Statt beim Wiederaufbau zu helfen, befindet sich die Bundeswehr im Krieg. Journalisten sammelten Mails und Feldpostbriefe der Soldaten.

1. Ankunft

Hamburg. Hallo, mein Liebling, ich bin kaum aus der Tür und vermisse Euch jetzt schon so sehr. Wir fliegen in einer halben Stunde ab, und Du kannst Dir nicht vorstellen, was es für ein Gefühl ist, von Euch getrennt zu sein. Ich melde mich, sobald ich die Möglichkeit habe. Mach Dir keine Sorgen. Ich liebe Dich.

Oberstleutnant Markus Mossert*, 35, Masar-i-Scharif 2009

Nach 6 Stunden Flug ab Köln landeten wir gegen 22.30 Uhr örtlicher Zeit in Termes, Usbekistan. Am nächsten Morgen ging es weiter nach Kabul, endlich mal wieder Transall fliegen. Dieser Lastesel der Bundeswehr fliegt seit knapp 40 Jahren. Zum Pinkeln hätte ich eine Klappe im Flugzeugheck benutzen dürfen, immerhin mit Anstandsvorhang. Ich habe verzichtet.

Oberstabsarzt Jens Weimer*, 34, Kabul 2006

Bei uns kommt der Weihnachtsmann mit der CH-53 angeflogen. Die Hubschrauber fliegen im 10-Minuten-Takt über unsere Köpfe. Minus 20 Grad und kälter haben wir nachts, das Mittel dagegen heißt: Glühwein, viel Glühwein. Sieg und fette Bräute, Björn!

Hauptgefreiter Björn Uwe Schulz, 23, Kabul im Dezember 2006

2. Der Einsatz beginnt

Man braust etwas soldatisch-romantisch in der Panzerluke stehend durchs Land, funkt ein bisschen hin und her, lebt von EPA, schläft auf dem Panzerdeck und denkt unter einem unendlichen Sternenhimmel über diese Welt nach.

Stabsarzt Christian Werner*, 38, Kabul 2005

Ich mach jetzt mit anderen Kräften einen neuen Auftrag, das ist bei Kundus! Genaueres darf ich nicht sagen! Leider ist es dort, wo die anderen zwei Soldaten gefallen sind. Brauchst Dir aber keine Sorgen zu machen, ich pass gut auf mich auf! Smile!

Hauptgefreiter Tom Granz*, 19, Kundus 2008

3. Alltag im Lager

Der Fernseher ist den ganzen Abend und Nachmittag an. Wenn das nicht reicht, wird DVD geguckt, meist Kriegsfilmscheiß!! Da der Fernseher so steht, dass er genau neben mir ist, fliehe ich abends.

Oberstleutnant Bertram Hacker, 61, Kundus 2003

Den Wohncontainer teile ich mit einem Dänen, ganz offenbar Hägars jüngerer Bruder - im Wettschnarchen liege ich trotzdem nach Punkten vorn. Die hygienischen Bedingungen erinnern an eine Jugendherberge in Mecklenburg fünf Jahre vor dem Mauerfall.

Stabsoffizier Hermann West, 40, Kabul 2008

4. Krieg oder kein Krieg?

Plötzlich eine Detonation, der Boden unter den Füßen vibriert. Ich drehe mich um und sehe einen Staubpilz in der Luft, 50 Meter von uns. Keiner weiß, was passiert ist. Ein zweiter und ein dritter Knall. Jetzt ist klar: ein Mörser- oder Raketenangriff. Ich lade mein Gewehr und spüre das Adrenalin. Ich bin perplex, dass ich weder Angst noch Panik verspüre. Über Funk erfahren wir, dass es eine Raketenwarnung gibt. Wie das hier wohl aussehen würde, wenn eine Rakete diese Halle träfe?

Oberstleutnant Boris Barschow, 42, Masar-i-Scharif 2009

Eine Detonation erschüttert die freitägliche Stille im HQ Kabul. Nur 500 Meter entfernt eine gewaltige Explosion. Im Deckungsbunker lackiert sich eine US-Journalistin lässig die Fingernägel. Dann gibt es eine Schweigeminute für gefallene Amerikaner.

