, am Starnberger See sechs Prozent und in Sachsen/Thüringen 15 Prozent.“ Bundesweit liege die Quote laut Deutscher Diabetes-Gesellschaft bei etwa 9,5 Prozent – Tendenz steigend. „Wir gehen davon aus, dass wir noch zwei bis drei Prozent Dunkelziffer haben.“

Gesunde Ernährung: Analyse als erster Schritt

Vor einer Ernährungstherapie sei eine Analyse entscheidend. Dafür empfiehlt der Internist ein Ernährungstagebuch. „Es gibt dafür Tagebuchvorlagen oder unsere myFoodDoctor-App, bei der man auch eine professionelle Analyse und ein anschließendes Coaching erhalten kann.“

Wichtig sei jetzt die sogenannte artgerechte Ernährung. „Sie ist die Basis einer gesunden Kost, die Übergewicht kuriert: 500 Gramm Gemüse pro Tag, ein Gramm pro Kilo Körpergewicht Eiweiß pro Tag, Kohlenhydratträger sparsam dosieren und idealerweise als Vollkorn essen. Diese Mischung sättigt maximal und erspart das unsinnige Kalorienzählen“, sagt der Ernährung-Doc.