Hamburg hat die Wahl: Am 25. Mai werden die Bezirksversammlungen neu besetzt. Altona ist stolz auf seine Tradition als liberale Stadt. Die politischen Uhren ticken hier immer noch etwas anders als im übrigen Hamburg

Altona. Als der dänische König und Herzog von Holstein, Friedrich III, vor gut 350 Jahren der damaligen Fischersiedlung Altona generös die Stadtrechte verlieh, wollte er wohl vor allem eines damit erreichen: Den großen Nachbarn Hamburg ärgern. Und das gelingt ihm heute – posthum natürlich – eigentlich immer noch recht gut. Wenn es um die großen Streitfragen in der Stadt geht, besinnen sich die Altonaer Bezirkspolitiker gern auf die dänischen Wurzeln des heutigen Bezirks und zeigen sich gegenüber der offiziellen Senatspolitik gelegentlich recht aufmüpfig: So etwa im Oktober vergangenen Jahres, als die sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge aus Libyen nach Hamburg kamen. Gegen die Vorgaben ihrer Landesorganisationen votierten da mit den anderen Fraktionen in der Bezirksversammlung auch die SPD- und CDU-Abgeordneten für einen Verbleib der Flüchtlinge und genehmigten die Aufstellung von Wohncontainern auf Altonaer Kirchengelände. Toleranz, Offenheit für Zuwanderer, Eigenständigkeit – solche, vermeintlich dänischen, Werte werden dann in den Debatten im Altonaer Rathaus beschworen. Kaum eine Politiker-Rede, in der nicht der Hinweis auftaucht, dass das Wappen Altonas ein offenes Tor zeige, während es im Hamburger Stadtwappen schön geschlossen sei. Fast scheint es manchmal, dass man dann lieber Kopenhagen noch als Schaltzentrale hätte und nicht das Hamburger Rathaus, geschweige denn Berlin.

Sogar die CDU sichert in Altona die Zukunft der Roten Flora

Diese tolerante Linie zieht sich wie ein roter Faden durch die Kommunalpolitik. Bauwagenplätze und Unterkünfte für jugendliche Punker werden in Altona selbst von konservativen Politikern der CDU fast liebevoll betreut. Da kommt es dann auch schon einmal vor, dass in politischem Streit gestählte Kommunalstrategen wie Linken-Fraktionschef Robert Jarowoy und CDU-Fraktionschef Uwe Szczesny ihre verbalen Säbel beiseitelegen, die ergrauten Köpfe zusammenstecken – und eine Lösung finden. Beispielsweise für die in Altona gestrandeten, obdachlosen Jugendlichen, die sich auf einem Baugrundstück an der Stresemannstraße mit Zelten und Holzhütten eingerichtet hatten. Nun können sie in einer festen Unterkunft wohnen, bleiben aber wie gewünscht als Gruppe zusammen.

Auch die von Linksautonomen besetzte Rote Flora profitiert von dieser besonderen Altonaer Haltung. Statt den Ausgangsort vieler Krawalle zu räumen – wovon andere Hamburger CDU-Politiker schon lange träumen – bastelten die Altonaer Christdemokraten an einem Bebauungsplan mit, der dieses linke Zentrum sogar auf Dauer sichern soll. So viel Toleranz muss sein in Altona.

Ein solches Besinnen auf historische Tugenden hat zwar, wie so oft, kleine Schönheitsfehler: So jubelten viele in Altona, als 1863 deutsche Truppen einmarschierten und die dänischen Soldaten sich wieder zurückziehen mussten. Doch tatsächlich hat Dänemark viel dazu beigetragen, dass die bis 1937 eigenständige Stadt Altona in vielen Epochen ein wirtschaftlich erfolgreicher und außergewöhnlich weltoffener Ort war. Der dänische König gewährte Zoll- und Gewerbefreiheit, es gab religiöse Toleranz, die Verfolgte aus ganz Europa anzog. Gut ausgebildete Handwerker und Kaufleute aus Portugal oder Holland zum Beispiel, die den wirtschaftlichen Aufschwung weiter voranbrachten. Und weil Dänemark den Piraten im Mittelmeer Geld zahlte, blieben Schiffe aus Altona dort unbehelligt, während die Kollegen aus dem benachbarten Hamburg überfallen wurden. Mancher Reeder wechselte daher nach Altona, das später um 1803 schließlich zweitgrößte dänische Stadt wurde.

In dieser dänischen Vergangenheit sieht auch die heutige Bezirksamtsleiterin Liane Melzer immer noch eine Art Brückenschlag zu den Maximen der Politik in Altona. Die Sozialdemokratin und promovierte Juristin spricht sogar von einer „historischen Kraft“ dieses Erbes. Wenn man sich in der Bezirkspolitik so sehr auf Eigenständigkeit, Kreativität und Toleranz beruft, sei das für den westlichsten der Hamburger Bezirke nur von großem Vorteil. Menschen mit Ideen würden dadurch angezogen, neue Unternehmen gegründet. Und tatsächlich fördert der Bezirk solche Kreativfirmen auch, etwa indem er Räume in alten Kasernen und Behördengebäuden schafft.

