War Verena Becker an der Ermordung von Siegfried Buback direkt beteiligt? Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen sie - 33 Jahre nach der Tat.

Drei Personen wurden wegen des Karlsruher Attentats verurteilt, aber es hat sich nun herauskristallisiert, dass keine von ihnen auf dem Motorrad saß, von dem aus geschossen wurde. Das ist schon erschütternd. Denn es bedeutet, dass die beiden, die meinen Vater und seine Begleiter ermordeten, bisher nicht verurteilt wurden, dass sie keinen Tag für das schwere Verbrechen in Haft waren."

Wer hat es getan? Für Michael Buback ist das ein großes, nervenzehrendes Rätsel. Und möglicherweise bleibt es auch ein Rätsel im Prozess gegen Verena Becker, der am Donnerstag in Stuttgart-Stammheim beginnt. Der Chemieprofessor Buback, Sohn des 1977 in Karlsruhe ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, verwendet seit 2007 seine gesamte Freizeit, um selbst nachzuforschen, wer seinen Vater erschossen hat. War es Becker, die vier Wochen nach der Tat mit der Tatwaffe festgenommen wurde? Oder war es doch eines von drei männlichen RAF-Mitgliedern, wie die Bundesanwaltschaft vermutet, mit Becker als Mittäterin im Hintergrund?

Laut Anklageschrift soll Becker am Tag vor der Tat den Tatort ausgespäht oder dort zwei andere RAF-Mitglieder mit dem Auto abgeholt haben. 1980 reichten die Indizien gegen sie noch nicht, ein Verfahren wegen des Buback-Mordes wurde "trotz verbleibender Verdachtsmomente" eingestellt. Seit der Wiederaufnahme des Verfahrens 2007 seien nun neue kriminaltechnische Erkenntnisse gewonnen worden, die damals noch nicht möglich waren.

Es geht dabei um DNA-Anhaftungen und Fingerspuren Beckers an Bekennerbriefen zur Tat. Man stütze sich außerdem auf Zeugenaussagen und auf handschriftliche Unterlagen, die im August 2009 bei einer Durchsuchung von Beckers Haus in Berlin-Schlachtensee beschlagnahmt worden sind, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft dem Abendblatt. Auch alte Asservate seien noch einmal mit modernen kriminaltechnischen Methoden untersucht worden. In der Zusammenschau aller Beweismittel ergebe sich somit ein "hinreichender Verdacht", dass Verena Becker "als Mittäterin" an der Ermordung von Buback und seinen Begleitern beteiligt war.

Ein Verdacht, dass sie die tödlichen Schüsse abgegeben hat, ergab sich laut Anklageschrift aber auch jetzt nicht. Wer die Täter waren, bleibt weiter offen. Verhandelt wird im altbekannten Saal in Stuttgart-Stammheim, in dem schon Baader und Ensslin angeklagt wurden. "So, als wären wir wieder im Jahr 1977. Es erscheint mir wie ein schales Déjà-vu", sagt der "Spiegel"-Journalist Michael Sontheimer, Autor des Buchs "Eine kurze Geschichte der RAF".

Der Fall, der nach 30 Jahren wieder vor Gericht kommt, bleibt einer der schwierigsten und verwickeltsten aus der sogenannten "2. Generation" der RAF. Zunächst die Tat selbst: Zwei behelmte Personen auf einem Suzuki-Motorrad folgen am Morgen des 7. April 1977 dem Dienstwagen, in dem Generalbundesanwalt Siegfried Buback, sein Fahrer Wolfgang Göbel und der Leiter der Fahrbereitschaft, Georg Wurster, in Karlsruhe zur Arbeit fahren. An einer Ampel feuert die Person auf dem Rücksitz der Suzuki mindestens 15-mal mit einem Selbstladegewehr Heckler & Koch HK 43 in den Wagen. Buback und Göbel sterben noch auf der Kreuzung, Wurster sechs Tage später. Die beiden Täter rasen davon, auf sie wartet ein dritter in einem wartenden Alfa Romeo.

