Seit 70 Jahren werden am Campus Armgartstraße Modedesigner ausgebildet. Der Stil mag sich gewandelt haben, die Kreativität der Leute nicht

Auf den Treppen liegt kein roter Teppich, und doch hat man das Gefühl, beim Betreten des Campus nicht mehr gehen sondern schreiten zu müssen. Der Rücken wird automatisch gerade, und nach drei Sekunden ärgert man sich, nicht etwas Cooleres angezogen zu haben. Hier ist jeder Flur ein Laufsteg: Die Studenten tragen Klamotten, die H&M so ähnlich erst nächste Saison im Angebot hat, und die Professoren verkörpern Stil wie im Lehrbuch.

70 Jahre ist der Modecampus alt, die Ideen, die dort geboren werden, sind nach wie vor von morgen. Zur mehrtägigen Jubiläumsfeier des Modecampus war im Juli dieses Jahres die ganze Armgartstraße gesperrt und zu einem Catwalk umfunktioniert worden. "70 Jahre Meisterschule für Mode" lautete das Thema des Departments Design der HAW Hamburg, und die Studierenden präsentierten von Barbiemuffs bis zu Minigolf-Hosen alles, was einen menschlichen Körper zieren könnte. Tragbare Mode war ebenso zu erleben wie extravagante Roben.

Manuel Hallermeier, inzwischen im vierten Semester, entschied sich für ein futuristisches Outfit, für das er eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien verarbeitete, darunter Baumwollstoffe, Kunstleder, Lack, Holz, Kunstfell und eine dicke Plastikfolie. Dazu stellte Hallermeier sein Model Stephie auf Rollschuhe und ließ sie von einem umgebauten Rasenmäher ziehen. "Dieses Outfit ist aus einem Projekt mit dem Thema Science Fiction entstanden, für das wir verschiedene Szenarien entwickelt haben. In meinem Szenario machen sich die Menschen nicht mehr die Mühe, die eigenen Beine zu benutzen. Mensch und Maschine verschmelzen miteinander. Darum der Rasenmäher und die Rollschuhe", erklärt der Student. Die Lust am Experimentieren mit Materialien stand bei ihm im Vordergrund. "Die Plastikfolie war neu für mich. Jedes Material hat seine Eigenarten, verhält sich charakteristisch, und das Wissen darum muss von Anfang an in die Entwicklung einfließen", erläutert der 23-Jährige.

Das Fächerspektrum des Studiengangs Modedesign unterteilt sich in die vier Modulbereiche "Kunst", "Labore und Werkstätten", "Theorie" und "Design". Hallermeier schätzt vor allem die praktische Arbeit in den Laboren und Werkstätten, ganz besonders interessiert ihn der Schnitt. "Die Schnitt-Idee muss schon in der Skizze enthalten sein, darauf baut alles auf. Dazu muss ich von vorneherein alle Maße desjenigen im Kopf haben, der das Stück tragen soll. Ich muss verstehen, wie der Körper geformt ist. Nur so funktioniert das Outfit am Ende."

Das bestätigt auch Professor Peter Erich Seebacher, Leiter des Studiengangs Modedesign. "Designentwicklung ist viel mehr als nur einen Stift über das Papier fliegen zu lassen. Es geht darum, den Umgang mit Stoffen zu erleben und sie mit Absicht zu formen." Eng am Körper anliegende Stoffe seien noch relativ leicht zu handhaben. "Aber sie exakt nach dem eigenen Willen fließen zu lassen - da wird es interessant", sagt Seebacher.

Deshalb sei das praktische Ausprobieren so wichtig. "Talent und Kreativität bringen unsere Studenten mit. Hier müssen sie ihre Fähigkeiten einbringen und ausleben. Das heißt, sie müssen viele verschiedene Ansätze finden und austesten - oder anders ausgedrückt, sie müssen viel, viel arbeiten."

Bei Mengqi Wang stößt Seebacher damit auf offene Ohren. Die 22-Jährige studiert Modedesign im vierten Semester und hat bei der Gestaltung ihres Stundenplans immer auch verwandte Studienrichtungen wie Kostüm- und Textildesign oder Bekleidungstechnik im Blick. "Bei den Kostümdesignern habe ich gerade einen Hut-Kurs belegt, und bei den Bekleidungstechnikern lerne ich Business-Englisch. Und dann gibt es da noch eine Zusammenarbeit zwischen der HAW und dem Filmstudiengang der Hamburg Media School. Da hatte ich die Möglichkeit, als Kostüm-Assistentin in einen Film-Dreh reinzuschnuppern. Das war spannend."

Durch solches "Über-den-Tellerrand-Blicken" hat Wang in diesem Semester zwar reichlich zu tun, doch gerade die Möglichkeit, interdisziplinär zu studieren, war ein Grund, warum sie von einer privaten Hochschule zur HAW Hamburg wechselte. "Hier wird ein Rahmen vorgegeben, ohne den Studenten einzuschränken", findet Wang. "Kreativität ist gern gesehen und wird gefördert."

Wangs Traum wäre es, eine eigene Marke zu etablieren, und auch Manuel Hallermeier würde sich gern als Designer selbstständig machen. Die Zukunftspläne ihrer Studenten hält Dekanin Professor Dorothea Wenzel durchaus machbar. Immerhin gehören so bekannte Designer wie Anna Fuchs und Tonja Zeller zu den HAW-Absolventen, und auch die Macher hinter dem Label FKK Fashion haben an der Armgartstraße studiert. "Nach dem Bachelor mit einem spezifischen Master das Studium fortzusetzen, vielleicht sogar ins Ausland zu gehen, ist eine gute Idee. Ein weiterer akademischer Grad verbunden mit Auslandserfahrung erhöht die Chancen." Auch die Modeunternehmen Hamburgs bieten einen interessanten Markt. "Wir haben nicht viele große Firmen, aber eine Reihe interessanter und profilierter Labels." Zum Thema Selbstständigkeit sagt die Dekanin: "Oftmals sind Wettbewerbe ein wertvoller erster Schritt, wenn das Preisgeld in der Realisierung der ersten eigenen Kollektion besteht."

Der schnöde Alltag jedoch, sprich das Erlernen der praktischen Grundqualifikationen, habe es manchmal ganz schön in sich, sagt Wang. "Es ist kaum zu glauben, wie viel Arbeit in einem einfachen T-Shirt steckt. Seit ich das am eigenen Leib erfahren habe, ärgere ich mich immer, wenn ich schlampig verarbeitete Säume in Geschäften sehe", erzählt sie.

Schlampigkeit lassen die Dozenten den Studenten natürlich nicht durchgehen, und so ist schon so mancher weinend rausgelaufen oder hat den Stoff wutentbrannt an die Wand geschleudert, weil er einfach keine gerade Naht hinbekommen konnte. Gerade in den ersten Semestern fühle man sich leicht als Grobmotoriker, sagt Wang. "Dabei ist in unserem Metier im wahrsten Sinne des Wortes Fingerfertigkeit gefordert." Aber so ist das eben - kein Traum ohne Tränen.