Storchnelke und Fleißige Lieschen, sie alle päppeln Hobbygärtner wieder auf. Zwei Oasen, die fast nichts kosten, aber einen Traum erfüllen.

Altona. Dass er sich mal als Hobbybotaniker betätigen würde, hätte Frank Behrens nicht gedacht. Diese hohe Wildblume zum Beispiel, die ihre zart violetten Blütenstände zusammenrollen kann wie die Tentakel eines Tintenfischs. Was könnte das sein?

Im Internet ist der Erzieher an einer Kindertagesstätte schließlich fündig geworden: Es ist eine Phacelia tanacetifolia , auch Büschelschön oder Bienenfreund genannt. Im PC hat Behrens ganze Ordner mit Fotos seiner Blumen. Er muss nicht ins wilde MeckPomm fahren, um Wildblumenwiesen zu bewundern. Er hat eine vor der Nase, in seinem Garten - mitten in Altona.

Behrens wohnt im Erdgeschoss eines Altbaus. "Hier stand früher eine Fabrik, der Boden ist nicht gut", sagt Behrens. Rollrasen oder Pflanzkübel kamen für ihn nicht infrage. Aber mit Wildblumen, die magere Böden brauchen, könnte es in diesem kargen Hinterhof klappen, dachte er. Im April 2010 säte er die "Wiesenmischung für das Norddeutsche Tiefland" der Firma Rieger-Hofmann in Raboldshausen aus. Im Sommer wirkten die fast 80 Quadratmeter zwischen Haus und Brandmauer noch wie ein Sandplatz mit vereinzelten tapferen Pionierpflanzen.

Auf die Idee hatten ihn Freunde vom Projekt "Bienenstaat" gebracht, das sich für die Ansaat von blühenden Wild- und Kulturpflanzen einsetzt, um in Hamburg neue Lebensräume für die Honigbiene zu schaffen - in privaten Gärten, auf öffentlichen Flächen und Brachen (Bienenstaat-Träger ist die Freie Kunstschule Hamburg in der Friedensallee). Frank Behrens wollte in seinem Hof "der Natur etwas zurückgeben", sagt er. Gern auch den Bienen.

Als Pioniere wuchsen im ersten Jahr Leinkraut, Wegwarte, Kornblumen, Lichtnelken, ein paar Mohnblumen und Hornklee. Im September wurde abgemäht - das muss sein, damit die Samenvielfalt wieder in den Boden gelangt. Heute kann sich Behrens in seine Wiese hineinlegen wie in ein dichtes Heubett. Im zweiten Jahr dominieren: Margeriten, Schafgarbe, Wilde Möhre, Glockenblumen, magentarote Wiesenflockenblumen, wilde Malven und Taubenkropfleimkraut. Dazwischen Wildgräser. Der Plan von "Bienenstaat" ist aufgegangen. "Die Wiese ist ein Insektenhotel", sagt Behrens. "Wir frühstücken morgens auf dem Steinplatz zwischen Bienen und Hummeln." Die klassischen "Unkräuter" Brennesseln, Sauerampfer, Löwenzahn gibt es hier nicht. In Behrens' privatem Hinterhof kann man lernen, wie eine Wildblumenwiese wirklich aussehen muss. Und wie sie sich anhört: nach lautem Summen.

Abends beleuchtet Behrens die Wiese mit LED-Solarleuchten, die man in den Boden stecken kann. Dann stört die Stille nur ein schnaufender Igel.

Inzwischen hat auch die Schiffszimmerer-Genossenschaft in ihrer Anlage auf dem Venusberg in der Neustadt eine Pilotwiese ausgesät, Wildblumenwiesen wachsen dank Bienenstaat im Volkspark und in Ottensen (unter www.bienenstaat.net ). Als Saatgut schlägt die Initiative die "Hamburger Mischung" aus Samen von 32 Kräutern und Wildblumen vor, die für das norddeutsche Tiefland geeignet sind. Mit Blüten, die Bienen glücklich machen.

