Hamburg. Ernährungs-Doc Matthias Riedl erklärt das „Tellerprinzip“, warum man häufig in Gesellschaft essen soll und wie man immer satt wird.

Es gibt reichlich Fehler, die Menschen beim Essen machen, häufig aus Unkenntnis. „Unsere Gesellschaft ist, was Ernährungswissen anbelangt, im Mittelalter, deshalb haben Diäten und Ernährungsgurus leichtes Spiel. Viele Menschen kennen die banalen Basics der Ernährung nicht. Aber wir haben jetzt die Fakten, und die müssen wir verbreiten“, sagt Dr. Matthias Riedl, Ernährungsmediziner und Leiter des Medicums Hamburg. Der Ernährungs-Doc listet die acht häufigsten Fehler auf.

1. Zu hoher Zuckerkonsum

„Besonders durch süße Snacks, Getränke und versteckten Zucker – beispielsweise in Fertiggerichten. Maximal 25 Gramm Zucker am Tag sollten nicht überschritten werden. Viele Menschen nehmen über 100 Gramm zu sich.“

2. Zu häufiges Essen – also mehr als drei Mahlzeiten am Tag

„Nur zwei bis drei Mahlzeiten am Tag essen, Pausen zwischen den Mahlzeiten einhalten. Kleinigkeiten essen vermeiden und, wenn es doch nötig ist, zu gesunden Snacks statt zu Süßem greifen. Dabei gilt jede Zwischenmahlzeit als Mahlzeit – auch der Milchkaffee zählt dazu.

Das Problem ist, dass dann Insulin produziert werden muss, weil der Blutzucker erhöht wurde. Insulin ist der Dickmacher. Man muss versuchen, durch seltene, große Mahlzeiten den Blutzuckerspiegel niedrig zu halten. Deshalb ist auch die Milch im Tee problematisch. Man würde vielleicht sagen, das ist doch nur ein Schuss, aber es ist eine kleine Sache mit großer Auswirkung.“

3. Zu wenig Gemüse

„Der Gemüseanteil bei unseren Mahlzeiten ist viel zu niedrig. Männer essen im Schnitt 100 Gramm Gemüse, Frauen 200 Gramm, aber 500 Gramm sind empfehlenswert. Gemüse nicht durch Obst ersetzen – und wenn, dann nur durch zuckerarmes.“

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4. Zu wenig Eiweiß

„Der Eiweißanteil in der Ernährung ist nicht angepasst, Frauen essen häufig zu wenig, Männer häufig zu viel und vor allem zu viel tierisches Eiweiß. Jede Mahlzeit sollte eine Proteinquelle beinhalten. Vor allem Hülsenfrüchte werden meist zu wenig verzehrt. Protein sättigt!“

5. Zu wenig trinken

„Viele Mensch trinken zu wenig. Unser Zentrum für Durst und für Appetit liegen ganz dicht beieinander, und viele verwechseln das. Wenn ich zu wenig trinke, habe ich mehr Appetit, mir etwas in den Mund zu stecken.“

6. Zu hoher Kohlenhydratanteil

„Wir nehmen einen zu hohen Anteil an leicht verdaulichen Kohlehydraten wie Feinmehlprodukte und Backwaren oder Nudeln zu uns – gemessen an der Bewegung. Kalorienreiche zuckerhaltige Getränke vermeiden, weniger Süßes essen und von Nudeln und Reis die Voll­kornversionen bevorzugen. Wenn ich Leistungssportler bin, kann ich davon ganz viel essen, wenn ich den ganzen Tag im Büro sitze, muss ich das reduzieren. Da passt das Verhältnis nicht.“

Dr. Matthias Riedl ist als NDR- Ernährungs-Doc und Buchautor deutschlandweit bekannt.
Dr. Matthias Riedl ist als NDR- Ernährungs-Doc und Buchautor deutschlandweit bekannt. © Andreas Sibler

