GAL-Fraktionschef Kerstan hält eine Fortsetzung von Schwarz-Grün in Hamburg für denkbar. Kulturkürzungen seien vertretbar.

Hamburg. Im Abendblatt-Interview spricht GAL-Fraktionschef Jens Kerstan über Spitzenkandidaten, den Kulturstreit und Schwarz-Grün.

Hamburger Abendblatt:

Herr Kerstan, wer wird Spitzenkandidat der GAL für die Bürgerschaftswahl 2012?

Jens Kerstan:

Das werden wir entscheiden, wenn es darum geht, den Wahlkampf vorzubereiten. Wie das bei uns Grünen so üblich ist, geht es erstmal um Inhalte. Und natürlich geht es nach einer so schweren Niederlage wie beim Volksentscheid um die Primarschule darum, zu analysieren, was wir falsch gemacht haben, bevor wir uns mit Personaldebatten befassen.

Reden wir über Inhalte. Das Thema Schulpolitik taugt doch wohl nicht mehr als Wahlkampfthema.

Kerstan:

Wir haben auch ohne Primarschule eine der weitestgehenden Schulreformen in dieser Republik, mit der Stadtteilschule, mit individueller Förderung, mit dem Abschaffen der Abschulung. Insofern gibt es da noch viel zu tun, aber es ist nicht mehr das Schlüsselprojekt, wie es die Primarschule war.

Dann kommt Christa Goetsch doch als Spitzenkandidatin kaum noch infrage.

Kerstan:

Christa Goetsch ist unumstritten unsere Zweite Bürgermeisterin und eine Schulsenatorin, die die große Aufgabe hat, die ambitionierteste Schulreform der Republik umzusetzen. Andere Fragen werden wir zu gegebener Zeit diskutieren.

Können Sie persönlich sich vorstellen, die GAL in den Wahlkampf zu führen?

Kerstan:

Die Frage habe ich mir noch nicht gestellt.

Aber die über die Zukunft des Altonaer Museums sicher schon. Sind Sie für oder gegen die Schließung?

Kerstan:

Wir Grüne haben in den letzten Jahren dafür gekämpft, dass die Kultur mehr Geld bekommt und in der letzten Sparrunde dafür gesorgt, dass Kultur ein Schonbereich war. Jetzt sind wir finanzpolitisch in einer Situation, dass wir nicht mehr zu 100 Prozent unsere schützende Hand über die Kultur halten können, so leid es uns auch tut. Insofern werden wir um Kürzungen nicht herumkommen.

Also ist die Schließung vertretbar?

Kerstan:

Mir fällt keine andere Stadt ein, die ihre Geschichte an zehn Standorten darzustellen versucht. Und seit zehn Jahren wird versucht, diese Struktur zu verändern, zuletzt durch die Stiftung Historische Museen, aber das ist bis jetzt nicht gelungen. Wenn das Geld knapp wird, halte ich es für vertretbar, dass man über effizientere Lösungen nachdenkt.

Aber der Senat hat nicht beschlossen, nachzudenken, sondern er hat die Schließung beschlossen.

Kerstan:

Es geht ja nicht darum, die Sammlung des Altonaer Museums ersatzlos aufzugeben, sondern das Gebäude zu schließen und die Sammlung in anderem Rahmen zu präsentieren. Jetzt braucht man Konzepte, wie das funktionieren kann. Das sollte nicht die Politik von oben diktieren, sondern wir brauchen einen moderierten Prozess, in dem die Betroffenen darüber reden, wie man die notwendigen Maßnahmen umsetzt, ohne dass die Kultur unter die Räder kommt.

Denken Sie an einen externen Schlichter wie Heiner Geißler bei Stuttgart 21?

Kerstan:

Wenn Politik und Betroffene sich so verhakt haben wie das im Kulturbereich der Fall ist, muss man miteinander reden, und dabei kann es hilfreich sein, einen externen Moderator einzuschalten.

In der Runde dürfte es auch um die Kürzung beim Schauspielhaus gehen.

Kerstan:

Auch dort liegt das Konzept noch nicht vor. Es kann bedeuten, dass das Schauspielhaus 1,2 Millionen Euro einsparen muss, man kann aber auch darüber nachdenken, wie es seine Einnahmen um 1,2 Millionen Euro erhöhen kann. Das ist bei einem Haus, das mehr Zuwendungen bekommt und mehr Plätze hat als andere Häuser, eine lösbare Aufgabe, wenn es denn häufiger mal vor vollem Saal spielen würde. Dafür bräuchte man natürlich Geld, sonst kann man keine neuen Attraktionen auf die Bühne bringen. Dafür haben wir ja die Kulturtaxe geschaffen, sodass für attraktive neue Aufführungen, auch im Schauspielhaus, zusätzliches Geld zur Verfügung stehen würde.

