Roland Koch war der Politiker mit den zwei Gesichtern. Volker Bouffier stand lange in seinem Schatten, nun soll er sein Nachfolger werden.

"Koch muss weg!" Das war der Schlachtruf im hessischen Wahlkampf 2009. Damals, als nach dem fehlgeschlagenen Ypsilanti-Abenteuer der SPD noch einmal gewählt werden musste. Mit dem Erfolg, dass Koch anschließend wieder da war. Ein Mann, den seine Feinde bereits für erledigt hielten.

Roland Koch hat damals zwar beteuert, dass er sich keinen interessanteren Arbeitsplatz vorstellen könne als den in der Wiesbadener Staatskanzlei, aber so richtig geglaubt hat ihm das keiner mehr. Schließlich hatte die Karriere nun einen starken Knacks. Andererseits fragte man sich, warum ein Mann seines Formats nicht längst in Berlin war. Die Antwort wusste natürlich auch jeder: Koch hockte noch in Hessen, weil er in der Zeit, in der Angela Merkel um ihre erste Kanzlerschaft kämpfte, nicht immer loyal gewirkt hatte.

Jetzt tritt er ab. Zugetraut hatte man dem 52-Jährigen diesen Schritt schon länger - bereits vor vier Jahren war gemunkelt worden, Koch liebäugele mit einem Job jenseits der Politik -, aber als er seine Entscheidung gestern bekannt gab, war es dennoch ein Paukenschlag. Die, die ihn nie gemocht haben, werden sagen: "Gott sei Dank!" Die, die ihn geschätzt haben, werden bedauern, dass er geht. Der Mann aus Eschborn, der aus dem politischen Mittelmaß weit herausragte, aber als brutalstmöglicher Aufklärer selber tief im hessischen Spendensumpf steckte. Der lustvoll in politische Wespennester stach. Erst recht, wenn so ein Vorgehen dazu dienen konnte, die konservative Wählerschaft auf Trab zu bringen.

Nicht immer war Roland Koch dabei gut beraten. Konnte er die Landtagswahl 1999 dank seiner umstrittenen Unterschriften-Kampagne gegen das von der damaligen rot-grünen Bundesregierung geplante Gesetz zu einer doppelten Staatsbürgerschaft noch gewinnen, so ging der Schuss 2008 nach hinten los. Die hessische CDU stürzte um zwölf Prozentpunkte ab, nachdem Koch den brutalen Überfall zweier ausländischer Jugendlicher auf einen Münchner Rentner zum Wahlkampfthema gemacht und gegen die vermeintliche "multikulturelle Verblendung" in Deutschland polemisiert hatte.

Der Rest ist Geschichte: Die damalige SPD-Vorsitzende und -Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti brach ihr Wahlversprechen und strebte im November 2008 eine rot-grüne Regierungsbildung unter Beteiligung der Linken an, aber vier SPD-Abgeordnete verweigerten ihre Stimmen. Die Neuwahl, die danach ausgeschrieben werden musste, gewann im Januar 2009 Koch.

"In Zeiten wie diesen", plakatierte die hessische CDU damals, brauche das Land Roland Koch. Das klang elegant und entfernt literarisch nach Garcia Marquez und seinem Roman "Die Liebe in den Zeiten der Cholera", nur dass statt der Cholera zufällig gerade die Weltwirtschaftskrise grassierte. Und von Wirtschaft und Finanzen, das mussten sogar seine erbittertsten Gegner zugeben, verstand der als gefährlicher Populist geschmähte CDU-Mann deutlich mehr als die anderen. Koch selbst ist damals kurz über seinen Schatten gesprungen und hat den fälligen Kotau gemacht. Ja, hat er gesagt, der Wahlkämpfer Koch habe einen Fehler gemacht; die Ausländer-Kampagne sei seiner Partei entglitten.

"Entgleist" wäre wohl das treffendere Wort gewesen. Aber allzu viel Asche wollten sich Koch und sein ewiger Berater Dirk Metz dann doch nicht öffentlich aufs Haupt streuen. Metz, der größte Scharfmacher in Kochs Umgebung, stand übrigens auch gestern neben Koch. Blass, um nicht zu sagen: bleich.

Für die Politik ist sein Abgang ein Verlust, obwohl er viele Gegner hatte

Koch hingegen wirkte frisch und fast ein wenig euphorisch. Wie sich einer eben fühlt, der beschlossen hat, Ballast abzuwerfen und noch einmal neu zu beginnen.

