So schnell kann ein vergessener Klick bei Facebook ins Chaos führen: Eine Hamburgerin lud zur Geburtstagsparty - 14.000 wollen kommen.

Heute wird Thessa aus Hamburg 16 Jahre alt. Das war und ist traditionell ein wichtiges Datum im Leben eines Teenagers. Man ist fast schon erwachsen, irgendwie, die meisten 16-Jährigen fühlen sich jedenfalls so, und deshalb muss ordentlich gefeiert werden.

Thessa, Schülerin am Albert-Schweitzer-Gymnasium, wollte an diesem Freitagabend auch Party machen, daheim, unterm Dach ihrer Eltern. Die Familie wohnt in einer Seitenstraße, in einer gutbürgerlichen Gegend in der Nähe des Friedhofs Ohlsdorf. Die Gärten sind gepflegt, es ist ruhig, doch es ist nur die Ruhe vor einem Sturm, der spätestens am Nachmittag über Klein Borstel hereinbrechen könnte. Wenn sich vielleicht Tausende Jugendliche versammeln, um Thessa zu ihrem 16. Geburtstag zu gratulieren. "Wir haben die Situation im Auge und werden nach Bedarf entscheiden", heißt es vonseiten der Hamburger Polizei. Derzeit beschränke man sich aufs Streifefahren.

Es heißt, dass Thessas Vater bereits einen privaten Sicherheits- und Ordnungsdienst engagiert habe, für alle Fälle. Sicher ist nur, dass die Party des Jahres mit den angekündigten 14 000 Gästen nicht stattfinden wird. Denn Thessa nebst Familie wird aller Voraussicht nach nicht anwesend sein. Was dazu führen könnte, dass einige der angereisten und sicherlich enttäuschten Partygäste randalieren könnten.

Was war geschehen?

Am vergangenen Montag hatte Thessa ihre Geburtstagseinladung im größten sozialen Netzwerk der Welt, Facebook, an ihre Freunde online ausgesprochen. Neudeutsch heißt das, sie hat eine "Veranstaltung gepostet". Das ist ja auch moderner, bequemer und viel günstiger, als Einladungskarten zu beschriften, zu verschicken oder zu verteilen. Leider unterlief der Gymnasiastin ein klitzekleiner Fehler: Denn sie stellte ihre Geburtstagsparty versehentlich "öffentlich" ins Netz und lieferte damit einen weiteren Beweis dafür, wie intensiv ein soziales Netzwerk wie Facebook inzwischen genutzt wird, was für eine immense Bedeutung es mittlerweile hat. Bis zum späten Abend desselben Tages hatten bereits mehr als 7500 Nutzer ihre Teilnahme an Thessas Geburtstagsparty bestätigt, im Sekundentakt kamen immer neue Partygäste hinzu. Als die Schülerin ihren Fehler bemerkte und die Veranstaltung daraufhin sofort löschte, hatte sich die geplante "Party des Jahres" längst verselbstständigt. Innerhalb kürzester Zeit wurde von unbekannten Nutzern ein neues Facebook-Konto ("Thessas Sweet 16") eröffnet und das Spielchen mit der Einladung zu ihrer Geburtstagsparty munter weitergetrieben.

Am 31. Mai war dann die 12 000- Zusagen-Marke geknackt, wobei über 55 000 Anfragen noch ausstanden. Die Adresse der Familie, nebst Telefonnummern, kursierte im Netz, in diversen Foren verabredeten sich Fahrgemeinschaften aus ganz Deutschland, für 19,90 Euro konnte man sich ein bedrucktes T-Shirt bestellen, und auf der Plattform von youtube.de stellte der mehr oder minder bekannte Komponist Max Gamper einen offiziellen "Thessa-Geburtstagssong" ins Netz. Thessas Facebook-Konto besteht zwar nicht mehr, auch wurden inzwischen von offizieller Seite - von Facebook aus - alle maßgeblichen Informationen gelöscht, doch offensichtlich gibt es immer genug User, die auf diversen Internetseiten und in Blogs dazu auffordern, die Geburtstagsparty zu besuchen.

Die Familie ging auf Tauchstation und Moritz Karg, Referent für Datenschutz im Internet der Verbraucherzentrale des Landes Schleswig-Holstein, sagt: "Das ist das perfekte Beispiel dafür, dass Facebook beim Datenschutz schlampt." Deshalb könne man Thessa auch gar keinen Vorwurf machen. Es sei zwar generell ein Problem, wenn Minderjährige ein solches Netzwerk nutzten, "doch gerade die falschen Grundeinstellungen, die bei der Eröffnung eines Kontos aktiviert werden, vergrößern die Lücken im Datenschutz." Thessa hatte bloß ein winziges Häkchen versehentlich nicht angeklickt und damit die Öffentlichkeit aktiviert.

