Arbeiten unter realen Bedingungen: In Praxisprojekten können angehende Kostümdesigner schon ab dem zweiten Semester ihr Talent auf die Probe stellen.

Claudio Pohle hat sich für seine Semesterarbeit vom "Tod auf Urlaub" inspirieren lassen. "In dieser Kurzgeschichte möchte der Tod herausfinden, warum die Menschen ihn fürchten. Er macht Urlaub unter den Menschen und erlebt, wie schön das Leben und die Liebe sind", sagt der 26-Jährige. Das Motto der Semesterarbeit im Studiengang Kostümdesign an der HAW Hamburg lautete "Rouge" und umfasst ein Konzept für eine Performance, begleitende Videoclips, Fotostrecken und natürlich die Kleidungsstücke als "Hauptdarsteller". Für Claudio, der im dritten Semester studiert, steht Rot "für Liebe, Lust und Leben", und so hat er für die Frau, die den Tod in die Liebe einführt, ein Ensemble aus verschiedenen Rottönen entworfen, den Tod lässt er als Kontrast ganz in Weiß auftreten.

Im Gegensatz zum Studiengang Modedesign erzählen die Arbeiten der angehenden Kostümdesigner von Anfang an Geschichten und sind aktive, dramaturgische Elemente für ihren Einsatz in Theater, Oper, Film oder Werbung. Auch Mascha Bischoffs Arbeit soll nicht bloß ästhetisch ansprechen. Die 27-Jährige hat ein Kleid aus 500 Metern weißem Band entworfen und den unteren Teil blutrot eingefärbt. "Ich habe mich von koreanischer Tuschemalerei inspirieren lassen - meine Mutter ist Koreanerin - und nun saugt mein Kleid wie ein Pinsel rote Farbe auf." In der Performance, als die Farbe noch ganz frisch war, "bemalte" das Kleid dann in einem wilden Tanz die Wände eines Raumes.

+++Modedesigner: Jeder Flur ist hier ein Laufsteg+++

Im Kostümdesign ist Fantasie gefragt, nicht nur in der Gestaltung. Mascha, im fünften Semester, experimentiert gern mit den unterschiedlichsten Materialien. "Ich ziehe nicht bei Stoffen die Grenze, sondern probiere aus, was sich mit Holz, Plastik, Plexiglas oder Gummi-Milch alles machen lässt." Vor allem aber müssen die Studenten lernen, sich in die Ideenwelt ihrer künftigen Arbeitgeber hineinzudenken. Dazu müssen sie mit ihnen in Kontakt kommen. "Unsere Studenten durchlaufen schon ab dem zweiten Semester Praxisprojekte", betont Reinhard von der Thannen. "Gerade Kostümdesign darf nicht im Elfenbeinturm gelehrt werden", ist der Professor überzeugt.

Neben seiner Lehrtätigkeit ist er selbst als Kostümbildner für zahlreiche renommierte Theater in ganz Europa aktiv und wurde im vergangenen Jahr von der internationalen Fachzeitschrift "Opernwelt" erneut zum Kostümbildner des Jahres gewählt. "Hier an der Hochschule lernen die Studenten Malen und Zeichnen, Schnittgestaltung und Fertigungstechnik. Sie experimentieren mit Masken und Perücken und lernen zu 'Agen', also Kleidungstücke alt und getragen aussehen zu lassen. Entscheidend ist jedoch, dass sie ihr Handwerk von Anfang an in der Praxis und im Umgang mit Regisseuren, Dramaturgen und Intendanten testen können." Die HAW Hamburg pflegt deshalb vielfältige Kooperationen mit Sprech- und Musiktheatern oder freien Projekten. So kommen die Studenten etwa am Thalia-Theater, am Schauspielhaus oder auf Kampnagel zum Einsatz.