Mit der Eigenständigkeit hingegen ist das so eine Sache. Das weiß auch die Bezirksamtsleiterin und spricht lieber von einer „informellen Eigenständigkeit“, die es gelte, gegenüber dem Senat zu wahren. Denn tatsächlich haben Bezirke in Hamburg eine eher begrenzte Machtfülle. Beispiele gibt es dafür genug: Da beschließen alle Bezirksfraktionen für den Sülldorfer Kirchenweg eine Tempo-30-Zone – und werden einige Wochen später von der unteren Verkehrsbehörde abgewatscht, die in solchen Sachen mehr zu sagen hat. Nicht einmal eine solche einfache Verkehrsberuhigung können die Bezirke gegen den Willen anderer Behörden durchsetzen. Oder die Bezirkspolitiker stimmen geschlossen für eine neue Fährlinie nach Blankenese – was wenig später dann von der regierenden Landes-SPD in Basta-Manier abgelehnt wird. Große Renommierprojekte wie die Planung der Neuen Mitte am Bahnhof Altona mit bis zu 4000 neuen Wohnungen nimmt die zentrale Stadtentwicklungsbehörde den erzürnten Planern im Technischen Rathaus Altona aus der Hand. Und wenn Bürgerbegehren und Bezirksversammlungsbeschluss wie zum Erhalt des alten Bismarckbades nicht in die große Hamburger Linie passen, werden auch solche Entscheidungen kurzerhand kassiert von der Zentrale im Hamburger Rathaus.

Den Bezirkspolitikern bleibt dann nur ein eher subtiler Weg durch die Hintertüren der Landespolitik, um Altonaer Ansprüche durchzusetzen.

Unwichtig ist die Bezirkswahl daher aber noch lange nicht. Zum einen braucht es besonders gewiefte Kommunalpolitiker, um Altonaer Interessen in den Verästelungen der Hamburger Politik Gehör zu verschaffen. Und im Bezirk selbst ist oft genug ein Ausgleich verschiedenster Bürgerforderungen notwendig, der ebenfalls eine kluge Bezirkspolitik erfordert. Das erklärt sich allein schon aus der Verschiedenartigkeit des Bezirks.

Rund 260.000 Einwohner zählt Altona, allerdings höchst unterschiedlich verteilt. Altbauquartiere im Herzen von Altona gibt es, Wohnsiedlungen wie in Osdorf und die weitläufigen Elbvororte: Im szenigen Ottensen leben gut 11.000 Menschen auf einem Quadratkilometer, in Lurup oder Osdorf sind es um 2300 und in den Elbvororten nur um 1000. Welten prallen da aufeinander. Der Sozialpädagoge aus Ottensen wird selbstverständlich dafür plädieren, dass in der Sülldorfer Feldmark großzügig Naturschutzflächen ausgewiesen werden. Anders sieht es der Bauer aus Sülldorf, der hier vernünftig wirtschaften muss, dem aber vielleicht Gentrifizierungs-Tendenzen in Altona Nord nicht so gewaltig wichtig erscheinen.

Oder die Sternschanze: Die Anwohner stöhnen mittlerweile darüber, dass hier ihre Straßen zu einem angesagtem Ausgeh- und Kneipenviertel geworden sind, das in nahezu allen Hamburg-Reiseführern erwähnt wird. Bewohner aus anderen Stadtteilen in Altona genießen hingegen die nahe Spaßmeile. Die einen fordern deshalb weniger Außengastronomie und Lärmschutz, die anderen ärgern sich über Restriktionen, die den Spaß am Ausgehen verderben. Nicht einfach, da eine Linie zu finden.

Beispielhaft für die Zerrissenheit des Bezirks steht auch der Konflikt um das neue Ikea-Möbelhaus, das jetzt am 30.Juni mitten in der Fußgängerzone an der Großen Bergstraße eröffnet. Gegner beschworen eine Verdrängung von einkommensschwachen Anwohnern herauf, wenn sich die in den 70er-Jahren gebaute Einkaufstraße mit dieser Ansiedelung zu einem eher teuren Innenstadt-Pflaster entwickeln sollte. Andere wollten genau dieses und sprachen von einem Niedergang der Straße zu einer reinen Billigmeile, wo nur noch Handyläden und Backshops zu finden seien. Oft eher linke, wortgewaltige Gruppen ätzen bis heute gegen Ikea, viele Geschäftsleute vor Ort aber begrüßen den Aufschwung. Noch steht lange nicht fest, wie sich die Große Bergstraße entwickeln wird. Und vieles dürfte davon abhängen, welche Rahmenbedingungen, wie etwa eine soziale Erhaltungsverordnung, die Bezirksversammlung noch beschließt.

