Bei den Grindelhochhäusern soll eine Verleihstation nur für umweltfreundliche Wagen entstehen. Abendblatt-Test: So fährt es sich im E-Auto.

Hamburg. Die Hülle steht für die Vergangenheit, der Inhalt für die Zukunft. 50er-Jahre-Design trifft Automobil-Technologie. Direkt vor dem Bezirksamt Eimsbüttel am Grindelberg soll bald Deutschlands erste Autoverleihstation eröffnen, die ausschließlich Elektroautos anbietet. Der Standort, der derzeit von einem Gebrauchtwagenhändler genutzt wird, steht wie der gesamte Grindelhochhäuser-Komplex unter Denkmalschutz. Momentan erinnert nur wenig an die typischen Retroformen, welche die ehemalige Tankstelle einst hatte. Doch das soll sich mit der Elektroauto-Verleihstation ändern. Denn bevor hier Strom gegeben wird, soll das Gebäude restauriert werden.

"Der Sache steht nichts mehr im Wege", sagt Sirri Karabag, 46, Geschäftsführer des Unternehmens Karabag, das die E-Auto-Verleihstation eröffnen will. Seit Jahren setzt er auf die neue Technologie und zählt zu ihren Pionieren. "Wir arbeiten eng mit dem Bezirksamt, dem Denkmalschutzamt und dem Vermieter der Immobilie zusammen", sagt Karabag. Der Standort sei mit seinen vielen Stellflächen perfekt. Aber das Beste sei die Lage. "Der Bezirk Eimsbüttel ist sehr interessant für uns im Hinblick auf unsere potenziellen Kunden", sagt Karabag. "Die Menschen hier haben eine hohe Bereitschaft, ökologisch einen Schritt mitzugehen, und sind dem Thema gegenüber aufgeschlossen eingestellt."

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Tanken an der Steckdose

Auch Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke (SPD) ist begeistert von der Standortwahl. "E-Autos stehen für umwelt- und ressourcenschonende Mobilität", sagt er. "Ich bin sicher, dass diese zukunftsweisende Technik in der historischen Tankstelle eine Basis findet, die den Optimismus dieser neuen Technologie ausstrahlt." Die Tankstelle aus den 50er-Jahren symbolisiere schließlich die Aufbruchsstimmung in Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg und das anschließende Wirtschaftswunder. Und Aufbruchsstimmung und Wirtschaftswunder seien ja gerade sehr gefragt.

Das Denkmalschutzamt zeigt sich ebenfalls erfreut über die Pläne. "Wir freuen uns sehr, dass das ursprüngliche Erscheinungsbild wieder hergestellt und die Tankstelle erneut Teil einer zukunftsweisenden Entwicklung wird", sagt Kristina Sassenscheidt, Sprecherin des Denkmalschutzamts. "Das entspricht dem einstigen Modernitätsanspruch der Grindelhochhäuser." Die Anlage gehörte zu den ersten Wohnhochhäusern der Bundesrepublik und galt zu ihrer Bauzeit als äußerst fortschrittlich.

Das sind Hamburgs E-Tankstellen

Nach der Restaurierung soll die Tankstelle wieder aussehen wie zu ihrer Erbauungszeit in den 50er-Jahren. Denn momentan erinnert das Aussehen kaum an diese Epoche. Das jetzige Dach aus den 1970ern soll abgerissen und ein neues nach der historischen Vorlage nachgebildet werden. Die E-Autos sind für die urbane Nutzung gedacht. Zunächst sollen strombetriebene Kleinwagen angeboten werden, später auch Transporter. "Dann ist auch der umweltfreundliche Umzug möglich", sagt Unternehmer Sirri Karabag. Die Wagen sollen ausschließlich mit Ökostrom gespeist werden. Für längere Strecken sind sie laut Karabag wegen der begrenzten Batterie noch nicht geeignet. Kleinere Mengen Strom können aber in der Stadt nachgetankt werden. Und: Die Leihgebühr für die E-Autos soll nicht teurer sein als für solche, die mit üblichen Kraftstoffen wie Benzin fahren, kündigte der Unternehmer an.

Einen kleinen Schönheitsfehler hat die Sache allerdings. Die Saga, Vermieterin der historischen Tankstelle, spricht noch nicht von einer beschlossenen Sache. Es habe zwar ein Vorgespräch gegeben, bei dem die Saga das Projekt begrüßte, ein konkretes Konzept liege aber noch nicht vor, heißt es bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Eine Kündigung des bestehenden Mietvertrags mit einem Gebrauchtwarenhändler sei nicht vorgesehen. Sirri Karabag bereitet das keine Sorge. Er verweist auf die enge Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt und dessen Einfluss auf das städtische Unternehmen. "Die E-Autos kommen", sagt er.

Ein Satz, der wohl nicht nur auf die Station in Eimsbüttel zielt, sondern auf die gesamte Stadt. Sollte sich das bewahrheiten, kommt auf die Hamburger ein völlig neues Fahrgefühl zu. Das Abendblatt hat schon mal eine Probefahrt gemacht:

Der technische Banause erfährt die erste Überraschung schon beim Start. "Einmal reicht", meint der kundige Beifahrer nach dem dritten Umdrehen des Zündschlüssels hämisch. Hätte man sich eigentlich denken können: kein Anlasser, kein Geräusch. Ohne das gewohnte Brummen rollt das Elektroauto auf die Straße. Auch von sanftem Surren kann keine Rede sein: Lärmpegel null, als sei einem der gewöhnliche Benzinmotor abgesoffen. Verblüffung zwei folgt auf dem Fuße - beziehungsweise darunter. Der kleine Fiat 500 mit seinen schlappen 28 Pferdestärken geht deutlich forscher ab als das erheblich stärkere Fahrzeug daheim. Ein kleiner Tritt auf das Gaspedal reicht, um den Hintermann abzuhängen. Überraschung drei: Anders als bei Automatikwagen braucht die Bremse nur leicht betätigt zu werden, um vor der roten Ampel zu halten. Das E-Auto entschleunigt spürbar und steht dann. Einfach so. Die absolute Stille aus dem Motorraum ist angenehm, jedoch anfangs gewöhnungsbedürftig.