7. Zu wenig Achtsamkeit beim Essen

„Viele Menschen essen nebenbei – beim Fernsehen, beim Arbeiten, da schaufelt man unheimlich viel in sich rein. Das Mittagessen wird kurz unterwegs zwischen Tür und Angel eingeschoben, anstatt dass man dieses wie einen festen Termin wahrnimmt und sich genug Zeit nimmt. Auch das Tippen und Lesen an Smartphone oder Tablet und Fernsehen kann ablenken. Wer nebenbei isst, nimmt mehr Energie auf und isst schneller. Wer schneller isst, steigert seine Kalorienaufnahme. Das Essen von kleinen Tellern reduziert die Kalorienaufnahme, besonders wenn sie rot sind, dazu gibt es Studien. Man sollte immer achtsam essen und sich dabei ausreichend Zeit lassen.“

8. Ungünstige Fette

„Man sollte weniger tierische Fette (abgesehen von Fisch) und mehr pflanzliche Fette konsumieren. Außerdem werden zu wenig gesunde Omega-3-Fettsäuren gegessen, die beispielsweise in Nüssen oder Fisch zu finden sind. 90 Prozent der Bevölkerung haben einen Mangel an gesunden Fetten, was wiederum Zivilisationskrankheiten fördert sowie die Alterung und Arterienverkalkung.“

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Ein Beispiel an den Franzosen nehmen

Betrachtet man nun beispielsweise die Gewohnheiten von Franzosen, die viel Baguette essen, und von Italienern, die sehr viel Pasta zu sich nehmen – dort gibt es doch nicht nur ungesunde Dicke? „Sie benutzen das Weißbrot, um ihr Olivenöl aufzusaugen nach dem Essen“, sagt der Ernährungs-Doc. „Und wenn man überlegt, wie Franzosen essen: Sie essen eine Vorsuppe, ein Hauptgericht und eine Nachspeise. Sie essen sehr langsam, sehr achtsam und nicht nebenbei, wie das in Deutschland oft passiert. Sie lassen sich Zeit dabei, und dann ist auch das Weißbrot kein Pro­blem, denn in großen Mahlzeiten geht es einfach unter. Auch den Milchkaffee vom Nachmittag sollte man vorziehen und gleich danach trinken. Damit habe ich eine Riesenmahlzeit, habe viele Öle drin, damit wird der Blutzucker abgemildert, ich habe ausreichend Eiweiß drin, viel Gemüse, das gehört ja auch zur südländischen Ernährung. In diesem Kontext sind dann auch das Weißbrot und die Pasta kein Problem.“

Wie kann man die Fehler denn vermeiden? „Ich führe am besten ein Tagebuch und klopfe die Einträge nach dieser Checkliste ab“, sagt der Internist und Diabetologe. Möglicherweise stelle man dann fest, dass man in allen acht Bereichen ein Problem habe. „Dann muss ich priorisieren. Alles auf einmal geht nicht. Man muss kleine Schritte angehen. Es ist von der Stanford Universität gut belegt, dass kleine Schritte besser sind als große – also der Kontraentwurf zur großen Diät. Bei jeder Verhaltensveränderung muss man sich zwei, drei Dinge aussuchen, die man angeht.“

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Vielleicht könnte man mit dem Zuckerfasten anfangen, rät Riedl. Der Mensch sei ein Gewohnheitstier, und 90 Prozent seiner Verhaltensweisen seien automatisiert. „Wenn ich in allen acht Fehlerbereichen gegen lauter Automatisierungen angehen muss, dann brauche ich Urlaub. Das schafft man nebenbei nicht.“ Wer Tagebuch führt, könne sehr schnell feststellen, wie hoch sein Zuckerkonsum ist. Für Diabetiker sei es dabei sehr wichtig, bei Obst vorsichtig zu sein – wegen des Fruchtzuckers. Menschen sollten grundsätzlich nicht zu viel Obst essen, das viel Zucker enthält, so Riedl.