Aber das ist doch linke Tasche, rechte Tasche: Man kürzt dem Schauspielhaus erst die Mittel und gibt ihm dann Geld aus der Kulturtaxe, damit es wieder zurechtkommt. Den Ärger hätte man sich doch sparen können.

Kerstan:

Wir hatten leider im Kulturetat viele versprochene Vorhaben, die noch nicht finanziert waren. Das ist erst durch die GAL-Idee der Kulturtaxe gesichert. Jetzt müssen wir darüber nachdenken, ob es bei allen Versprechen bleibt oder ob es andere Lösungen geben kann. Ich finde zum Beispiel das Kombi-Abo zwischen Thalia und Schauspielhaus eine hervorragende Idee. Das wäre zum Beispiel eine Maßnahme zur Einnahmeverbesserung für das Schauspielhaus, ohne den künstlerischen Etat zu halbieren.

Ist es nicht die Aufgabe des Kultursenators, so ein Konzept vorzulegen?

Kerstan:

Man muss Herrn Stuth zugutehalten, dass er kurz nach Amtsantritt gleich ein Sparkonzept vorlegen musste. Insofern musste man ihm etwas Zeit geben. Aber jetzt müssen die Konzepte langsam auf den Tisch kommen.

Bereuen Sie, auf einem eigenständigen Kultursenator bestanden zu haben?

Kerstan:

Es war richtig, dafür zu sorgen, dass die Kultur einen eigenständigen Verantwortlichen hat, weil das ihrerBedeutung für die Stadt entspricht. Auf die Auswahl des Personals für Behörden, die der Koalitionspartner zu besetzen hat, haben wir nur sehr begrenzt Einfluss.

In der Fraktion gab es Entsetzen über das Personaltableau des Bürgermeisters.

Kerstan:

Entsetzen gab es vor allem über die strategische Ausrichtung der SPD. In allen Punkten, in denen es uns gelungen ist, die CDU in die Mitte der Gesellschaft zu ziehen, etwa im Bereich Innenpolitik oder bei Ökonomie und Ökologie, versucht die SPD, die CDU rechts zu überholen. Das ist kein Angebot an die Grünen, den Koalitionspartner zu wechseln.

Sie weichen aus. Sind Sie es nicht leid, von einer schwachen CDU mit ins Umfragetief gezogen zu werden? Bundesweit nähern sich die Grünen der 30-Prozent-Marke, in Hamburg dümpeln Sie bei zehn Prozent.

Kerstan:

Natürlich können wir im Vergleich mit anderen Landesverbänden nicht zufrieden sein. Aber wenn man bedenkt, dass wir eine schwierige Phase als Regierungspartei haben und im Zuge der Finanzkrise viele unpopuläre Entscheidungen treffen oder mittragen mussten, ist es schon erstaunlich, dass wir uns gegenüber der letzten Wahl sogar verbessert haben.

War es richtig, nach dem Abgang des Schwarz-Grün-Garanten Ole von Beust mit der CDU unter Christoph Ahlhaus weiterzuregieren?

Kerstan:

Vergnügungssteuerpflichtig ist das Regieren momentan sicher nicht. Das ist es aber seit Ausbruch der Finanzkrise nicht mehr. Das kann man nicht dem Koalitionspartner anlasten. Es geht darum, in der Krise die richtigen Akzente zu setzen. Das haben wir getan, indem wir Schwerpunkte gesetzt haben in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Klimaschutz, Bürgerrechte und Kultur. Insofern hat sich das Mitregieren aus unserer Sicht gelohnt.

Sie kritisieren die Strategie der SPD. Wollen Sie nach der Wahl 2012 mit der CDU weiterregieren?

Kerstan:

Nach vier Jahren stecken viele Projekte noch mitten in der Umsetzung. Grundsätzlich ist eine zweite Legislaturperiode daher sinnvoll.

Auch wünschenswert?

Kerstan:

Natürlich. Wir haben ja einen ambitionierten Koalitionsvertrag, der eine sehr grüne Handschrift trägt. Und in allen wesentlichen Punkten sind wir gemeinsam mit der CDU dabei, ihn umsetzen - mit Ausnahme der Primarschule, wo wir aber nicht am Koalitionspartner gescheitert sind, sondern am Volk. Insofern möchten wir unsere grüne Politik gern fortsetzen - in welcher Konstellation wird sich zeigen.

Statements von Wilflried Maier (GAL), Amelie Deuflhard (Kampnagel) und Jürgen Flimm (Staatsoper Berlin) zu den Sparplänen des Senats bei der Diskussion auf Kampnagel am 12. Oktober 2010: