Heinrich Schnetzer hat für die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron das hoch komplizierte Tragwerk in der Elbphilharmonie entworfen.

Hamburg. Wie sicher ist das Dach des Großen Saals der Elbphilharmonie? Der Baukonzern Hochtief hat Sicherheitsbedenken und weigert sich, mit dem Absenkungsprozess des Daches zu beginnen. Das Abendblatt sprach mit Heinrich Schnetzer, 53, der für die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron das Dach entworfen hat.

Abendblatt: Ist die Tragsicherheit des Daches gewährleistet?

Heinrich Schnetzer: Ich habe keine Zweifel daran, dass das Dach sicher ist. Von Hochtief wurden ja die 14 Airbusse ins Spiel gebracht, deren Gewicht das Dach zu tragen hat. Ich sage Ihnen, das Dach ist von uns auf das Gewicht von 25 Airbussen ausgelegt worden.

Trotzdem hat Hochtief die Arbeiten eingestellt.

Schnetzer: Man muss wissen, dass das Dach, eine Verbundkonstruktion aus Stahlwerk und Beton, ja bereits gebaut ist und auf provisorischen Lagern aufliegt. Es soll jetzt abgesenkt werden. Und - um im Bild zu bleiben - es trägt derzeit nur das Gewicht von etwas mehr als drei Airbussen. Also praktisch nichts im Vergleich zum Zeitpunkt der endgültigen Fertigstellung.

Was heißt das in Tonnen?

Schnetzer: Knapp 1800 Tonnen.

Hochtief sagt, Ihre erste Statik hätte ungewöhnlich viele Grüneintragungen durch den Prüfstatiker erhalten. Das bedeutet, dass in vielen Bereichen nachgerechnet werden musste. Stimmt das?

Schnetzer: Dazu muss man wissen, dass es in Deutschland eigentlich keine Bauprojekte ohne Grüneintragungen gibt. Das ist ein ganz normaler Vorgang. In diesem Fall war es sogar so, dass die geprüfte statische Berechnung zum Stahlbau des Daches keine Grüneinträge enthält. Es gab lediglich welche zur Betonschale. Und da zur Bewehrung, also zur Aufnahme von Zugkräften.

Hochtief hat als Beispiel für die vielen Änderungen ausgeführt, dass Sie in der ersten Statik zu wenig Kopfbolzendübel eingerechnet haben.

Schnetzer: Es stimmt, dass der Prüfer an einigen Stellen die Zahl der Kopfbolzen erhöht hat. Da geht es, je nach Modell, um Spannungen und Betoneigenschaften, das ist aber nicht relevant für die Tragsicherheit. Bei der eingerechneten Menge der Kopfbolzen geht es eher um die Gebrauchstauglichkeit und das Verhindern späterer Rissbildungen.

Warum glauben Sie den Hinweisen und Bedenken von Hochtief hinsichtlich der Tragsicherheit nicht?

Schnetzer: Wir haben die Bedenken von Hochtief sehr ernst genommen und vorsichtshalber zusätzliche statische Berechnungen an zwei Tragwerksmodellen gemacht. Der Prüfer hat dieses dann mit einem dritten Modell geprüft, das sogenannte Vier-Augen-Prinzip angewandt. Er hat unsere Berechnungen geprüft und freigegeben. Alle drei Modelle bestätigen die Tragsicherheit des Daches. Darüber hinaus wurde meines Wissens nach noch ein weiterer renommierter Gutachter von der Stadt eingeschaltet, der die Sicherheit ebenfalls bestätigt hat.

Es gibt also vier Berechnungen, die die Sicherheit garantieren. Hochtief hat ebenfalls zwei renommierte Gutachter, die an der Tragfähigkeit zweifeln und meinen, es könne an einzelnen Stellen zu einer Überlastung von Stahlstäben kommen. Wie kann das sein?

Schnetzer: Es geht um die unterschiedlichen Auffassungen darüber, wie man grundsätzlich Stahlfachwerke berechnet. Hochtief bezweifelt, dass es sich überhaupt um ein Fachwerk handelt, wir haben daran keinen Zweifel. Diese fachliche Diskussion wurde etwa um 1930 geführt. Man hat damals festgestellt, dass sich ein Fachwerk verzieht. Und man ist zu dem Schluss gekommen, dass diese zusätzlichen Kräfte die Tragsicherheit nicht beeinflussen. Die Gutachter von Hochtief sagen jetzt aber, bei diesem komplexen Tragwerk ist das zu hinterfragen. Sie benennen jedoch keinen konkreten Stab im Fachwerk, der den Anforderungen nicht genügt.

Und das müssten sie?

Schnetzer: Ja, wenn man in dieser Phase des Projekts Bedenken hinsichtlich der Tragsicherheit hat, muss man schon konkrete Punkte benennen.

Was dennoch viele nicht verstehen, ist, warum die Stadt an Hochtief nicht die Unterlagen herausgibt, um deren Bedenken auszuräumen. Wissen Sie, um welche Unterlagen es sich handelt?

Schnetzer: Ich glaube, Hochtief möchte nicht meine, sondern die Berechnungen des Prüf-Ingenieurs haben.

Wären Sie denn dafür, die Unterlagen an Hochtief zu übergeben?

Schnetzer: Es gab bereits sehr viel Schriftverkehr, um die unterschiedlichen Auffassungen zu klären. Die Fakten liegen alle auf dem Tisch. Ich glaube nicht, dass die zusätzlichen Unterlagen neue Erkenntnisse liefern.

Wenn man sie herausgeben würde, hätte Hochtief aber keine Argumente mehr, um den Bau nicht fortzusetzen.

Schnetzer: Ich glaube, technisch würde das keine neuen Erkenntnisse bringen.

Sehen Sie Mängel in der Ausführung der Arbeiten durch den Baukonzern?

Schnetzer: Nein, bezüglich des Stahlbaus sehe ich keine Ausführungsmängel. Da ist sehr sauber gearbeitet worden.

Von Ihnen aus könnte abgesenkt werden?

Schnetzer: Natürlich, zum jetzigen Zeitpunkt liegt, wie beschrieben, praktisch keine Last auf dem Dach. Es kommt ja erst noch die gesamte Technik, wie zum Beispiel die Lüftung, in mehreren Ebenen mit ziemlichen Lasten obendrauf, dann das Gebäudedach und schließlich zu berechnende Lasten wie Schnee und Eis. Um nochmals die Airbusse zu bemühen: Das fertige Dach inklusive aller Lasten wird die Last von 14 Airbussen A380 tragen. Das heißt, dass das Äquivalent von elf Airbussen als Sicherheit zur Verfügung steht.

Das Abendblatt-Dossier: Elbphilharmonie: Leuchtturmprojekt und Sorgenkind