Für die Politik ist sein Abgang ein Verlust. Obwohl der Jurist zu der Spezies gehört, die man landläufig abfällig als Berufspolitiker zu bezeichnen pflegt. 1972, während die meisten Gleichaltrigen um das Schicksal ihres Idols Willy Brandt bangten, hat Roland Koch in Eschborn eine Ortsgruppe der Jungen Union gegründet. Mit 19 saß er für die CDU im Kreistag, mit 21 war er jüngster Kreisvorsitzender bundesweit, mit 40 war er Ministerpräsident. Direkter und schneller geht's nicht. Auch privat neigt Koch nicht zu Experimenten. Bis heute lebt er mit seiner Familie in Eschborn. Roland Koch ist seit Ewigkeiten mit seiner Schulfreundin Anke verheiratet, der Scheitel sitzt immer links, die Anzüge sind seit Jahren dunkelgrau, und die Hobbys hauen auch keinen vom Hocker: Kochen und Tennis.

Dass der "konservative Reformer" (Koch über Koch) trotzdem ganz und gar nicht wie ein Provinzpolitiker wirkt, verdankt er seinem scharfen Verstand und seiner rhetorischen Begabung. Wer einmal mit ihm unterwegs gewesen ist, weiß, wie Koch mühelos seine Zuhörer fesseln kann. Egal ob er über Studiengebühren extemporiert, über das Volumen der hessischen Bauindustrie oder eben über die Ursachen Finanz- und Wirtschaftskrise. Und wenn ihn der politische Gegner reizt, kann er auch sehr witzig werden. Auf der legendären "Koch-Tour", die ihn im Sommer 2007 in die entlegensten Ecken Hessens führte, schnippelte Koch mit Bemerkungen wie "Rote und Grüne klein machen, das übernehme ich gerne!" oder "Sie können sich denken, dass ich gern was Rotes klein hacke!" schwungvoll Tomaten und Paprika in die bereitgestellten Pfannen. Zum Vergnügen der CDU-Sympathisanten.

Wer ihm persönlich begegnete, konnte auch feststellen, dass Koch - anders als bei seinen kühl kalkulierten Fernsehauftritten - sehr gewinnend sein kann. Das Landesväterliche mag ihm zu seinem eigenen Bedauern immer abgegangen sein, aber zugewandt ist Koch immer gewesen. Und wer etwas über den politischen Kümmerer Koch erfahren will, muss nur die hessischen Polizeibeamten fragen, denen immer sein besonderer Blick gegolten hat. Das alles macht aus Roland Koch den Mann mit den zwei Gesichtern.

Den Machtpolitiker, der zuweilen die Grenzen des politischen Anstands überschritten hat, haben die politischen Gegner gehasst wie keinen Zweiten. Ihm schickte eine militante Gruppe Ende Januar eine Bombenattrappe in die Staatskanzlei. In dem Bekennerschreiben der "Bewegung Morgenrot" hieß es, man werde eine scharfe Rohrbombe "im Umfeld" von Kochs "Besitztümern" folgen lassen, falls Hessens Ministerpräsident seine Forderung nach einer Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger wiederhole. Das war beispiellos in der jüngeren deutschen Politik.

"Law and Order", "Brandstifter" oder ein "Rambo"?

Einen wie ihn wird man nicht so schnell wiederfinden. Ist er für die einen ein "Law and Order"-Mann, ein "Brandstifter" oder ein "Rambo" gewesen, so trauern ihm die anderen heute schon nach. Vor allem diejenigen, die an Koch immer geschätzt haben, dass er die Courage hatte, auszusprechen, was andere Politiker nicht zu sagen wagten. Ganz besonders trauert man in der Wiesbadener Staatskanzlei.

Als Roland Koch im vergangenen Jahr auf einen möglichen Nachfolger angesprochen wurde, hat er gesagt, die hessische CDU arbeite mit drei Spitzen. Mit Volker Bouffier, Franz Josef Jung und Roland Koch. Weil sich der damalige Bundesverteidigungsminister und später kurzfristig als Bundesarbeitsminister eingesetzte Jung durch das Missmanagement der Kundus-Affäre inzwischen selbst ins Abseits befördert hat, bleibt jetzt nur Bouffier übrig. Dass dieser altgediente Freund nun in große Schuhe steigen muss, weiß Roland Koch selbst am besten. Wie hat er damals gemeint? "Solange einer wie ich da ist, entwickelt sich kein anderer." Präziser kann man es nicht sagen.

