Hamburg. Viele Patienten erhoffen sich von Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl Vergebung für ihre Ernährungssünden – wie von einem Pastor.

Den Blick auf das Handy oder den Computer gerichtet, während man sich ein belegtes Brötchen oder einen Schokoriegel in den Mund schiebt. Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl weiß, dass solche Situationen bei vielen Menschen Standard sind.

Der Leiter des Medicums Hamburg plädiert jedoch für achtsames Essen: „Das bedeutet, dass wir die Mahlzeiten bewusst zu uns nehmen. Man soll Ablenkung vermeiden und dem Essen in diesem Moment seine volle Aufmerksamkeit schenken. Man soll außerdem mit allen Sinnen essen, wahrnehmen, wie das Essen riecht und schmeckt. Das Auge isst mit“, sagt der Internist, Diabetologe und Ernährungsmediziner.

Ernährungs-Doc: Mehr Achtsamkeit im Alltag

Nur wer sich auf sein Essen konzentriere, merke auch, ob sich das Körpergefühl sowie Hunger und Sättigung während der Mahlzeit verändern. „Man sollte versuchen, in kleinen Schritten mehr Achtsamkeit in den Alltag einzubauen“, sagt Riedl. Dazu gehört:

  • Ablenkung beim Essen vermeiden,
  • sich genügend Zeit für Mahlzeiten nehmen,
  • eine angenehme Essensatmosphäre schaffen,
  • üben, den Geruch und Geschmack des Essens bewusst wahrzunehmen,
  • jeden Bissen 20- bis 30-mal zu kauen, denn sonst bekomme man leicht Bauchschmerzen, und man nehme die gesunden Stoffe weniger auf, da unter anderem Ballaststoffe gar nicht freigesetzt würden und damit auch nicht gut wirken könnten. „Ich habe Patienten, vor allem Männer, die beißen einmal, zweimal rein, dann schlucken sie“, sagt Riedl,
  • für jede Mahlzeit mindestens zehn Minuten Zeit nehmen,
  • sich bewusst machen, was auf dem Teller liegt, ebenso Farben, Struktur und Duft,
  • wenn möglich, nach dem Essen eine kurze Pause einlegen oder einen kurzen Spaziergang machen,
  • mindestens eine Mahlzeit pro Tag in Ruhe mit anderen Menschen zu sich nehmen.

„Die Nahrungsaufnahme von Menschen war immer etwas Gemeinsames. Das ist ein Sammelpunkt, eine Festigung der sozialen Gemeinschaft, gibt Entspannung. Wir essen langsamer, und Kinder lernen das Essen auch in Gemeinschaft. Sie lernen am Vorbild“, sagt der Ernährungs-Doc.

Ernährung: Achtsamkeit "steigert das Wohlbefinden"

Wer seine Mahlzeiten achtsam zu sich nehme, integriere automatisch mehr Achtsamkeit in seinem Leben. „Das steigert das Wohlbefinden. Beim achtsamen Essen lernt man, auf die Gedanken und Emotionen, die man mit Essen verbindet, zu achten und positiv zu ändern. Damit lernt man auch wieder, besser zu spüren, wann man hungrig oder satt ist und was der Körper braucht.“

Viele seien aus der Kindheit so geprägt, den Teller leer zu essen. „Diese frühkindlichen Erfahrungen leben in uns fort. Für diejenigen, die Übergewichtsprobleme haben, ist das ein Drama. Ich habe das auch noch in mir, ich esse immer den Teller leer, auch wenn ich nicht mehr mag. Wenn meine Frau nicht aufisst, muss ich diesen Drang ganz bewusst unterdrücken, auch noch ihren Teller leer zu essen. Ich finde es immer schade, etwas wegzuwerfen.“

Ernährungs-Doc: Süßigkeiten sollten zelebrieren werden

Bei Kindern könnte man das Sättigungsgefühl ruinieren-- und das für das ganze Leben. „Das ist Teil unserer Therapie, diese Sperre wieder herzustellen.“ Wer mal über die Stränge schlägt, sollte versuchen, das zu kompensieren, rät Riedl. Wie macht man das? „Wenn ich mal Schokolade esse, will ich das ja nicht mit schlechtem Gewissen machen, denn dann neige ich dazu, es zu verdrängen und mehr Schokolade zu essen. Der Umgang mit Süßigkeiten muss entspannt sein, man sollte sie aber nicht nebenbei essen“, rät der Experte.

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„Man sollte es zelebrieren. Ich habe ja mein Zuckerkonto, ich kann es auch belasten, ganz bewusst, aber ich nehme mir vor, auf andere Zuckermahlzeiten zu verzichten.“ Sinnvoll sei – insbesondere bei Übergewicht – Schokolade gleich nach der Hauptmahlzeit zu essen. „Es hört sich banal an, aber genau solche Dinge sind die kleinen Veränderungen.“

Gesunde Ernährung: Schlechtes Gewissen unbegründet

Für das schlechte Gewissen gebe es gar keinen Grund. Es verhindere nur die Auseinandersetzung mit der eigenen Ernährung. Das sei dann schuldbeladen, „fast wie bei der katholischen Kirche mit der Sexualität. Das ist dann alles mit Scham behaftet und heimlich, keiner soll es sehen. Diese Leute kommen dann zu mir und legen ihre Beichte ab, und dann wollen sie von mir die Vergebung.“ Das sei ihnen wichtig.

„Ich vergebe ihnen auch, aber ich muss aufpassen, dass das nicht zum Ritual wird. Ich sage ihnen, Kopf hoch, und wir klären, wie man mit diesen Gelüsten umgeht, wie der Pastor.“