Hauptmann Thomas Brackmann, 32, Kabul 2006

An manchen Tagen nehmen Isaf und OEF etliche Aufständische fest oder töten sie, aber dank des riesigen Nachschubs an zornigen jungen Männern aus den Koranschulen Pakistans, die es Uncle Sam mal zeigen wollen, gehen uns die Gegner nicht aus. Vor allem im Süden und Osten herrscht in manchen Regionen Krieg, und wer das leugnet - wie Verteidigungsminister Jung, der neulich hier war und von einer "peace support mission" sprach (Augenrollen beim Comisaf) -, redet sich die Umstände schön. Ich weiß nicht, ob dieser Krieg militärisch zu gewinnen ist. Der Preis, den dafür vor allem Kanadier, Briten und Amerikaner zahlen, ist jedenfalls sehr, sehr hoch.

Stabsoffizier Hermann West, 40, Kabul 2008

5. Das große Bild

Alles muss dank der großen Politik in Deutschland schnell, schnell gehen - Tornados und so weiter -, aber keiner macht sich dort 'nen Kopf, wie das eigentlich gehen soll. Hier hängen so viele Rattenschwänze dran, dass man gar nicht weiß, welches der unlösbaren Probleme man zuerst lösen soll. Danke, Frau Merkel! Aber die war ja auch noch nie hier und hat sich das alles angeschaut, vor allem bei Regen nicht! Sollte sie mal tun!

Oberleutnant Ulrich Ruder, 31, Masar-i-Scharif 2007

Demokratie hier einzuführen wäre eine über Generationen andauernde Aufgabe. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das funktionieren kann.

Stabsoffizier Hermann West, 40, Kabul 2008

Am Freitag waren wir bei der Uno und haben mit "Ärzte ohne Grenzen" verhandelt. Da sitzt so ein Armleuchter im 150-Euro-Kaschmirpullover vor dir und erklärt, sie könnten keine Projekte mit uns durchziehen, da sie strikt neutral seien und Waffen und Uniformen grundsätzlich ablehnen würden. Denen ist egal, dass dieses Krankenhaus im Hazara-Viertel (da wohnen die Underdogs) nichts wird. Hauptsache, sie halten an ihren Prinzipien fest.

Major der Reserve Paul Schief*, 39, Kabul 2004

6. Fremdes Land - fremde Menschen

Afghanistan, hier stinkt's. Überall kann man Scheiße riechen, überall Sand und Staub. Überall Trümmer und Wracks von alten russischen Panzern, überall Ruinen, Einschusslöcher. Afghanistan, hier gibt es schon lange keinen Gott mehr.

Hauptgefreiter Robert Klein, 23, Kabul 2007

Meine Sprechstunden in den Dörfern gehören eigentlich nicht zum Auftrag, werden allerdings im Sinne von Vertrauensbildung, aus humanitären Aspekten und auch als eine Art Lebensversicherung für uns durchgeführt. Ich erlebe Krankheitsbilder in einer Ausprägung, wie man sie in Europa gar nicht mehr findet, allenfalls noch im Lehrbuch, und ich kann mit einfachen Mitteln schon beachtliche Wirkung erzielen. Ohren-, Mandel- und Lungenentzündungen aller Art, dazu Brechdurchfälle allerlei Genese, woran noch sehr viele Kinder versterben, da es nur selten oder schlechte Antibiotika gibt.

Stabsarzt Christian Werner, 38, Kabul 2005

Unsere bärtigen Gegner zünden immer noch Schulhäuser an, wenn dort Mädchen unterrichtet oder gar Lehrerinnen beschäftigt werden.

Stabsoffizier Hermann West, 40, Kabul 2008

Unsere Wachposten gehen gegenüber den Einheimischen manchmal sehr überheblich, rüde, unfreundlich vor. Es ist tatsächlich latent - und manchmal gar nicht so latent - eine Fremdenfeindlichkeit, Überheblichkeit zu bemerken.

Oberstleutnant Bertram Hacker, 61, Kabul 2002

Letztens wären Soldaten fast von Flüchtlingen überrannt worden, als sie Hilfsgüter in ein Flüchtlingslager gebracht haben; sie mussten Warnschüsse abgeben, um Chaos, Gedränge und Tote zu verhindern - so verzweifelt sind die Leute hier. Täglich erfrieren und verhungern Menschen in Afghanistan.