"Kochs Mann fürs Grobe"

Von einer Verjüngungskur in Hessen kann keine Rede sein: Volker Bouffier ist mit 58 sogar noch sechs Jahre älter als jener Roland Koch, den er nun beerben soll. Als "Kochs Mann fürs Grobe" wurde der hessische Innenminister oft tituliert, als "Kochs Kronprinz" galt er in Wiesbaden spätestens seit jenem Januar 2008, als völlig offen war, ob der Ministerpräsident die "Ypsilanti-Schlappe" politisch überleben würde.

Kein Wunder: Bouffier ist in der hessischen CDU so verankert wie Koch selbst. Früh Bezirksvorsteher in seiner Heimatstadt Gießen, dann im Kreistag, seit 1982 im hessischen Landtag, von 1993 bis 1999 als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Bouffier und der zuletzt gescheiterte Franz Josef Jung waren Kochs Freunde und Weggefährten. Aber stets war klar, wer in dem Trio Koch war, und wer Kellner war. In der Rolle des Anführers ist Bouffier lediglich aus seiner Zeit bei der Jungen Union Hessen bekannt, deren Vorsitzender er acht Jahre lang war. Man verstand sich seitdem, ziemlich gut sogar. Die Geschichte jenes Beistandspakts, der mit einem Treueschwur im Hinterzimmer der Autobahnraststätte Wetterau auf der A 5 geschlossen wurde, ist legendär.

Mit dem Machtwechsel 1999 übernahm der studierte Jurist Bouffier das Innenressort im Kabinett seines engen Freundes Koch. Die Themen, die er fortan wählte, waren ganz nach dem Geschmack der konservativen hessischen Christdemokraten: Bouffier ließ einen "Wachdienst" gründen, der Polizeibeamte entlasten sollte, kämpfte für die in Hessen bis dato gesetzlich nicht gedeckte Raster- bzw. Schleierfahndung gegen Islamisten, wollte den "finalen Rettungsschuss" und ließ umfangreiche Verfassungsschutzberichte herausgeben, in denen auch der extremen Linken viel Platz eingeräumt wurde.

Keine Überraschung, dass Bouffier auch für mehr Überwachung durch Videokameras stritt und quasi am laufenden Band neue Konzepte präsentierte, wie mit neuen Kennzeichenlesegeräten, den Mitteln der DNA-Analyse oder der Telekommunikationsüberwachung noch mehr Kriminelle überführt werden könnten. Je mehr Kritik ihm das öffentlich einbrachte, umso mehr schien ihn die Parteibasis zu schätzen. Auf Versammlungen erntete der volkstümlicher wirkende Bouffier mit seinen markigen Sprüchen bisweilen sogar mehr Applaus als Koch. Es focht seine innerparteiliche Beliebtheit auch nicht an, dass manche Novellen des hessischen Polizeigesetzes, die den Behörden immer weiter reichende Möglichkeiten zur Strafverfolgung geben sollten, zum Teil sogar vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig erachtet wurden. Auf der bundespolitischen Bühne machte sich Bouffier in all der Zeit jedenfalls konsequent rar. Er überließ dem Ministerpräsidenten als strategischem Kopf das Feld. Ein, zwei Auftritte in der Talkshow von Sabine Christiansen - mehr ist von Bouffier kaum im Gedächtnis. Trotzdem ist der dreifache Familienvater in der CDU Deutschlands ordentlich vernetzt. Auch Bouffier soll Mitglied jenes "Andenpakts" gewesen sein, in dem sich 1979 Christian Wulff, Peter Müller, Günther Oettinger und andere die Treue geschworen haben. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel es mit Bouffier am Ende leichter haben könnte, glaubt in der Union schon deshalb kaum einer.

Als unwahrscheinlich gilt auch, dass Bouffier über die "Polizeichef-Affäre" stolpern könnte, zu dessen Aufklärung ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde - es ist der dritte, der sich seit 1999 mit Bouffiers Amtsführung befasst. Diesmal heißt es, er habe einen Parteifreund ohne korrektes Auswahlverfahren zum Präsidenten der hessischen Bereitschaftspolizei gemacht. Bouffier bestreitet das.