Professionelle Datenschützer, aber auch mehr und mehr Internet-Aktivisten kritisieren inzwischen den "Fall Thessa" und verweisen auf ein paar negative Beispiele in jüngster Vergangenheit. So waren in Großbritannien im Februar 2010 etwa 50 ungebetene Gäste der öffentlichen Einladung einer 15-Jährigen gefolgt und hatten einen Schaden von rund 15 000 Pfund angerichtet. In Hohenbrunn in Bayern musste eine 18-Jährige die Polizei rufen, als plötzlich 300 ungebetene Gäste auftauchten. Beinahe unvergessen dagegen ist die Strandparty von Sylt vor knapp zwei Jahren, als sich rund 5000 Partygäste auf den Weg nach Westerland machten, um dem damals 26 Jahre alten Schleswiger Christoph Stübner mit der Riesenfete beim Frustschieben über das Ende seiner Liebesbeziehung hinwegzuhelfen - über 14 000 Menschen hatten sich ursprünglich angemeldet. Allerdings stellte die Tourismuszentrale auf der Insel dem Partymacher für den Einsatz mobiler Toiletten und die Strandreinigung eine Rechnung in Höhe von 20 230 Euro (brutto); im Raum stehen auch finanzielle Forderungen der Gemeinde Sylt, der Regionalbahn NOB sowie von Bahn und Polizei. Stübner, der sich nicht als "Veranstalter" betrachtet, obwohl er eingeladen hatte, hat diese Forderungen inzwischen an einen Anwalt weitergereicht, wahrscheinlich kommt es noch zu einer Gerichtsverhandlung, denn die private Strandparty hat selbstverständlich hohe Kosten erzeugt.

Doch ganz gleich ob Sylt oder Klein Borstel: Mit der klassischen Flashmob-Philosophie haben solche Party-Events wahrscheinlich nur entfernt zu tun, wenn überhaupt. Christian Thielke, Administrator und Gründer der Homepage Flashmob-hh.de, sieht durch solche, auch unabsichtlich, herbeigeführten Aktionen den Ruf von Flashmobs gefährdet und nennt den Aufruf zu Thessas Geburtstagsparty eine "absolut schwachsinnige Aktion". "Echte Flashmobs dauern nur wenige Minuten und niemand kommt dabei zu Schaden", sagt der 20-jährige Informatiker. "Flashmobs sollen lustig sein. Mich und die Community ärgert es, dass Thessas 16. Geburtstag als ein Flashmob durchs Internet kursiert.

Auf der Flashmob-Homepage fordert Thoelke daher dazu auf, auf keinen Fall am Freitag die Party zu stürmen. "Ich wünsche Thessa wirklich, dass alles gut geht und es zu keinem Chaos kommt." Ein Mitstreiter namens "Demophob" formulierte es drastischer: "Es ist schon erschreckend, dass über 14 000 Menschen nichts Besseres/Sinnvolleres im Leben zu tun haben, als auf Facebook nach Partygelegenheiten zu suchen. Das Partyvolk ist so was von erbärmlich oberflächlich und geistig zurückgeblieben!" Und ein gewisser "John Kortüm" mahnte: "ich sag euch geht da nicht hin!! bestimmt viele bullen und in so ne kleine straße wenn da 15 000 leute kommen ended das wie auf der loveparade!!!!!"

Tatsächlich soll der klassische Flashmob nicht nur lustig, sondern auch möglichst sinnfrei sein, was ihn vom "Smartmob" definitiv unterscheidet. Als einer der frühesten Flashmobs gilt eine Aktion des amerikanischen Journalisten Bill Wasik, der am 3. Juni 2003 in New York mehr als 100 Menschen zunächst in der Teppichabteilung eines Kaufhauses um einen Teppich versammelte, die unisono erklärten, dass sie einen "Liebesteppich" suchten und Kaufentscheidungen grundsätzlich gemeinsam träfen. Danach versammelte sich eine noch größere Gruppe in einer Hotel-Lobby, wo sie exakt 15 Sekunden applaudierte und von dort geschlossen in ein Schuhgeschäft aufbrach, wo sich die Flashmobber als Touristen ausgaben. Wasik schrieb später über die Aktion, dass es seine Absicht gewesen sei, "hippe Leute vorzuführen, die in einer Atmosphäre der Konformität nur danach strebten, Teil der nächsten großen Sache zu werden, egal wie sinnfrei diese ist".

Die aufkeimende Begeisterung an solchen Aktionen, die eine erstaunlich hohe öffentliche Aufmerksamkeit erregten, führte rasch zu Nachahmungen ohne ironischen Hintergrund. Eine Art Flashmob-Tsunami schwappte von den USA nach Europa, wo es Ende Juli 2003 mehrere solcher Mobs in Zürich, Rom und Wien gab. Doch schon im Herbst 2003 ging das Interesse zurück, bevor im Sommer 2007 die Idee wieder belebt wurde. Dies hatte man vor allem politischen Organisationen zu verdanken, die mit themenspezifischen Flashmobs (oder eben auch Smartmobs) auf gesellschaftliche Ziele aufmerksam machen wollten.

Als Vorreiter in Deutschland gilt die Handelsgewerkschaft Ver.di, die bei Tarifauseinandersetzungen Flashmobs gezielt zur Besetzung und Blockade von Geschäften im Einzelhandel einsetzte. Solche Aktionen, bei denen Bürger über das Internet Massenaktionen organisieren, seien von der im Grundgesetz verankerten Betätigungsfreiheit von Gewerkschaften gedeckt, entschied das Bundesarbeitsgericht. Dagegen hat der Handelsverband Deutschland nach eigenen Angaben bereits im Dezember 2009 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt.

Und schon am 31. August steht ein weiteres Event an: An diesem Vorabend des neuen Alkoholverbots in U- und S-Bahnen des HVV sollen/wollen sich unter dem Motto "Einer geht noch! Ein letztes Mal trinken in U- und S-Bahn!" Tausende auf den Bahnsteigen und in den Zügen noch mal so richtig die Kante geben.

Aber heute hat Thessa erst einmal Geburtstag. Es ist ist anzunehmen, dass sie gerade diesen 3. Juni ein Leben lang nicht vergessen wird.