Am Unfallort gedenken Dutzende der vier Todesopfer und suchen Erklärungen für das Unerklärliche. Wie konnte es zu dem Unfall kommen?

Eppendorf. Die Augen der Trauernden sind gerötet, ihre Tränen auch drei Tage nach dem schweren Unfall nicht getrocknet. An der Kreuzung Eppendorfer Baum/Lehmweg, wo am Sonnabend ein Fiat Punto zunächst in ein VW Golf Cabriolet gerauscht und anschließend mit voller Wucht in eine Gruppe wartender Fußgänger geschleudert war, halten Dutzende inne, um der vier Todesopfer zu gedenken. Hamburg ist schockiert, Eppendorf traumatisiert.

+++Mitten im Leben, mitten aus dem Leben+++

"Wie soll man sich vor einer solchen Tragödie schützen?", fragt Neithardt Riedel und fasst damit zusammen, was viele fühlen: Es hätte jeden treffen können. Jeder hätte unter den Fußgängern sein können, die an der Fußgängerampel auf grünes Licht warteten. Wie der bekannte Soziologe Günter Amendt, der von der Last des Wagens niedergedrückt wurde und noch an der Unfallstelle starb. Und wie der ebenfalls getötete Schauspieler Dietmar Mues und seine Frau, die Neithardt Riedel, selbst Drehbuchautor, beide persönlich kannte. "Wir haben viele schöne Abende miteinander verbracht, mein Mitgefühl gilt vor allem den drei Söhnen."

+++Dem Täter droht mehrjährige Haftstrafe+++

Deren Mutter, die Lehrerin Sibylle Mues, wird auch von ihren Schülern schmerzlich vermisst. In dem Meer von Blumen liegen viele Briefe, einen davon hat die zehnjährige Fee von Schultzendorff geschrieben. "Ich habe ihr gesagt, dass sie ein gutes Herz hatte und sehr nett war, und dass ich jetzt sehr traurig bin", sagt die Gymnasiastin, die einst die Marie-Beschütz-Grundschule besuchte. Auch Marie Biermann, 30, hat den Unglücksort aufgesucht. "Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen", sagt sie. Wie viele, die diesen tragischen Unfall womöglich sogar selbst mit ansehen mussten. Es sind schlimme Bilder, die sich in das Gedächtnis der Augenzeugen eingebrannt haben. Vergessen werden sie diese wohl nie, verarbeiten hoffentlich schon. Auch wenn das noch Tage, Wochen oder vielleicht sogar Monate dauern kann.

+++Hatte Todesfahrer epileptischen Anfall?+++

"Hat das Unglück eine psychobiologische Alarmreaktion ausgelöst, dann kehrt die Erinnerung womöglich immer wieder in sogenannten Flashbacks zurück", sagt der Trauma-Experte Dr. Andreas Krüger, der gerade den Ratgeber "Powerbook - Erste Hilfe für die Seele" (Elbe & Krüger Verlag) veröffentlicht hat. Gerade Eppendorfer, die im Alltag immer wieder die Unglückskreuzung passieren, erleben den schweren Unfall im Kopf vielleicht immer wieder. "Möglich, dass jemand den Schriftzug der BackWerk-Filiale sieht, den das Gehirn sofort mit dem Ereignis verknüpft."

+++Zahl der Unfälle unter Drogen stagniert+++

Den unter Schock stehenden Augenzeugen, aber auch den trauernden Angehörigen der vier Todesopfer, sollten sich Freunde "unaufdringlich als Gesprächspartner" anbieten, rät der Experte. "Reden kann eine gute Medizin sein. Aber es ist auch möglich, dass jemand durch häufiges Nacherzählen des Erlebten aufgewühlt wird."

Der 38-jährige Unfallverursacher, ein Immobilienkaufmann aus Lokstedt, sei jetzt in einer "sehr schwierigen Lebenssituation", sagt Andreas Krüger. "Er wird juristisch belangt und moralisch verurteilt", sagt Krüger über den Fahrer, der offenbar unter Drogeneinfluss stand, als er die rote Ampel ignorierte und auf die Kreuzung bretterte. "Der Mann ist womöglich selbst traumatisiert. Er muss intensiv betreut werden und darf nicht einsam sein."

Für viele Hamburger scheint die Tragödie auch drei Tage später noch unbegreiflich, unwirklich, unglaublich. So hätte wohl auch jeder diese Verkettung einzelner Schicksale, die am Sonnabend auf der Kreuzung Eppendorfer Baum/Lehmweg aufeinanderprallen sollten, beschrieben - wäre es die Handlung eines Films oder eines Romans gewesen. "Konstruiert", hätten die Kritiker wohl gesagt.

Die Opfer sind vier prominente Kulturschaffende, und in dem Wagen, der angefahren wird, sitzt Schauspieler Peter Striebeck mit seiner Frau, ein Kollege und Freund des tödlich verunglückten Dietmar Mues. Wie lässt sich also das Unerklärliche erklären?

+++ Günter Amendt: Der berühmte Soziologe +++

+++ Dietmar Mues: Der bekannte Schauspieler +++

+++ Angela Kurrer: Die engagierte Bildhauerin +++

"Brutale Kontingenz", nennt es der Hamburger Philosoph Robert André und meint damit eine Folge grausamer Zufälle. "Es ist ein menschliches Bedürfnis, einen inneren Zusammenhang zu vermuten und Muster zu erkennen", sagt er. Das liege an der Sehnsucht, das Chaos zu ordnen. Allerdings dürfe man dabei die Vorgänge nicht überinterpretieren. "Viele schauen sich jetzt beispielsweise das Datum an, vermuten eine schicksalhafte Bedeutung, wie sie in Deutschland dem 9. November zugeschrieben wird", sagt der promovierte Philosoph. Antworten gebe es nie nach einer Tragödie. "Höchstens den Ansatz, für sich selbst noch einmal über Zufall und Schicksal nachzudenken."

Die Trauernden, die sich am Unglücksort versammelt haben, sind teils auch wütend. "Ich sitze hier seit einer halben Stunde und in der Zeit sind mindestens vier Autos rechts abgebogen, obwohl das verboten ist", sagt Werner Wohlgemuth, 81. Andere Eppendorfer sehen das ähnlich. "Hier muss sich etwas ändern, ein Kreisverkehr muss gebaut werden", sagt eine Frau. Andere werfen ein, dass das einen Raser im Drogenrausch auch nicht aufhalte. Ulla Piel, 71, sagt: "Wenn ich nicht immer genau gucken würde, ob mich ein Abbieger übersieht, hätte es mich an dieser Ecke schon längst mal erwischt."