Ein anderes großes Feld der Bezirkspolitik ist der Wohnungsbau. Während Bezirke sonst für viele Aufgaben strikte Rahmenzuweisungen erhalten, haben sie in der Bebauungsplanung den wohl größten Gestaltungsspielraum, die Planung der Neuen Mitte ist da eine ärgerliche Ausnahme. Aber gerade um geplante Neubauten oder auch Abrisse von Altbauten gibt es immer wieder Konflikte. Wenn plötzlich in der gewohnten Nachbarschaft Hinterhöfe bebaut werden oder liebgewonnene alte Villen auf der Abrissliste stehen, ist der Protest gewiss. Bürgerbegehren drohen, die Politik muss vermitteln zwischen Investoren und Betroffenen.

Handfeste Entscheidungen über Ausnahmen und Befreiungen von Bauvorschriften werden dann in den Ausschüssen der Bezirksversammlung getroffen. Während die Kommunalpolitik in Hamburg sonst nur Empfehlungen abgeben kann nach dem Motto „Die Behörde wird gebeten, zu prüfen“, darf sie in Sachen Wohnungsbau durchaus Weichen stellen.

Und das hat Altona in der Vergangenheit reichlich getan. Mehr als manche anderen Bezirke. Von 2011 bis 2013 genehmigte der Bezirk allein rund 4500 neue Wohnungen. Was wohl auch eine Folge davon ist, dass Altona ein besonders beliebter Wohnbezirk ist, der stark davon profitiert, dass innenstadtnahe Altbauquartiere so beliebt geworden sind. In dem Kerngebiet gibt es schon jetzt kaum noch größere, freie Flächen. Bezirksamtsleiterin Melzer sieht die weitere Siedlungsentwicklung daher in den anderen Stadtteilen, dem zweiten Ring um das Herz des Bezirks sozusagen: Lurup und Ostdorf sind solche Stadtteile, auf die sich künftig der Blick vieler Investoren und Wohnungssuchenden richten werde. Und Bahrenfeld, glaubt sie, habe das Potenzial, zu einem ebenso bunten Stadtteil zu werden wie es Ottensen schon ist.

Doch wo sollen Schwerpunkte gesetzt werden, wo müssen Sportplätze bleiben, wo dürfen Wiesen nicht angetastet werden?

Zwischen 2011 und 2013 genehmigte Altona 4500 neue Wohnungen

Die Bezirksfraktionen in Altona setzen da schon unterschiedliche Schwerpunkte. Natürlich sind die Grünen eher fürs Grün, sorgen sich schon einmal um Nachtfalter und Wiesenvögel, während Liberale und CDU in solchen Dingen burschikoser denken. Die Linke sieht hingen die Schwachen der Gesellschaft in ständiger Gefahr. Aber auch hier sind die Fronten nicht so eindeutig geklärt, wie es die Programme eigentlich vorgeben müssten. Eine schwarze-grüne Koalition etwa gab es im Bezirk lange vor einem CDU-GAL-Senat. Heute bilden die Grünen in Altona zwar mit den in Hamburg regierenden Sozialdemokraten eine Koalition. Doch eine Liebesheirat war das nicht, und die Ehe gilt als schwierig. Oft genug scheint es, als wenn die vordergründig so unterschiedlichen Ex-Partner von CDU und Grünen ihrer alten Gemeinsamkeit noch immer nachtrauern. Wohl auch deshalb, weil die SPD – jedenfalls für Altonaer Verhältnisse – doch recht stramm auf Kurs von Bürgermeister Olaf Scholz getrimmt ist.

Das wird im Sinne eines vernünftigen Regierens in der Stadt wohl sinnvoll sein, bei vielen Streitpunkten im Bezirk eckt diese Politik aber oft stark an. Opposition gegen den Senat erscheint dann erfolgreicher im Kampf um Wählerstimmen, vor allem wenn man so dicht dran ist an den Leuten wie in der Bezirkspolitik. Die Stimmung im Wahlkreis könnte daher diese Wahl entscheidend mitprägen: Immerhin 30 der 51 Sitze im Altonaer Bezirksparlament werden über Wahlkreislisten bestimmt: 229 Kandidaten unterschiedlicher Parteien stehen dabei in Altona zur Wahl, nochmal 171, die über die Bezirkslisten der Parteien in die Bezirksversammlung wollen. Man mag das für kompliziert halten, tatsächlich ist es aber pralle Demokratie, die solche Zahlen belegen.

Viel Diskussionsstoff dürfte daher in Zukunft weiter die Kommunalpolitik in Altona bestimmen. Nur in einem sind sich alle einig. Und das ist der Stolz auf die dänischen Wurzeln oder das, was man dafür hält. Wenn sich die Verleihung der Stadtrechte am 23.August dieses Jahres zum 350. Male jährt, soll es jedenfalls in Altona große Paraden und Straßenfeste geben. Das ist schon sicher, völlig egal wie die Wahl am 25.Mai ausgeht.