Der Elbstrand zwischen Övelgönne und Blankenese ist ein Paradies für Paddler, Pärchen, Nudisten. Nicht immer geht es harmonisch zu.

Hamburg. Am Ende fackeln die Jugendlichen von nebenan ihren Grill ab. Immer wieder steigen Feuerbälle in den nun schon fast schwarzen Himmel. Glutrote Säulen erhellen die Dunkelheit, während sich der Tag unter dem Gejohle eines adoleszenten Pyromanentrios und dem sanften Dröhnen der gegenüberliegenden Containerterminals verabschiedet.

Es ist kühl geworden am Elbstrand, weshalb jetzt nur noch wenige Pärchen, flankiert vom schummrigen Licht mitgebrachter Kerzen, auf ihren Decken liegen. Auch sie werden bald das Kuscheln einstellen, ihre Sachen zusammenpacken und nach Hause gehen. Im Morgengrauen wird ein Radlader den Müll aus dem Sand sieben. Die Frühschicht an der Elbe beginnt.

Die Elbe, das sind in diesem Fall nur sechs Kilometer. Aber zwischen diese knappen vier Meilen passen Welten. "Nehmen Sie Ihren verdammten Köter an die Leine", ist da nur eine Facette von dem, was sich täglich zwischen Strandperle und Blankenese abspielt. Kleine Grausamkeiten, hervorgebracht von Radfahrern, die wegen tierischer Hindernisse den Zwangsabstieg proben, sind ebenso an der Tagesordnung wie höchste Verzückung über einen grandiosen Blick oder der nächste Heiratsantrag von Schmusi an Mausi. Dolce Vita und Drama liegen dicht beieinander. Menschen trifft man an diesem Abschnitt des Stroms jedenfalls genug. Ob spät abends oder ganz früh am Morgen.

"Ich mag die Elbe zu jeder Tageszeit. Aber morgens ist das Licht einfach am schönsten", sagt etwa Doris Bartram, während sie von einem Bein auf das andere hüpft. Die 46-Jährige darf jetzt nicht aus dem Rhythmus kommen, ihr Lauftraining hat gerade erst begonnen. Praktischerweise wohnt sie in Övelgönne und meint wie Hunderte andere Sportler auch: "Das ist die beste Laufstrecke der Stadt." Die dicken Pötte, der Duft der Bäume und das Gefühl des Sommers. "Ich genieße das jedes Mal, obwohl ich heute nach längerer Zeit das erste Mal wieder jogge."

Tochter Maxi und Ehemann Reiner sind zu Hause geblieben, die Analystin einer Versicherung hat etwas Zeit für sich. Vier Kilometer möchte sie heute noch schaffen. Bitteschön, Dankeschön, gute Reise!

Kurz hinter der Elbkate beginnt der inoffizielle Nudistenstrand. Regel Nummer eins an dieser Stelle: Besser nicht mit gezückter Kamera aufkreuzen! Derart indiskrete Annäherungsversuche werden mit Nichtbeachtung oder bösen Blicken bestraft. Ansonsten sind die Stammgäste aber weltoffen. "Die alten Freaks", sagt eine FKK-Anhängerin. Hier gibt es Menschen, die campen den ganzen Sommer im Sand. Andere, die ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen wollen, gehen von Blankenese hierher, legen sich drei Stunden nackt in die Sonne, wandern weiter zum Hauptbahnhof und fahren wieder zurück in den Elbvorort. Klingt komisch, ist aber wahr.

Für Ute Ausing, vollständig bekleidet und mit Dackel Karlchen unterwegs, ist dieser Ort ein Sammelsurium an Kunst. Mit aufmerksamem Blick sucht sie den Flutsaum nach Treibgut ab, bückt sich und hebt einen Stock auf. Oft findet die Othmarscherin Holz, das aussieht wie "Zackenbarsche ohne Krone", "Osterfeuergeschändete Seeigel" oder "Eichhörnchen auf Surfbrettern". So nennt sie ihre Fundstücke, die sie zu Hause auf weiße Leinenrahmen klebt und ihnen somit ein zweites Leben als Kunstwerk schenkt. Die 69-jährige gebürtige Sylterin: "Jedenfalls habe ich auf der Insel gelernt, am Strand auf den Boden zu schauen." Das komme ihr bei ihrem Hobby entgegen. "Oft sind es die Astreste in einem Stock, die mich an Augen erinnern. Und irgendwann sehe ich dann, was es ist. Ein Hai, eine Ente oder auch ein Flamingo." Nach Sturmfluten oder besonders drückenden Hochwassern sei die Ausbeute am besten. Dann rückt die Elbe Kunst heraus.