Oberfeldwebel Dominik Hirz, 30, Kabul 2008

7. Die Angst

Wir kommen am Hotel Serena vorbei, ein 5-Sterne-Hotel, von dem ich schon viel gehört habe. Mein Beifahrer erzählt, dass es das mit am besten gesicherte Hotel der Welt ist. Zweieinhalb Stunden später hören wir Schüsse aus Sturmgewehren, außerdem drei kleinere und eine große Detonation. Am Abend erfahren wir, dass am Hotel Serena etwas passiert ist: Zwei Attentäter sind mit Sturmgewehren und Handgranaten hin und haben die Wachposten erschossen. Einer hat sich dann mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft gejagt. Ein seltsames Gefühl, wenn man gerade erst da vorbeigefahren ist.

Oberfeldwebel Dominik Hirz, 30, Kabul 2008

Heute bekam ich die Bestätigung dafür, dass ich richtig gelegen hatte mit meiner Vermutung, was Oberleutnant Zillner* angeht. Er war Zugführer des zweiten Zuges und wurde heimgeflogen. Angeblich Bluthochdruck, aber jeder wusste, dass das nicht stimmte. Es war einfach zu viel für ihn. Er ist mit dem Einsatz nicht zurechtgekommen und hat nervliche Probleme bekommen.

Stabsoffizier Lars Stock, 29, Masar-i-Scharif 2007

Guten Morgen, Spatz, heute ist Schneeregen, ungemütlich und kalt. Ich habe leider keine Weihnachtsgeschenke! Natürlich kann ich hier afghanischen Schmuck kaufen, aber ich kann ja nicht jedem irgend so was schenken.

Oberstleutnant Bertram Hacker, 61, Kundus, im November 2003

8. Die Toten

Die Flaggen vor unserem Stab waren in letzter Zeit erfreulich häufig oben, das ist jeden Morgen der erste bange Blick, noch vor dem Briefing: kein halbmast, keine gefallenen Kameraden.

Stabsoffizier Hermann West, 40, Kabul 2008

Wir parken den Panzer und gehen zu den Kameraden ins Rettungszentrum. Dort herrscht eine ganz eigenartige Stimmung, die Betriebsamkeit, die bei Notfällen üblich ist, ist nahezu abgeklungen. In den Gesichtern Trauer und Entsetzen. Jeder weiß, dass der Einsatz Risiken birgt, aber die persönliche Konfrontation mit gefallenen Kameraden ist etwas ganz anderes. Die Fahrerin des BAT weint und wird getröstet. Der Gefallene war MG-Schütze Oberluke. Dort hat er einen Treffer in den linken oberen Thorax bekommen, sodass der Arm im Schultergelenk fast komplett amputiert wurde. Als er zum BAT gebracht wurde, war er bereits tot, die Wunde hat nicht mehr geblutet. Der Rettungsassistent trug noch die blutverschmierte Hose, der Panzer wurde vor dem Rettungszentrum von einigen Freiwilligen ausgeräumt und gesäubert.

Oberstabsarzt Jens Weimer, 34, Kundus 2009

9. Ablenkung im Lager

Zwei Drittel der Kompanie sind mit dem Kicker-Virus infiziert. Verliert man zu null, muss man unter dem Tisch durchkrabbeln und dies mit Unterschrift auf der Unterseite beurkunden. Mittlerweile habe ich vier oder fünf Striche hinter meinem Namen.

Oberstabsarzt Jens Weimer, 34, Kabul 2006

Im "Camp Warehouse" gibt es fünf offizielle Betreuungseinrichtungen, sprich: Kneipen. Die der Sanitäter heißt zum Beispiel SanShine-Bar, die der Fernmelder Coyote Ugly. Alkohol darf von 19 bis 22 Uhr ausgeschenkt werden, aber nur Bier und Wein. Um 22.30 ist Zapfenstreich, bis auf samstags, da geht es eine Stunde länger. Beim Bier gilt die Zwei-Dosen-Regelung. Die wenigen, die das ernst nehmen, trinken dann halt Flaschenbier weiter.

Oberstabsarzt Jens Weimer, 34, Kabul 2006

Vorgestern ist passiert, was einmal passieren musste: Am Abend unseres Kontingentfestes hat in einem Toilettencontainer eine Spanierin mit einem Kanadier gepoppt und sich dabei von deutschen Feldjägern erwischen lassen. Jetzt fahren beide nach Hause, und zwar: getrennt. Der Isaf-Auftrag lautet zwar im weitesten Sinne, Liebe in dieses Land zu bringen, doch die eben erwähnte Interpretation von "Make love not war" verstößt gegen die Vorschriften. Als ich die Geschichte hier in meinem Büro erzählte, schwieg die Kanadierin betroffen, der Ire lachte und rief: "Hell, yeah!" Und der Rumäne fragte trocken: "Welche Spanierin war es denn?" Nun, worauf ich hinauswill: Hier in Afghanistan spielt die multinationale Kooperation eine sehr große Rolle.