Gegen diese "Wilden" wirken die Blumen im Garten der Obdachlosenhilfe Alimaus am Nobistor 42 eher konventionell: Bartnelken, Margeriten, Rosen, Männertreu, Gladiolen, sogar japanische Ahorne und natürlich Fleißige Lieschen. Alle standen mal in Supermärkten zum Verkauf. Und blieben dann doch übrig, manche noch einigermaßen frisch, andere schon halb verdurstet, weil Pflanzen in Supermärkten nicht gegossen werden dürfen. Wegwerfpflanzen also - wenn es keinen Abnehmer für sie gäbe: die Alimaus. Und wenn nicht Aldi, Rewe und andere Märkte beschlossen hätten: Wir spenden die Pflanzen Hamburgs einzigem Obdachlosengarten.

"Wenn die Blumen hier ankommen, sehen sie manchmal zum Heulen aus", sagt Toni Schröder. "Dann muss man sie erst einmal gießen und 24 Stunden stehen lassen, bis sie sich erholt haben. Am nächsten Tag: Loch buddeln, Wasser rein, einpflanzen." Die Methode hat offenkundig Erfolg: Rund um das rote Holzhaus der Alimaus blüht es bunt, sogar vom Dach hängen Ampeln mit Petunien. Das Haus wird von Nonnen geführt. Aber Schwester Clemenza, Schwester Henrike und ihre Helfer hätten keine Zeit zu gärtnern, sie versorgen mehr als 400 Bedürftige aus Altona und St. Pauli täglich mit kostenlosem Frühstück und mit Spenden aus der Kleiderkammer. Für den Garten zuständig sind Toni Schröder - rechts von der Haustür - und Hinnerk Stender - links davon. Zwei Köche und ein Brei, das wäre einer zu viel. Nur um den Rasen und die Hängepetunien kümmern sich beide Gärtner, deren Biografien so gebrochen sind wie die der Pflanzen.

Toni Schröder, 50, ist gelernter Zimmermann, aber mit Graben, Jäten, Plattenlegen und Einpflanzen kennt er sich aus: "Ich komme vom Dorf, Stavenhagen in Mecklenburg", sagt er und lockert gerade die Erde um eine Trompetenblume. "Meine Mutter war sehr empfindlich mit ihren Pfingstrosen, die hat mir alles beigebracht." Früher, in der DDR, war er bei der NVA, dann bei der Polizei, seit 1990 ist er in Hamburg, erzählt er. Arbeitete als Hausmeister und in verschiedenen Jobs. Irgendwann kam er zur Alimaus, "weil ich Hunger hatte. Da hab ich mal gefragt, ob ich helfen kann. Die sagten: Kannst du denn spülen? Mit dem Spülen fing es an."

Inzwischen hat er einen Qualifikationslehrgang für Garten- und Landschaftsbau gemacht. Aber der Alimaus-Garten fordert besonderes Improvisationstalent: Er darf nichts kosten. Erde, Dünger, Gartengeräte haben Mitglieder des Hilfsvereins St. Ansgar oder Förderer gespendet, das Gießwasser wird in Regentonnen aufgefangen.

Auf der anderen Gartenseite winden sich Goldruten, Phlox und Gladiolen zu zwei prachtvoll blühenden Schmetterlingsbäumen hinauf. "Wie ein bunter Drache, der sich aufrichtet", findet Hinnerk Stender, 47. Er wollte nach dem Abitur in Hamburg eigentlich Theologe werden, machte stattdessen eine Banklehre, dann eine Umschulung im Garten- und Landschaftsbau. Tat sich in verschiedensten Jobs um, zuletzt bei einem "Wochenblatt". "Als die pleitegingen, habe ich nichts Neues gefunden", sagt er. Die Nonnen kannten ihn, und so kam er zur Alimaus.

Der Schmetterlingsbaum macht seinem Namen alle Ehre: Auf den lila Blütendolden finden sich Tagpfauenaugen, ein Kleiner Fuchs und Kohlweißlinge ein. Die Gladiolen sind eine Spende vom Baumarkt Max Bahr, sagt Stender, stellt stolz seine Rosen vor, die Buchsbäume um die Beete. Ein Garten, findet Stender, muss etwas fürs Auge sein. Das ist bei der Alimaus nicht anders als im teuersten Designergarten.