Kritische Zwischentöne: Hamburg erlebt einen Märchensommer, doch Nörgler gibt es immer wieder. Glosse von Nina George.

Hamburg. Wir haben einen Märchensommer, der satt wie Sirup vom Eierkuchen tropft. Das Grün knallt aus den Bäumen, das Eis läuft der Zunge hinterher, die Frauen werden immer schöner. Es sind Tage, wie sie in verwischten Erinnerungen an eine erträumte Kindheit aufleuchten; ein Sommer, wie er früher einmal war. Zuletzt vor knapp 60 Jahren, um genau zu sein, als ähnlich pralle Julitemperaturen Hamburg gefühlt ans Mittelmeer verlegten. Aber dieses Glück ist schwer zu verkraften. Denn kaum sind jene süßen Tage da, die wir im zähen, klirrweißen, senatsspaltenden Winter so ersehnt haben - da beginnt auch schon das Sommertheater der Hobbynörgler: zu heiß, zu grell, zu plötzlich. Zu viele Plastikflaschen-Nuckler, zu viele Umleitungen, zu viele optische Belästigungen wie madenweiße Waden und gewagte Oberwäsche.

Dazu Biolärm schnatternder Vögel am Morgen, Sonnenbrand am Mittag, Mückenattacken am Abend, und der Nachbar grillt schon wieder! Das Deo versagt, das Lenkrad glüht, das iPad krankt am Hitzeschlag, die Ameisen campieren im Nudelsalat. Und warum müssen Menschen eigentlich an lauen Abenden so laut mit ihrem Besteck auf den Tellern kratzen?! Ach, so ein perfekter Sommer ist schon unzumutbar, man müsste Programmierer sein und in kühlen, dunklen Kellern arbeiten dürfen. Manch einer nörgelt sich so tief ins Sommerloch, dass ihn nur ein anständiger Graupelschauer erlösen würde. "Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen", notierte Goethe über des Menschen Hunger nach eingeredetem Leiden unter Glücksbefall und meinte damit vorwiegend die deutsche Seele und weniger die, sagen wir mal: italienische.

Ein paar hitzegesättigte Wochen, streichelwarme Luft auf der Haut und jede Menge grundlose Freude steckt die locker weg - und betet sich vor allem nicht das Schietwetter herbei: Denn wer weiß, ob nicht all die Sommersuderer dafür verantwortlich sind, dass die fahlen, verplatschten Tage schneller daherkommen werden, wenn sie weiterhin so stöhnen? Vorsicht vor erfüllten Wünschen, mahnte schon meine Großmutter, nachher bekommst du noch, was du willst. Wünsch dir lieber ein paar Tupperschüsseln, die gehen immer. Ach nein. Ich wünsche mir, dass diese Sommertage tief in unsere Herzen sickern. Die Stadt lächelt, wenn man genau hinsieht.

Jetzt ist die Zeit, in der Mut ganz leichtfällt, in der wir Freunde mehr lieb haben als im Winter, wenn uns Kälte in Zimmerquadraten bannt, und in der der Himmel so hoch und weit ist, dass wir aufrechter gehen können. Ich wünsche mir, dass uns diese Wärme durchs spätere, kalte Jahr trägt. Dass wir aus diesem Sommer trinken, als sei er eine Leihgabe; im Herbst werden wir ihn schon als Erinnerung zurückgeben müssen.

P.S.: Liebe Sommerhasser, Jammern kostet Kraft und bringt nur unnötig ins Schwitzen.

Nina George ist eine Hamburger Autorin, die in Abendblatt Live die wöchentliche Kolumne "Lieben Sie Hamburg?" schreibt.