Die Architekten Herzog & de Meuron beklagen Baumängel im Großen Saal, die “die Akustik und schlimmstenfalls die Statik beeinflussen“.

Hamburg. Vom Rödingsmarkt zum Sandtorkai sind es keine 1000 Meter. Zu Fuß braucht man fünf Minuten. Bei sonnigem Wetter ist das ein herrlicher Spaziergang mit Elbblick von der Hamburger Niederlassung der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron zum Büro des Konzerns Hochtief in der HafenCity. Momentan aber liegen zwischen dem Generalplaner der Elbphilharmonie und dem ausführenden Bauunternehmen Welten.

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Die gegenseitige Abneigung ist unverhohlen, Spannungen sind greifbar, die Anwälte allzeit bereit. Und die Kommunikation beschränkt sich, glaubt man Beteiligten, fast nur noch auf das "Claim Management". Zu Deutsch: auf die "Überwachung und Beurteilung von Abweichungen beziehungsweise Änderungen und deren wirtschaftlichen Folgen zwecks Ermittlung und Durchsetzung von Ansprüchen". Dabei sollten die beiden namhaften Firmen, die weltweit tätig sind, eigentlich Hand in Hand arbeiten, um Hamburg für viel Geld ein neues Wahrzeichen an die Elbe zu stellen.

Dass aber nur eine Woche nach dem Richtfest der Elbphilharmonie Pierre de Meuron, Schöpfer und Architekt des imposanten Bauwerks, jetzt lautstark Alarm schlägt, muss wohl als eine Art letzter Hilferuf verstanden werden. "Die Probleme bei den Betonarbeiten am Großen Saal beunruhigen uns besonders, da sie die Akustik und schlimmstenfalls auch die Statik beeinflussen", sagt der Schweizer.

Wie dramatisch ist die Lage auf der Baustelle, die den Steuerzahler am Ende 323 Millionen Euro kosten soll, wirklich? Wie wackelig sind die Füße, auf denen der Große Konzertsaal mit seinen rund 2150 Plätzen steht, von dem es ja immer heißt, er sei aufgehängt? Wie gut ist die Schall-Entkoppelung, die dafür zu sorgen hat, dass kein Schiffstuten das Klassikkonzert stört und umgekehrt kein mehrstimmiger Bläsersatz schlafende Hotelgäste weckt? Und was sagt der Bauherr, die städtische Realisierungsgesellschaft ReGe, zu den heftigen Vorwürfen?

Verantwortlich für die erhoffte geniale Klangtrennung sind die sogenannten Federpakete, auf denen die Stahlkonstruktion des Konzertsaals liegt. Eine Art Stoßdämpfer. Und die sollten, damit sie buchstäblich ihre Wirkung entfalten können, zentimetergenau eingebaut werden (siehe Grafik unten).

Sind sie das? "Nein", heißt es bei den Architekten. Von den bisher 78 eingebauten Federpaketen im Großen Saal seien nach letztem Kenntnisstand vom 17. Mai mindestens 30 Stück mangelhaft. 26 von ihnen seien zu hoch aufgedoppelt, drei schief montiert. Und einer sei verdreht worden.

Nicht berücksichtigt seien bei der Aufzählung außerdem die Federpakete, die der Feuchtigkeit oder Verschmutzung ausgesetzt sind oder waren, weil sie während ihrer Lagerung, anders als vom Hersteller zwingend gefordert, nicht ordnungsgemäß verpackt worden seien. Und bei denen es deshalb womöglich erst später zu Schäden kommen würde. Hochtief-Pressesprecher Bernd Pütter hatte dagegen zuletzt von "drei Federpaketen, die nachjustiert werden müssen", gesprochen.

Drei oder 30 - diesen laut Architekten sowohl für die Akustik als auch für die Tragsicherheit ernst zu nehmenden Unterschied müsste die ReGe im Grunde schnell aufklären können. Doch auf die konkrete Abendblatt-Anfrage heißt es dort lapidar: "Als Bauherr hat die ReGe die Beseitigung aller aufgeführten Mängel schriftlich angemeldet. Hochtief hat uns zugesichert, die Mängel umgehend zu beseitigen."