Am 3. Mai 1977, vier Wochen später, werden die RAF-Mitglieder Verena Becker, 24, und Günter Sonnenberg, 22, im südbadischen Singen nach einer wilden Schießerei festgenommen. Becker versucht, mit einer HK 43 auf die verfolgenden Polizisten zu schießen - der Tatwaffe aus Karlsruhe. Die Ermittlungen ergeben, dass Sonnenberg das Tatmotorrad gemietet hatte.

Verurteilt wurden Becker und Sonnenberg damals allein für versuchten Mord an diesen Polizisten, beide zu jeweils zweimal lebenslänglicher Haft. Für Mittäterschaft am Buback-Mord wurden andere RAF-Mitglieder belangt: Brigitte Mohnhaupt, Knut Folkerts und Christian Klar (der den Alfa Romeo gefahren haben soll). Nur gibt es keine Hinweise, dass Mohnhaupt und Folkerts am Tattag überhaupt in Karlsruhe waren. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte Folkerts denn auch nicht als Schützen, sondern nur als einen von drei männlichen Beteiligten.

Die Rolle Verena Beckers - bei der immerhin die Tatwaffe gefunden worden war - blieb im Dunkeln. Als sie nach neun Jahren Haft 1989 von Bundespräsident von Weizsäcker begnadigt wurde, wunderten sich die Bubacks. Hatte der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann das Gnadengesuch befürwortet? Bubacks Versuche, Rebmanns Stellungnahme dazu einzusehen, blieben erfolglos, wie er sagt. "Es muss ja eine positive Stellungnahme gewesen sein."

Becker, Sonnenberg, Wisniewski, Klar. Wer was wann getan hat, dazu schwiegen sie damals, und sie schweigen bis heute. Erst als sich Michael Buback im Frühjahr 2007 in die Debatte um eine Begnadigung von Christian Klar einschaltete, meldete sich bei ihm telefonisch Peter Jürgen Boock, ehemaliger Mitstreiter Brigitte Mohnhaupts. Boock sagte Buback, er wisse von früheren Genossen, dass weder Folkerts noch Klar auf dem Motorrad saßen, sondern dass Stefan Wisniewski auf Bubacks Vater geschossen habe, während Sonnenberg die Suzuki lenkte.

"Wenn Folkerts und Brigitte Mohnhaupt nicht in Karlsruhe waren und auch Klar nicht auf dem Motorrad saß, bleiben als Motorradbesatzung nur Sonnenberg, Verena Becker und Wisniewski übrig", sagt Buback. Der Name Becker rückte wieder in den Fokus.

Buback gab keine Ruhe. Er begann, selbst nachzuforschen. Und er fand viele Unterstützer. "Es gibt 19 Augenzeugen, die mir berichteten, dass sie eine Frau auf dem Motorrad gesehen haben, elf von ihnen am Tattag und dabei einige sogar während des Attentats." Etliche hätten eine "kleine, zierliche Person" auf dem Rücksitz beschrieben, "einen Kopf kleiner" als der Fahrer des Motorrads.

Eine Gegenüberstellung mit Becker hielt die Bundesanwaltschaft damals aber nicht für nötig. Michael Buback spricht von einer "geradezu systematisch wirkenden Nichtberücksichtigung von Zeugenaussagen, die auf eine Frau hinweisen". Dem widerspricht die Bundesanwaltschaft: Auch diese Augenzeugen seien jetzt erneut verhört worden.

Die merkwürdigste Entwicklung aber trat ein, als der "Spiegel" 2007 die frühere Kooperation zwischen Verena Becker und dem Verfassungsschutz enthüllte. Laut der Verfassungsschutzakte über die Befragungen im Jahr 1981 habe Becker Wisniewski als Schützen genannt. Die Akte wurde 1982 auch dem Generalbundesanwalt Kurt Rebmann übermittelt. Es ist für Michael Buback schockierend, dass Rebmann daraufhin nicht gegen Wisniewski ermitteln ließ.

Auch für Michael Sontheimer ist das "in der Tat unglaublich, auch die Art und Weise, wie dieses Dokument dann in der Bundesanwaltschaft verschwand, wie es dann vernichtet wurde. Das konnte nur auf Anordnung Rebmanns geschehen sein, denn 'verloren' geht so etwas nicht." Aus Sontheimers Sicht sind das Hinweise, "dass es nicht um die Wahrheitsfindung ging".