Oberleutnant Claus Liesegang, 41, Kabul 2003

Ich vermisse Euch ganz doll, und meine Stimmung schwankt auch immer hoch und runter. Am schlimmsten ist es, wenn ich die Kinder weinen höre oder wenn Deine Stimme nicht so gut klingt. Das tut mir schon gewaltig weh in meinem Herz. Viele Tausend Küsse an Euch. ICH LIEBE DICH!!

Oberstleutnant Markus Mossert, 35, Masar-i-Scharif, 2009. Er verließ nach dem Einsatz Frau und Kinder - für eine Kameradin

10. Sehnsucht

Ich habe mich über jeden Anruf, jede E-Mail, jede Nachricht bei ICQ oder Skype und jeden Brief, Paket oder Postkarte aus der Heimat gefreut! Insgesamt erreichten mich hier unten 65 E-Mails, 293 Nachrichten bei StudiVZ und sage und schreibe 638 (!!!) Rufvorgänge aus Deutschland. Dazu habe ich unzählige Nachrichten via ICQ Skype bekommen. Diese Unterstützung hat mir tierisch geholfen, die Zeit so gut rumzubekommen.

Oberfeldwebel Frank Carsten*, 28, Kabul 2007

Liebe Tochter: Nachdem ich den Afghanen unsere Familienfotos gezeigt habe, haben sich zwei als Schwiegersöhne beworben. Der eine spricht mich schon als Schwiegervater an. Anbei Fotos. Soll ich beiden absagen, nur einem, oder willst Du beide? (Scherz!! Grins!! Lach!!)

Hauptmann Marc Jötten, 53, Kabul 2004

11. Abschied

Jetzt freue ich mich schon so richtig auf zu Hause. Endlich wieder frische Luft, grüne Landschaften, mich endlich wieder frei bewegen können, angeln gehen, das machen, worauf man Lust hat. Das alles werde ich noch viel mehr zu schätzen wissen. Ich mache mir schon Gedanken um meine Heimkehr. Wie wird es sein? Habe ich mich verändert? Wie werde ich mich in der Öffentlichkeit fühlen, ohne Waffe, ohne schusssichere Weste, ohne ungepanzertes Auto?

Oberfeldwebel Dominik Hirz, 30, Kabul 2008

Nächste Woche Montag ist Abflug. Seit drei Tagen fliegen uns wieder Raketen um die Ohren, ich hab die Schnauze voll, der Kleine (mein Diensthund) hat auch keinen Bock mehr. Mir geht's nicht besonders, will heim.

Stabsunteroffizier Julia Ritt*, 30, Kundus 2009

Letztlich stellt man sich die Frage: "Haben wir diesem Land geholfen???" Wir Fernmelder hier unten sind zu folgender abschließender Aussage gekommen: "Geholfen vielleicht nicht, aber wir haben dafür gesorgt, dass die Leute, die geholfen haben, telefonieren und funken konnten!" Deshalb kann man wohl sagen: MISSION ERFÜLLT - auf geht's nach Hause!

Oberfeldwebel Frank Carsten, 28, Kabul 2007

Ich öffne meine Geschenke und falle erst mal in ein Loch. Man merkt wieder mal wirklich, dass man bewaffnet in einer Art Bunker sitzt und alle, die einem etwas bedeuten, 5000 km entfernt sind. Später versammeln wir uns in unserem Kaffeeraum, um ein wenig zu feiern. (...)Wir öffnen ein paar Flaschen und sinnieren über Weihnachten. Gegen 22.00 Uhr gehen wir zur Christmette. Okay, ich bin kein Kirchgänger, aber es hat sich gelohnt. Weihnachtslieder, weihnachtliche Worte und etwas Ruhe. Nach der Mette schnappe ich mir eine AWCC-Karte und fange an rumzutelefonieren. Ich wecke zwar alle auf, aber alle sind froh, mich zu hören. Zu wissen, dass ich heil und gesund bin. Gegen 24.00 Uhr ist der Tag für mich gelaufen.

Stabsoffizier Lars Stock, 29, Masar-i-Scharif, im Dezember 2006

* Namen der Soldaten wurden von den Autoren geändert