Für die Schweizer Generalplaner, die in ihrem Mängelbericht an die ReGe in Bezug auf die Betonrippen von "massiven Abweichungen von den planerischen Vorgaben für den Rohbau" geschrieben hatten, ist das ein reichlich unbefriedigender Zustand. Der jedoch leicht behoben werden könnte, wenn ihnen Messprotokolle übergeben würden. In ihrem Mängelbericht monieren sie jedoch, dass Hochtief "bisher die Übergabe dieser vertraglich geschuldeten und insbesondere für die Objektüberwachung notwendigen Dokumentationsunterlagen verweigert".

Zweiter gravierender Punkt im Mängelbericht der Architekten ist die Außenschale des Großen Saals. "Wenn Hohlräume in der Betonschale verbleiben, gerät die Klangqualität des Saals in Gefahr. Das darf auf keinen Fall passieren", sagt Pierre de Meuron. "Wir haben bei Stichproben mehrere Hohlräume bemerkt und die Mängel aufgezeigt. Um auszuschließen, dass weitere Lecks verbleiben, haben wir dem Bauherrn dringend dazu geraten, eine vollflächige Ultraschalluntersuchung der Schale zu veranlassen."

Das Problem ist, dass den Architekten auch diesbezüglich bis heute kein Nachweis über bisher erkannte Hohlstellen vorgelegt worden ist. "Um mit einem Missverständnis aufzuräumen: Über den Baufortschritt, die Qualität und die Maßgenauigkeit muss Hochtief die Bauherrin, also die ReGe, informieren", sagt Pierre de Meuron. "Um zu beurteilen, ob die von uns gefundenen Abweichungen noch vertretbar sind, liegen uns heute keine Informationen vor. Wir müssen bei diesen kritischen Teilen aber auf Nummer sicher gehen."

Liegt denn wenigstens dem Bauherrn solch ein Nachweis vor? "Im Hinblick auf die Außenschale haben wir bei unserem Generalunternehmer die Vorlage eines Nachweises über eine homogene Außenschale angemahnt", heißt es bei der ReGe. Und weiter: "Uns wurde avisiert, dass dieser Nachweis zeitnah vorliegen wird."

Hochtief-Sprecher Pütter sagt: "Alle Abweichungen werden in enger Abstimmung mit dem Bauherrn fachgerecht behoben. Selbstverständlich werden diese Arbeiten gut dokumentiert. Und wir erbringen alle erforderlichen Nachweise."

Wie sicher aber ist das Bauwerk, wenn Nachweise und Messprotokolle vorenthalten werden oder (noch) nicht vorliegen und wenn im Mängelbericht mehrfach von einer möglichen "Gefahr für die Tragsicherheit" die Rede ist? "Es gibt bei diesem Projekt keine sicherheitsrelevanten Mängel", versichert Pütter. "Von einer Gefahr für die Tragsicherheit des Bauwerks kann keine Rede sein. Dies ist von unserem Prüfstatiker bestätigt", sagt die ReGe. "Ich habe heute keine Zweifel an der Standsicherheit des Gebäudes", sagt de Meuron. Weist aber gleichzeitig darauf hin, "einzelne kritische Bereiche einer gesonderten Prüfung zu unterziehen".

Und darauf, dass für die Ausführungsplanung und Ausführung des Stahl- und Betonbaus im Großen Saal im Übrigen Hochtief zuständig sei. Im Klartext: Zwar werden die Architekten der Elbphilharmonie immer als Generalplaner bezeichnet, sie sind es aber nur zum Teil, da es - gerade bei diesem gewaltigen Projekt - viele unterschiedliche Planungsphasen gibt. "Wir haben für den Großen Saal die Entwurf- und Genehmigungsplanung des Tragwerks erstellt. Das sind nur etwa 20 Prozent des gesamten Planungsumfangs", sagt de Meuron. Der Planungsanteil von Hochtief liege dementsprechend bei 80 Prozent.

Lassen sich die Mängel überhaupt noch beheben? "Nach unserer Einschätzung ja, aber es muss schnell und gründlich geschehen. Wenn zum Beispiel die Betonarbeiten an der Außenschale des Konzertsaals abgeschlossen sind, kommt man an fragliche Stellen, die eventuell nachgebessert werden müssen, nicht mehr heran", sagt de Meuron und fügt an: "Solche Probleme, wie sie hier vorliegen, habe ich in meiner Berufslaufbahn in der Tat noch nicht erlebt." Und er hat gleich noch einen Hinweis in Richtung ReGe: "Nur eine starke Führung führt zu einem erfolgreichen Ergebnis."