Elf Hamburger Islamisten machten sich im März 2009 nach Afghanistan auf. Die Geschichte eines Scheiterns auf dem Weg zum Terroristen.

Selbst der Heilige Krieg kostet mittlerweile Geld. Wer ihn kämpfen und als Märtyrer sterben will, muss dafür bezahlen. Denn nicht jeder Tod ist umsonst. Der Hamburger Shahab D. nimmt wenige Tage vor seiner Reise nach Pakistan ein Darlehen über 2000 Euro auf. Mehr gibt ihm die Bank nicht. Er wird es nicht zurückzahlen. Seine Ehefrau versetzt ihren kompletten Goldschmuck. Shahab D., 27, vom Verfassungsschutz als Ilsamist eingestuft, geht zu Saturn an der Mönckebergstaße. Er kauft so viele iPhones und Laptops, wie er auf Pump bekommen kann. Sofort versilbert er sie via Ebay. Auch seine zehn Mitstreiter reizen ihre Dispo-Kredite aus. Kriegsanleihen, gewissermaßen.

Sie investieren das Geld in One-Way-Tickets nach Pakistan. Manche fliegen über den Iran, manche über Katar. Einige schlagen sich über die grüne Grenze. Das Geld, das sie noch übrig haben, wird ihnen schon bei der Begrüßung abgenommen - von den Schleusern der al-Qaida. Das war nicht immer so bei der Terrororganisation. Noch vor wenigen Jahren gab es so etwas wie Tarifverträge für Heilige Krieger. Sie bekamen Lohn, die Arbeitszeit war geregelt. "Es gab sogar Anspruch auf Kranken- und Urlaubsgeld", sagt ein Geheimdienstler.

Die Hamburger Reisegruppe schert das nicht. Es sind Überzeugungstäter, die sich am 4. März 2009 auf den Weg ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet machen. Neun Männer und zwei Frauen im Alter von 23 bis 52 Jahren. Sie sind beseelt davon, gegen Ungläubige in den Krieg zu ziehen. Sie sind voller Optimismus, denn in diesem Heiligen Krieg werden immer mehr Erfolge gegen die westlichen Truppen gefeiert.

Bald taucht Shahab D., der sich mittlerweile Abu Askar nennt, in einem Drohvideo auf, in dem er Anschläge im Umfeld der Bundestagswahl 2009 ankündigt. Martialisch posiert er mit einem riesigen Schwert.

Doch nicht alle Mitglieder der Reisegruppe haben es so weit geschafft. So etwa die beiden Hamburger Konvertiten Alexander J., 30, aus Wandsbek und Michael W. 25, aus Bergedorf. Sie hatten sich zunächst von Wien aus auf die Reise gemacht - mit Wissen der deutschen Sicherheitsbehörden. Verhindern konnten die Behörden die Abreise aber nicht mehr. Deutschen kann der Pass weggenommen werden, wenn sie "dem Ansehen Deutschlands im Ausland schaden wollen". Da die beiden aber schon in Österreich sind, greift das deutsche Gesetz nicht mehr. Das Duo scheitert trotzdem. In Pakistan werden sie von der Polizei aufgegriffen, inhaftiert und nach zwei Monaten nach Deutschland ausgeliefert. In Hamburg müssen sie nicht ins Gefängnis. Die Pässe nimmt man ihnen aber ab. Manchmal jobben sie als Pizza-Boten.

Aber selbst diejenigen, die es in das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan schaffen, sind schnell desillusioniert. So haben sie sich den Heiligen Krieg nicht vorgestellt. Sie leben sie in völlig primitiven Verhältnissen. Fließend Wasser, Toiletten, Strom und Heizung - all das gibt es nicht. Aber auch die kulturellen Unterschiede machen ihnen zu schaffen. Plötzlich haben sie es etwa mit Usbeken zu tun. Die Verständigung ist schwer bis unmöglich. Die Hamburger fangen an zu zweifeln. Statt gleich in den Krieg zu ziehen, macht der Lageralltag ihnen zu schaffen. Andere haben ganz profane Probleme: Heimweh. Sie vermissen ihre Familien. So haben sie sich den Heiligen Krieg nicht vorgestellt. In der Hamburger Taiba-Moschee (ehemals al-Kuds-Moschee) hatten sich die Männer nach den Freitagsgebeten heißgeredet. Ende 2008 fühlten sich die ersten von ihnen berufen, sich in den Krieg in Afghanistan einzubringen. "Die Intention war es, sich für Anschläge dort ausbilden zu lassen", so ein Geheimdienstler. Asadullah M., 52, ist der Logistiker, der hinter den Reiseplänen steckt.

