Hamburg. Ernährungs-Doc Matthias Riedl plädiert für das 20:80-Prinzip. Wie man mit kleinen Veränderungen Großes bewirken kann.

Verbote sind kontraproduktiv. „Besser ist es, wenn man nach dem 20:80 Prinzip geht“, sagt Dr. Matthias Riedl. Der NDR-Ernährungs-Doc rät, 20 Prozent seines Essverhaltens zu ändern und damit 80 Prozent seiner Ziele zu erreichen. Doch wie ist das zu verstehen? Verändert man 20 Prozent und dann können die restlichen 80 Prozent mit Fastfood bleiben? „So ist es natürlich nicht gemeint“, sagt Riedl.

Üblicherweise essen Menschen Frühstück, Mittag und Abendessen und zwischendurch gibt es für viele Kaffee und ein Stück Kuchen oder einen Schokoriegel. Ideal sind laut dem Internisten und Diabetologen aber zwei bis drei Mahlzeiten pro Tag – ohne Snacks dazwischen. Um sich ausgewogen zu ernähren, sollte man sich am Tellerprinzip orientieren, sagt der Ernährungs-Doc. Dabei sollten 50 Prozent des Tellers mit Gemüse bedeckt sein, 30 Prozent mit sättigendem Eiweiß (Hülsenfrüchte, Fisch, mageres Fleisch) und 20 Prozent mit einer ballaststoffreichen Beilage (Hirse, Vollkornnudeln, Kartoffeln etc.).

Ernährungs-Doc klärt über Fett-Mythos auf

Und was ist mit Fett? Macht Fett dick? „Das ist ein Mythos“, sagt Riedl. „Der Makronährstoff ist stattdessen ein essenzieller Bestandteil einer gesunden Ernährung. Der Körper kann bestimmte Fettsäuren nicht selbst herstellen und ist somit darauf angewiesen, diese aus der Nahrung zu bekommen.“ Lebensmittel mit vielen gesunden, ungesättigten Fettsäuren sättigten gut und könnten so beim Abnehmen helfen.

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Und wie steht es mit tierischen Fetten? „Auch die machen nicht dick. Ich würde sie nicht empfehlen, weil die artgerechte Ernährung des Menschen pflanzlich ist und deshalb ist tierisches Fett nicht so ideal“, sagt der Experte und verweist auf die Predimed-Studie, bei der in Spanien über sieben Jahre lang die Wirkung von Olivenöl getestet wurde. Eine Gruppe bekam einen Liter Olivenöl pro Woche und 30 Gramm Nüsse pro Tag, die Vergleichsgruppe lebte fettarm. Die Probanden waren kranke Leute mit Arterienverkalkung.

Weniger körperliche Probleme bei guten Fetten

„Nach diesen sieben Jahren hat sich herausgestellt, dass die mit dem Olivenöl weniger Herzinfarkte hatte, weniger Schlaganfälle, weniger Krebs und weniger Gewicht“, sagt Riedl. Es handle sich um eine der sehr zuverlässigen Studien in dem Bereich und damit sei der Mythos vom schlechten Fett eindeutig widerlegt. „Öl zum Gemüse macht uns länger satt. Und wenn Homo Sapiens länger satt ist, dann isst er keinen Scheiß“, sagt Riedl.

Deshalb halte er auch nichts von Diäten. Alles, was darum gehe, Energie einzusparen und weniger zu essen, halte man nicht lange durch. Das Problem sei, dass dabei auch die Muskulatur abnehme. „Wenn man jung ist, baut man sie wieder auf, für Ältere ist das schwierig.“

Ernährungs-Doc empfiehlt Sport

Der Ernährungs-Doc erzählt von einer ehemaligen Fernsehmoderatorin, die geklagt hatte, sie komme mit ihren Einkaufstaschen die Treppen nicht mehr hoch. Das sei die Folge von vielen Diäten und Muskelschwund. Die richtige Reaktion wäre in so einem Fall Kraftsport und gesunde Ernährung. „Aber was hat sie gemacht? Sie ist ins Erdgeschoss gezogen. Das ist einfacher, aber falsch“, sagt Riedl.

Über Jahrzehnte sei es richtig gewesen, sich energiesparend zu verhalten, weil man nicht genug zu essen hatte. „Und wenn es etwas gab, das Energie bedeutete, nämlich etwas Süßes, dann hat man es gegessen und zwar, soviel es ging. Dieses Prinzip gegen das Verhungern wird uns in unserer ernährungsfeindlichen Umgebung zum Verhängnis“, sagt der Ernährungsexperte. „Es ist wichtig, zu verstehen: Wir sind nicht dick oder fehlernährt durch Haltlosigkeit, sondern fehlernährt durch eine falsche Ernährungsumgebung. Das heißt, ich bin nicht schuld.“

Wie man Übergewicht verliert

Wenn man einen Hamburger mit einem Ernährungsproblem etwa in den Urwald stecken würde, dann wäre er seine Probleme bald los und auch sein Übergewicht, ist der Ernährungsmediziner überzeugt.