Die Akte dürfte den Ermittlern überhaupt einiges Kopfzerbrechen bereiten. Sie enthält einen 227-seitigen Operativvermerk, quasi das Protokoll der Gespräche mit der "Quelle", sowie eine 82-seitige Zusammenfassung, den Auswertevermerk. Bis März 2010 war sie gesperrt - zum Schutz der "Quelle", höchstwahrscheinlich eben Becker. Erst Innenminister Thomas de Maizière gab die Akte frei, damit ist sie nun gerichtsverwertbar.

Und damit konnte auch Michael Buback sie einsehen, der im Prozess als Nebenkläger auftritt. Die dramatische Überraschung für Buback: Laut Operativvermerk hat die "Quelle" Wisniewski gar nicht als Schützen belastet. Nur der Auswertevermerk enthalte die Information, dass Sonnenberg die Suzuki lenkte, Wisniewski auf dem Rücksitz saß und Klar das Fluchtauto fuhr.

Wie kann die Zusammenfassung eine Information erhalten, die im Befragungsprotokoll gar nicht auftaucht? Buback befürchtet, "dass es eine unzulässige Einfügung einer wichtigen Information gegeben hat, eine Manipulation von Akten".

Auch Sontheimer findet den Vorgang "schwer erklärlich. Es muss ja etwas manipuliert worden sein." Nach jüngsten Informationen des "Spiegels" findet sich in der Akte auch der Hinweis, Becker sei zusammen mit Mohnhaupt im April 1977 nach Bagdad geflogen und "zum Zeitpunkt des Buback-Anschlags ... abwesend" gewesen. Ob es dafür Belege gibt, sagt die Akte nicht.

Für den Verfassungsschutz war damals von Vorteil, dass sich mit Becker endlich eine Führungsfigur der 2. RAF-Generation gesprächsbereit zeigte. Michael Buback hegt den Verdacht, dass um Verena Becker vonseiten des Verfassungsschutzes ein Schutz gebastelt wurde.

Die Kooperation war für Becker jedenfalls vorteilhaft. Sie erhielt Hafterleichterungen, und sie erhielt Geld, Sontheimer spricht in seinem Buch von 5000 Mark. Ihre empörten RAF-Genossen schlossen sie dafür aus.

Das Gericht wird entscheiden müssen, wie es die ominöse Akte bewertet. Das Gericht muss auch das Gewicht der Notizen abwägen, die im Jahr 2009 in Verena Beckers Wohnung sichergestellt wurden. Unter anderem eine handschriftliche Notiz vom 7. Februar 2008: "Nein, ich weiß nicht, wie ich für Herrn Buback beten soll. Ich habe wirklich kein Gefühl für Schuld und Reue. Natürlich würde ich es heute nicht wieder machen. Aber ist es nicht armselig, so zu denken und zu fühlen? Das scheint noch ein weiter Weg zu sein."

Es wird ein langes Verfahren. Geladen seien rund 140 Zeugen und 16 Sachverständige, sagt Josefine Köblitz, Sprecherin des Oberlandesgerichts Stuttgart. Zu den Zeugen gehört nach Abendblatt-Informationen auch Peter Jürgen Boock, den ein früherer Bundesanwalt einmal als den "Karl May der RAF" bezeichnete. Auch Michael Buback kann als Nebenkläger Beweismittel beantragen, also etwa die Vernehmung bestimmter Zeugen. Er wird es tun.

Ob der Prozess ans Tageslicht bringen wird, wer am 7. April 1977 in Karlsruhe Siegfried Buback, Horst Göbel und Georg Wurster erschossen hat, bleibt fraglich. "Aus meiner Sicht steht die Anklage auf schwachen Füßen", sagt Michael Sontheimer. "Ich kann mir vorstellen, dass das Verfahren für alle Seiten frustrierend enden wird. Herr Buback könnte erleben, dass Frau Becker, in seinen Augen hoch verdächtig, eine nur geringe Strafe bekommt. Aufgeklärt wird auch nichts, weil Frau Becker und andere RAF-Leute, die etwas wissen können, inzwischen wieder ihr Schweigegebot erneuert haben. Theoretisch kann Frau Becker im Prozess einen Reue-Anfall bekommen und aussagen. Aber so sieht es derzeit nicht aus."