Altona. Die Ärzte und Pfleger in der Asklepios-Klinik in Altona sind seit Wochen im Dauereinsatz - und gelangen an den Rand ihrer Möglichkeiten.

Der Feind im Körper zeigt seine Spuren hier mit einer dunklen, fast schmutzig-gelben Flüssigkeit. In durchsichtigen Beuteln, fast so groß wie Einkaufstaschen, hängen sie über den Patientenbetten. Dialysemaschinen surren. Kerstin M. erhebt sich ein Stück vom Kissen, lächelt vorsichtig. Zwei Kanülen stecken in ihrem Hals, ein Schlauch führt zu einem der gelben Beutel. Ja, es gehe ihr jetzt einigermaßen, sagt die junge blonde Frau. Besser jedenfalls als vor ein paar Tagen, "Da dachte ich, dass ich jetzt sterben muss."

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Der Körper der 29 Jahre alten Frau krampfte an diesem Tag plötzlich, sie war schlagartig halbseitig gelähmt durch die Giftstoffe, die der EHEC-Erreger in ihrem Körper produzierte und die mit ihren vielen unterschiedlichen Wirkungen auf den Menschen die Ärzte noch immer vor Rätsel stellt. Wie bei derzeit 151 anderen Hamburgern auch hatte sich bei ihr aus der Infektion mit dem EHEC-Bakterium ein Hämolytisch-urämisches Syndrom gebildet. Das HUS - das zum großen Schrecken dieser EHEC-Epidemie geworden ist und bundesweit schon 21 Todesopfer gefordert hat. Das Gift der Bakterien zerstörte Zellen in ihrem Blut, die Nieren versagten. Und wie so viele EHEC-Erkrankte musste sie in die eigens für diese Epidemie aufgebaute Blutwäsche-Station, die hier in der Asklepios-Klinik Altona provisorisch in der alten Notfall-Aufnahme eingerichtet wurde. Zusätzliche Blutwäsche-Maschinen kamen hinzu, Paletten mit Kartons voller Schutzkittel und Mundschutz-Tüchern stehen vor dem Eingang. Neben dem Universitätsklinikum Eppendorf ist Altona eine der beiden derzeitigen EHEC-Zentren in Hamburg. Von anderen Notfällen werden sie in der Stadt weitgehend freigehalten. Bis zu 40 Patienten mit der schweren Darmkrankheit werden in zwei eigens eingerichteten Sonderstationen in Altona behandelt. Oder, bei schweren Komplikationen, auf der Intensivstation. Ärzte, Pfleger und Reinigungskräfte arbeiten fast rund um die Uhr. Urlaube wurden gestrichen, zusätzliches Personal geordert. Und die Behörde überlegt bereits, pensionierte Ärzte zurückzuholen, wie Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks ankündigte.

Der 33-jährige Dr. Hauke Weilert ist einer der Ärzte, die in Altona im EHEC-Dauereinsatz sind. Sonst kümmert er sich um Krebspatienten, ist ein Spezialist bei der Plasmapherese - dem Austausch von Blutplasma, das normalerweise nur wenige Male in der Woche als Therapie eingesetzt wird. In diesen EHEC-Tagen kommt er auf bis zu 20 Behandlungen am Tag: 20-mal zwischen drei bis vier Liter Plasma, der von den roten Blutkörperchen getrennten Blutflüssigkeit, die ausgetauscht wird. "Das sind riesige Mengen, wir haben aber noch genug", sagt er durch den Mundschutz.

Für eine einzige Austausch-Behandlung benötigen die Ärzte dabei so viel Blutplasma, wie zwölf Spender normalerweise abgeben, sagt er und kontrolliert am Hals seiner jungen Patientin die Kanülen. Im Nebenbett stöhnt eine ältere Frau auf, ihr Gesicht ist fahl und blass. Auch über ihr hängt ein dunkelgelber Beutel. Es ist das Blutplasma der Patienten, das normalerweise hellgelb ist. Doch das Gift der Bakterien löst die roten Blutkörperchen auf, was übrig bleibt, zeigt sich in der dunklen Farbe.

Einige Stockwerke über der provisorischen Blutwäsche-Station in Altona steht Professor Friedrich Hagenmüller vor einer großen weißen Tafel, auf der Patientennamen und etliche Abkürzungen verzeichnet sind. Der 62 Jahre alte Mediziner ist Ärztlicher Direktor in Altona und Chef der Gastroenterologie, wo Magen- und Darmkrankheiten behandelt werden. "Nein", sagt er, so eine Ausnahmesituation wie jetzt beim EHEC-Ausbruch habe er noch nicht erlebt. Hagenmüller deutet auf die Tafel: "Der Darm der Patienten wird auch noch von einer Vielzahl anderer Erreger regelrecht überfallen", erklärt er. Die Tafel zeigt, wer außer EHEC noch einen zusätzlichen Feind im Darm hat, etwa das Norovirus. Jeder Fall erfordere dann andere Hygiene-Schutzmaßnahmen. Die Gänge der Station sind daher mit Rollwagen regelrecht voll gestellt, in denen Schutzkleidung und Desinfektionsfläschchen bereitstehen. "Das Rätselhafte aber ist, dass die Patienten so viele sehr unterschiedliche Krankheitsbilder zeigen", sagt Hagenmüller. Mal sind es epileptische Anfälle, mal Lähmungen der Muskeln. Kaum lässt sich absehen, was passiert. Und oft verschlechtert sich der Zustand sehr schnell. "Das macht vielen auch Angst, nicht nur den Angehörigen", sagt Pflegedirektorin Sabine Rex. "Ein Herzinfarkt ist greifbar - das hier nicht."

Auch Helge Otto fühlte sich in diesen Tagen manchmal unsicher. Der große, kräftige 35 Jahre alte Hobbyhandballer ist Oberarzt auf der Station und arbeitet, nur von gelegentlichen Schlafpausen unterbrochen, seit drei Wochen durch. "Da ziehen alle hier mit in dieser Situation", sagt er. Ärzte und Pfleger haben in Altona eigene Patiententeams gebildet. "So können wir besser reagieren, wenn sich ein Zustand rasch verändern sollte." Das heißt aber auch, ständig bereit zu sein, nachts hochzuhasten, wenn das Telefon klingelt. Belastend? "Nun ja", sagt Otto, "in einer solchen Situation gehört das einfach zum Beruf." Belastend sei etwas anderes, sagt er dann noch. Und das hat mit den Patienten zu tun. Sonst sind es eher alte Menschen, welche mit Vorerkrankungen oder auch Suchtproblemen, die so krank werden. Doch EHEC, so scheint es, trifft vor allem junge, sportliche und gesund lebende Männer und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren. Oft Akademiker wie die Ärzte selbst. Oder Nachbarn und Bekannte.

"Man denkt dann immer: Das kann mich und meine Familie auch treffen, ganz plötzlich", sagt Otto. Doch schwarzsehen will er nicht. Immerhin hat die Altonaer Klinik auch 88 EHEC-Patienten geheilt und ohne Folgeschäden entlassen können. So wie bald die 29 Jahre alte Produktmanagerin auf Zimmer zwei, die er heute noch ansehen will. Noch immer sind an ihrem Bett Schutzmaßnahmen notwendig, die Eltern der Patientin tragen grüne Kittel und Mundschutz. Seit dem 17. Mai liegt sie schon in der Altonaer Klinik, teilweise auf der Intensivstation. Vielleicht ist sie jetzt sogar völlig EHEC-frei, sagt Oberarzt Otto. Vielleicht hat er den Feind in ihrem Körper besiegen können.