+++Hamburger Professor ist "Kostümbildner des Jahres"+++

Mascha ist im Umgang mit ihren künftigen Auftraggebern ein klein wenig im Vorteil: Nach dem Abitur hat sie zunächst ein Studium in Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften angefangen. Doch da fehlte ihr der handwerklich-praktische Aspekt - die reine Theorie reichte ihr nicht, sie wollte selber gestalten. "Jetzt kommt mir das Hintergrundwissen zu Kunst und Theater zugute und hat mir schon oft geholfen, eine gemeinsame Sprache mit den Regisseuren zu finden", erzählt sie. Auch Claudio hatte zunächst andere berufliche Vorstellungen. "Nach meinem Realschulabschluss habe ich zunächst eine Ausbildung zum Altenpfleger gemacht. Aber ich hatte schon immer eine große Affinität zu Theater und historischer Kleidung - also habe ich mich noch einmal gänzlich umorientiert." Erste Praxisluft schnupperte Claudio vor Beginn seines Studiums bereits beim Musical "Wicked" in Oberhausen. "Da war ich Dresser und habe eine der Grundvoraussetzungen unseres Berufs gelernt: Ein Kostüm kann noch so schön sein - wenn die Darsteller nicht schnell genug rein- und wieder rauskommen, ist es nichts wert."

Auch darum hält er die Praxisprojekte, die viel Zeit und Mühe zusätzlich zum Lehrstoff bedeuten, für so wichtig. "Zum einen lässt sich in den Projekten praktisch anwenden, was wir in den verschiedenen Fächern lernen. Zum anderen aber ist Arbeiten unter realen Bedingungen nun einmal etwas ganz anderes - das kann kein Seminar nachstellen oder gar ersetzen", sagt er und nennt als Beispiel die Herausforderungen, die ein enges Budget mit sich bringt. "Das heißt dann loslaufen und den Fundus verschiedener Theater sichten, Flohmärkte abgrasen oder auf Dachböden stöbern. Am Ende lässt sich aus allem etwas machen, du musst es nur in dem Stück sehen. Das ist das Faszinierende an unserem Handwerk."

+++Zur Eignungsprüfung: Mappe mit 20 Arbeiten+++

Eine weitere wertvolle Praxiserfahrung ist der Umgang mit den jeweiligen Auftraggebern. "Da hast du zum Beispiel die ganze Nacht genäht und endlich sitzt alles perfekt. Dann kommt der Regisseur auf einen Sprung vorbei, wirft einen Blick auf deine Arbeit und mit einem einzigen Satz: ,Nee, so hatte ich mir das nicht vorgestellt ...' kannst du wieder von vorne anfangen", erzählt Claudio. "Und wenn dieser Satz eine Woche vor der Premiere kommt, bringst du besser eine ordentliche Portion Stressresistenz mit", fügt er grinsend hinzu.

Wenn hingegen die Chemie stimmt, kann bereits ein einzelnes Projekt den Weg ins Berufsleben ebnen. "Eine erfolgreiche Zusammenarbeit führt oft zur nächsten. Das ist auch deshalb so wichtig, weil Festanstellungen in unserer Branche eher selten sind", sagt Mascha. Die für Kostümdesigner oft unsichere Zukunft schreckt sie jedoch nicht. "Ich weiß, was mich erwartet, und gebe mein Bestes. Erstes Ziel: von meiner Arbeit leben zu können - ohne unterstützende Zweitjobs. Zweites Ziel: mir bei Regisseuren und Produzenten einen Namen zu machen, bekannter zu werden und meine Ideen verwirklichen zu können. Und das am liebsten in der Oper und am Theater, denn beim Film wird ja doch oft eher alltagsmäßig ausgestattet."

Kontakte sind also Gold wert? "Natürlich", bestätigt von der Thannen. "Viele Absolventen starten als Assistenten der Kostümbildner. So sammeln sie Erfahrung und warten auf ihre Chance zum Sprung in die erste Reihe. Aber andere haben sich bereits durch ihre Kontakte bei den vielen Praxisprojekten ihre Chancen erarbeitet. Und wieder andere führt ihr Engagement ins Ausland. Zu großen Projekten wie Spiderman in New York - und das ist ganz sicher eine exzellente Visitenkarte."