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Wie steht es um Low Carb und Low Fat, High Protein und Low Protein? „Das ist keine Diät, man hat aber diese verschiedenen Richtungen wissenschaftlich beleuchtet. Dabei ist festgestellt worden, dass es nicht darauf ankommt, ob man Low Carb oder Low Fat esse, sondern der individuelle Umbau ist wichtig“, sagt Riedl. Menschen mit Diabetes profitierten sicher von Low Carb, aber für alle anderen sei es nicht sinnvoll, sich auf Low Carb oder Low Fat zu fokussieren.

Welche Fehler macht man in der Ernährung?

Entscheidend sei zu gucken, welche Fehler man in der Ernährung macht. Bessere Kohlenhydrate, das seien solche aus Gemüse und Vollkorn, seien für alle gut, aber für Diabetiker sogar lebensrettend. „Diese groben Überschriften haben uns lange in die Irre geführt. Auch bei den Fachgesellschaften macht sich die Erkenntnis breit, dass man an den falschen Schauplätzen kämpfte. Man muss einfach gucken, was macht der Mensch falsch und welche Erkrankung hat er.“

Für Diabetiker würde er daher Low Carb und High Fat empfehlen, aber gesunde Fette, und nicht High oder Low Protein, sondern die richtige Proteinmenge. Low Carb könne die Gesundheit verbessern und gleichzeitig beim Abnehmen helfen. „Bei dieser Ernährungsform wird häufiger zu ballaststoff- und pflanzenproteinreichen sowie zu gesunden fettreichen Lebensmittel gegriffen. Das senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch der Blutzuckerspiegel wird dabei geringgehalten und Hungergefühle somit vermindert.“ Es gebe überall Regler – beim Zucker, beim Eiweiß, beim Gemüse – und die müssten neu justiert werden.

Jeder sucht sich Fehler mit größten Hebeln raus

Riedls Tipp: „Jeder sucht sich die Fehler mit den größten Hebeln raus. Wenn ich eklatant viel Zucker esse, dann ist das ein großer Hebel. Und wenn ich neunmal am Tag esse und snacke, ist das auch ein großer Hebel.“

Entscheidend für die Essgewohnheiten sei auch immer die Umwelt: „Wenn ein Mensch in einer Umgebung mit vielen Dicken lebt, dann wird er dicker“, sagt Riedl. Ebenso sei es mit vielen Dünnen. Es hänge stark mit der Umgebung zusammen, ob sich jemand als dünn oder dick empfinde. Weil in Deutschland viele übergewichtig sind, bemerkten viele es gar nicht mehr, dass sie selbst auch dick sind. Fatal ist nach Ansicht des Experten: „Eltern erkennen nicht mehr, wenn ihre Kinder zu dick sind. Und andersrum kommen Eltern mit normalgewichtigen Kindern zum Arzt und sagen, mein Kind ist zu dünn. Nein, in meiner Jugend waren alle Kinder so dünn. Die Orientierung an einer Norm hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland verschoben.“

Supermärkte haben Tradition in Deutschland

Deutschland habe eine lange Tradition von Supermärkten, in Südeuropa, etwa Portugal, wo früher traditionell auf Märkten eingekauft und frisch gekocht wurde, seien die ländlichen Bereiche diesbezüglich erst in jüngerer Zeit erschlossen worden. In Deutschland gebe es auch eine große Kultur von Convenience-Gastronomie und Fastfood: „Die Restaurants verwenden zu 80 Prozent Convenience-Produkte. Wer regelmäßig außer Haus isst, erhöht nachweislich seine Sterblichkeit“, sagt Riedl.

Die kleinen Sünden seien vorgefertigte Salatsaucen oder Sauce Hollandaise, die großen Sünden seien etwa vorgefertigte Kartoffeln oder fertige Gerichte, die einfach nur warm gemacht würden. „Das Essen wird häufig mit Geschmacksverstärkern und Zusatzstoffen aufgepeppt, mit denen die Darmflora nicht zurechtkommt. Da ist viel Chemie im Spiel.“

Riedl selbst hat beim Essen auswärts eine spezielle Strategie: „Die Restaurants, die ich besuche, sind handverlesen. Ich frage genau nach und prüfe das auf Plausibilität.“