In Richtung Teufelsbrück wimmelt es fast immer. Jogger, Radfahrer, Hundehalter, Kinder auf Laufrädern, Kinder in Kinderwagen und Kinder auf Skateboards machen den Gehweg schmal. Fast so schmal wie die Augen von Peter Kedzior. Der Lüneburger hat die Nacht durchgeangelt und sieht auch so aus. Mit roten Klüsen, hängenden Lidern, gestutztem Oberlippenbart und Kippe im Mund sitzt er in der Mittagzeit hinter dem Teufelsbrücker Anleger. Seit dem Eintreffen der Flut gegen 1.30 Uhr habe er kein Auge zugetan. "Sieben, acht Aale habe ich gefangen. Aber nur einer war groß genug." Den wolle er nun räuchern. Lecker sei das. "Die Elbe ist eigentlich ein gutes Angelgewässer", sagt der Arbeitssuchende.

Für gewöhnlich gehe der Aal mit der Flut auf Futtersuche. Warum er nicht zufriedenstellend biss? "Ich weiß es nicht." Auf jeden Fall sei Angeln im Stadtgebiet "entspannt" und "groß". Oder, um es mit den Worten des 25-Jährigen zu sagen: "Es ist eine Sportart, bei der man sich nicht so anstrengen muss."

Das mag für das Angeln ebenso wie für einige verlassene Strandbereiche gelten. Aber in den Nachmittagsstunden sind die exponierten Fleckchen voll - und mitunter auch anstrengend. Hamburgern muss man nicht erzählen, dass 20 Minuten Wartezeit an der knackvollen Strandperle zur Regel werden können. Trotz des dauerrotierenden Personals. Und auch im gastronomiefernen Bereich ist kaum Zeit zum Luftholen: Wo ist das Kind? Erbricht sich auf der Nachbardecke. Was macht der Hund? Pinkelt an den Kinderwagen. Interessenkonflikte sind bei so vielen Menschen auf so wenig Strand programmiert. Leinen Sie Ihr Kind an! Nehmen Sie den Hund weg! Nicht jeder ist so gelassen wie der ZZ-Top-Bart-tragende Opa, der seinen Enkel auf Bongos konditioniert hat. Opa trommelt, Kind kommt. Geht auch super. Am Elbstrand.

Weiter draußen, auf dem Wasser, hat man in jedem Fall seine Ruhe. Dort heißt es jetzt, und es geht schon dem Abend zu, Bahn frei für einen Angehörigen des "Rings der Einzelpaddler". Rainer Heuer, 52, paddelt seit 35 Jahren und mindestens einmal in der Woche auf der Elbe. Seine Route: von Blankenese nach Övelgönne und zurück. Die Tide mache den Fluss zu einem interessanten Paddelrevier. "Es ist jedes Mal anders. Da ist Dynamik drin. Ich mag das", sagt der Pinneberger, der außerhalb der Ferien auch die Jugend als Trainer an den Strom heranführt. Dann muss er weiter. Eine Fähre schiebt fiese Wellen an den Strand. Für Paddler wie Rainer Heuer ist das in Ufernähe Gift. Läuft der Kajak auf Grund oder wird vom Wasser überrollt, gibt es mindestens einen nassen Schoß. In Richtung Hafenkräne zieht der Paddler davon.

Als Hamburger muss man sich irgendwann entscheiden. HSV oder St. Pauli, Alster oder Elbe. Schaufenster sind beide Flussufer, immerhin das eint sie. Hier präsentieren sich die verträumten Jongleure und die etwas moderner wirkenden Slackliner, die einen Spanngurt zwischen zwei Baumstämmen zur Seilartistik nutzen. Hier gehen Menschen auf die Suche nach anderen Menschen oder nach Sachen, die sie gebrauchen könnten: einen freien Kopf zum Beispiel, eine Muschelsammlung oder einen Raum für Träume.

"Ich wollte immer mal einen Fischkutter haben", sagt Peter Wieting, und hier könne er zumindest davon träumen. Er sei an der Weser groß geworden, habe also von Natur aus etwas für Flüsse über. Und heute Abend war es mal wieder so weit: Mit Freundin Tanja Bartelt und Labradorhündin Gertrud hat er seinen Picknickkorb gepackt ("Etwas Brot, ein bisschen Salat und viel Bier"), um sich in den Sand zu setzen. "Eigentlich wohnen wir in Alsternähe. Aber Gertrud findet die Elbe super. Und ich muss sagen, dass beide Gewässer gleich schön sind", sagt Tanja Bartelt, eine Reederei-Angestellte. "Im Büro bin ich den Schiffen auch nah, aber hier noch einmal ganz anders." Und für ein lauschiges Picknick im Sommer gebe es kaum einen besseren Ort als den Elbstrand. Nun will Gertrud aber zum Wasser. Auf Wiedersehen, im Elbsand.

Bis in den späten Abend sitzen Leute auf ihren Decken. Rauchen, trinken, reden, schauen, schweigen und küssen. Am Ufer vor dem Burchardkai sitzen noch zwei Angler. Eine erste Zwischenbilanz: "Bisse ja. Fische nein. Ist noch ziemlich dünn heute." Wenig später fackeln die Jugendlichen von nebenan ihren Grill ab. Der Elbstrand kann auf diesen sechs Kilometern eben vieles sein: die Bronx mit brennenden Mülltonnen oder das Paradies am Fluss.