Eine Vertrauensperson für die Radikalen ist Naamen M. Der 40 Jahre alte gelernte Systemelektroniker mit französischem und algerischem Pass jobbte in Hamburg als Taxifahrer. Sein Schwiegervater hatte in der al-Kuds-Moschee schon die Attentäter des 11. September 2001 um Mohammed Atta fanatisiert. Naamen N. wird dem Umfeld von Atta zugerechnet und hatte bereits 2003 mit fünf anderen Hamburger Islamisten vergeblich versucht, sich dem Dschihad im Irak anzuschließen.

Doch auch mit einem derartigen Beinahe-Veteranen im Schlepptau kommt der Kampf am Hindukusch nicht in Schwung. Die al-Qaida-Kommandeuere halten die Hamburger für verweichlichte Westler - und lassen sie das deutlich spüren. Aber dennoch hat man Pläne mit ihnen. Statt in den afghanischen Bergen zu kämpfen, sollten sie nach Europa zurückkehren, sich westlich kleiden, keine Bärte tragen, unauffällig in den Städten untertauchen. Der Auftrag lautet, langfristig "Schläferzellen" aufzubauen und dann irgendwann, auf Befehl, Anschläge in den Großstädten zu verüben. "Dies war aber ein langfristiges Ziel", sagt ein Geheimdienstler. Konkrete Anschlagspläne habe es bislang nicht gegeben.

Aber die Hamburger Reisegruppe kann den Auftrag nicht erfüllen. Der 36-jährige Ahmad S. wird von den Amerikanern geschnappt und sitzt im Militärgefängnis in Bagram ein. Er wurde bereits seit 2001 vom Verfassungsschutz beobachtet. In Hamburg, wo er seit Anfang der 90er-Jahre wohnte, lebte er zuletzt von Aushilfsjobs und staatlicher Unterstützung. Mit seinem Reisebüro in St. Georg war er pleitegegangen. Er war es, der für die Gruppe die Flugtickets besorgt hatte. Sein Bruder Sulaiman wird Ende 2009 nach Hamburg zurückgeschickt. Er hält dem Leben in den Bergen psychisch nicht stand.

Auch Rami M. ist wieder zurück. Nach seiner Festnahme in Pakistan, wo er sich mit einer Burka als Frau zu tarnen versuchte, wird er nach Deutschland ausgeliefert. Er sitzt in Weiterstadt im U-Haft. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zwei der Mitglieder zählen für die Gotteskrieger sowieso nicht: Es sind die Ehefrauen von Shahab D. und Ahmad S. Frauen sollen nicht kämpfen.

Das Land überhaupt nicht verlassen hat Mohammed M. Die von der Ausreisewelle alarmierten Sicherheitskräfte stellen ihn am 11. März 2009 im Flughafen Frankfurt, als er ins Flugzeug steigen will. Auch sein Pass, er ist seit 2006 deutscher Staatsbürger, wird beschlagnahmt. Sein Scheitern bedeutet den Anfang vom Ende der Taiba-Moschee am Steindamm. Seine Enttäuschung sei riesengroß gewesen, heißt es aus Geheimdienstkreisen. Zurück in Hamburg ist er in der Moschee in St. Georg plötzlich ein Star. M. produziert sich als Opfer. "Plötzlich kamen junge Männer in langen weißen Gewändern in die Taiba-Moschee, die da vorher noch nie gesehen worden waren", sagt ein Verfassungsschützer. "Die hingen der Dschihad-Romantik nach, fanden es geil, auf dem gleichen Gebetsteppich wie Mohammed Atta zu beten."

Bis dahin hatten die Sicherheitsdienste die Moschee lediglich beobachtet. Sie wussten, wer sie besuchte. Das Gebetshaus zu schließen, war keine Option. Die Gruppe der etwa 45 Dschihadisten sollte nicht in alle Richtungen zerstreut werden. "Doch der Zustrom neuer Leute hörte nicht auf", so der Geheimdienstler. "Unter unseren Augen fingen die sich an zu radikalisieren." Im August 2010 lässt Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) die Moschee schließen (siehe Info-Text).

Der gescheiterte Heilige Krieg der Reisegruppe kostete nur wenige Tausend Euro. Eine US-Drohne vom Typ MQ-9 "Reaper" - eine ferngesteuerte Hightech-Bombe - kostet zehn Millionen Dollar. Diese Waffe hat Shahab D., den Mann mit dem Schwert, getötet. Davon sind die Sicherheitsbehörden überzeugt. Zehn Millionen Dollar, die nicht für ihn ausgegeben wurden. Der Angriff galt einem hochrangigen al-Qaida-Kämpfer. Shahab D. war zur falschen Zeit am falschen Ort. Am ganz falschen.