Die Zwangspause ist ein willkommener Anlass, um das Autoinnere zu betrachten. Sieht auch nicht anders aus als anderswo. Bis auf eine Art zu kurz geratenen Schaltknüppel rechts vom Lenkrad. Aus der Standposition links nach oben bewegt bedeutet vorwärts, links nach unten heißt rückwärts. Das war es. Der winzige Druckknopf mit dem grünen Signallämpchen daneben inmitten des Cockpits setzt die Standheizung in Gang. Um die Batterie nicht zu schröpfen und die Hälfte der Energie zu rauben, wird der Innenraum mittels Bioethanol erwärmt. "Das ist CO2-neutral und kostet im Baumarkt oder anderswo rund einen Euro pro Liter", sagt der Beifahrer, der die Probefahrt seitens des Anbieters Karabag begleitet. Der Tank fasse sieben Liter und reiche rund 15 Stunden.

Die Ampel schaltet auf Grün um. Drei Ecken weiter erfolgt der Umgang mit der neuen Technik nunmehr spielerisch, fast automatisch. Macht Spaß, zeitgemäß mobil zu sein. Fragt sich nur, wie lange noch. Denn die Digitalanzeige neben dem Tachometer verändert sich konstant - nach unten, dem Batterieladezustand entsprechend. Nach Angaben der Betreiber fährt das E-Auto etwa 100 Kilometer, bevor Kontakt zur Steckdose gesucht werden muss.

Doch dazu später mehr. Weil erst einmal eine Fiat-Niederlassung in Lokstedt angesteuert werden muss. Dort wartet Sirri Karabag. Der gebürtige Hamburger mit Wohnsitz in Norderstedt vertrieb im vergangenen Geschäftsjahr 251 von insgesamt rund 500 hierzulande zugelassenen E-Autos. In diesem Jahr steigerte er die Zahl auf gut 350 von deutschlandweit fast 2000 verkauften Wagen. Für 2012 sieht Karabags Zielsetzung so aus: 800 batteriebetriebene Klein- und 700 Nutzfahrzeuge. "In Sachen Elektromobilität bewegt sich eine Menge", sagt der Unternehmer mit türkischen Wurzeln. "Die Anlaufprobleme werden gerade Schritt um Schritt gelöst." Auch mit Unterstützung aus dem Rathaus, den Behörden und hier ansässigen Firmen entwickele sich Hamburg - noch hinter den Kulissen - zur E-Autostadt. Wer hätte noch vor zwei Jahren 200 (siehe Karte rechts) Ladestationen für E-Autos in der Hansestadt für möglich gehalten?

Karabags Devise: "Probleme sind dazu da, sie anzupacken." Das beginnt mit den Preisen. Als am 27. Dezember 2009 in Deutschland das erste serientaugliche E-Auto aus seinem Betrieb auf die Straße kam, hielt nicht nur Karabag den Preis von 60 000 Euro für astronomisch. Dennoch verkaufte er auf Anhieb mehr als 100 Prototypen. Den Abnehmern sei es mehr auf das saubere grüne Image als auf Geld angekommen. Ein elektromobiler Fiat 500 kostet bei Karabag aktuell 36 900 Euro, und ab kommendem Jahr 29 900 Euro. Aber für Privatkunden trotz geringerer Energiekosten viel zu teuer.

Aber nun auf zu Teil zwei der Testfahrt. Per Smartphone wird die nächste Ladestation gesucht: die Henriettenstraße ein paar Ecken weiter. Die Säule ist leicht zu finden. Zwei Anschlüsse hat sie. Die eine ist zugeparkt, die andere derart unsinnig postiert, dass man nur entgegen der Verkehrsrichtung mit der Motorhaube vorfahren kann. Der Rest funktioniert umso einfacher. Die Kabelverbindung zwischen der Stromsäule und dem Stecker über dem Nummernschild ist kinderleicht herzustellen. Nachdem eine persönlich codierte Chipkarte eingelesen ist, kann der Ladevorgang beginnen: "Einmal voll für 2,50 Euro." Beziehungsweise könnte er beginnen. Denn wer hat im Alltagsverkehr schon sieben bis acht Stunden Zeit, bis eine leere Batterie voll ist? Einmal voll aufladen ist fast nur über Nacht zu Hause sinnvoll - an jeder normalen Steckdose übrigens. Die umweltfreundliche, fast stille Spritztour wird also fortgesetzt, bis die Anzeige im Cockpit zügige Heimkehr empfiehlt.

Die Fahrer der in Hamburg derzeit 353 im Rahmen des Modellprojekts zugelassenen Elektrofahrzeuge haben weit mehr Erfahrung. So wie Uwe Meyer, der seit Jahresbeginn im Auftrag der Stadtreinigung mit einem E-Auto Post durch Hamburg transportiert. "Mein Renault fährt sich im Prinzip wie jedes andere Auto", bilanziert Meyer. "Die Technik ist gut, und das Fahren macht Spaß." Mit einer Ausnahme. Seiner Erfahrung gemäß sinkt die Batterieleistung von rund 140 Kilometer im Sommer auf weniger als 80 im Winter. Das ist zu wenig, um sein Tagespensum zu erfüllen. Konsequenz: Bis zum Frühling ist Uwe Meyer auf ein herkömmliches Fahrzeug umgestiegen.