„Viele haben ein grobes Bild von gesunder Ernährung, aber durch Ernährungsberatung wird dieses Bild verfeinert, und individualisierte Maßnahmen werden vermittelt“, sagt der Experte. Er vergleicht es mit einer Geldanlage: „Sie können Ihr Geld auch selber am Aktienmarkt anlege, und Sie werden auch einigermaßen Erfolge haben, wenn Sie sich gut informiert haben, aber ein Profi macht es ein bisschen besser.“

Liste kann beim Abnehmen unterstützen

Wer eine Ernährungstherapie beginne, müsse sich zuerst klarmachen, ob es ihm ums Abnehmen geht oder ob er bereits an einer ernährungsbedingten Erkrankung leidet. „Wenn ich nur Abnehmen möchte, kann ich nach dieser Liste gehen. Ich kann es auch noch unterstützen durch das 20:80-Prinzip, also 20 Prozent der Ernährung zu ändern.“ Wer aber ernährungsbedingte Probleme habe, solle einen Profi zurate ziehen, sagt Riedl. Dafür gebe es Schwerpunktpraxen für Ernährungsmedizin mit Ernährungsmedizinern und -therapeuten, die die Krankheit richtig diagnostizieren und gucken, ob die Medikamente passen, und dann eine Ernährungstherapie starten. „Das ist für Leute wichtig, die mehr als ein Problem haben.“

Wer nur abnehmen wolle, solle einmal alles aufschreiben, etwa in vorgefertigten 20:80-Tagebüchern, und werde dann angeleitet. „Die Ehrgeizigen können mehr machen. Aber alles, was man macht, darf niemals gegen die Lebensqualität verstoßen, weil ich es dann nicht auf Dauer durchhalte, es sei denn, ich bin ein Asket. Aber das sind die meisten nicht, die meisten sind Hedonisten“, so Riedls Erfahrung.

„Der Mensch muss satt sein“

Zwei Dinge dürfe er als Ernährungsmediziner nicht antasten: „Die Lebensqualität, und der Mensch muss satt sein.“ Diese Sättigung könne man durch die richtige Eiweißmenge (etwa ein Gramm pro Kilo Körpergewicht pro Tag) erreichen. Man sollte eher nicht Kalorien zählen, denn die seien bei jedem Lebensmittel individuell.

Bei den Lebensmittelgruppen gebe es ein ganz einfaches System: „Es liegt bei Fleisch, Fisch, Nüssen, Käse bei etwa 20 Prozent. Wichtig ist, dass jede Hauptmahlzeit so groß ist wie bei den Südländern, dass sie die richtige Menge Eiweiß enthält und viel Volumen, nämlich Gemüse. Beides zusammen belastet den Blutzucker kaum. Wenn man das noch mit guten Ölen mixt, wird die Kurve noch viel flacher“, so der Ernährungsmediziner. Eiweiß, Gemüse, Öl – das sei beispielsweise typische mediterrane Kost mit Antipasti, die in Öl schwimmen. Aber man sollte vorsichtig sein mit Reis, Nudeln, Kartoffeln und Brot, wenn man abnehmen will, rät er.

Gesunde Ernährung: Menschen essen wenig Gemüse

Um sich ausgewogen zu ernähren, schlägt Riedl das Tellerprinzip vor. Dabei sollten 50 Prozent des Tellers mit Gemüse bedeckt sein, 30 Prozent mit sättigendem Eiweiß (Hülsenfrüchte, Fisch, mageres Fleisch) und 20 Prozent mit einer ballaststoffreichen Beilage (Hirse, Vollkornnudeln, Kartoffeln). Also die Sättigungsbeilage wirklich nur als Beilage? „Die Sättigungsbeilage hat den komplett falschen Namen. Kartoffeln, Reis, Nudeln, das sind die Dickmacher, das ist Brennstoff zum Verbrennen. Leistungssportler brauchen davon viel, aber wenn man das nicht braucht, sind Gemüse und Eiweiß die Sattmacher.

Und wieso gibt es die landläufige Meinung, dass man von Gemüse nicht satt wird? „Weil die Menschen viel zu wenig Gemüse essen. Wenn ich die Gemüsemenge bei Grünkohl im Auge habe, ist es die einzige deutsche Mahlzeit, wo die Menge stimmt.“