Arbeit ist sein Job: Sönke Fock gestaltete nach der Wende den Arbeitsmarkt im Osten mit. Seit einem Jahr managt er die Hamburger Agentur für Arbeit..

Viel Zeit hatte er an diesem Abend nicht: Im Wendeherbst 1989 schrieb der angehende Jurist Sönke Fock an seiner Examensarbeit und wollte am 9. November nur kurz den Fernseher einschalten. Verblüfft rieb er sich die Augen. Die DDR öffnete ihre Grenzen. Und spontan wurde dem 28-Jährigen klar, was das bedeutete: Eine Staatswirtschaft wird umgekrempelt.

Es würde enorme Anstrengungen kosten, eine Verwaltung nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu errichten. Die Menschen bräuchten andere Jobs, müssten neu lernen. Eine Mammutaufgabe, bei der er dabei sein wollte. "In diesen Tagen habe ich mich entschieden, zur Bundesanstalt für Arbeit zu gehen", sagt Fock. Juristen waren dort für Führungsaufgaben vorgesehen und wurden sofort verbeamtet. Wichtiger war ihm: "Dort konnte ich den Arbeitsmarkt mitgestalten und die Menschen in Arbeit bringen." Fock bestand alle Eignungstests. Am 1. Juli 1990 begann er in der Arbeitsverwaltung.

+++"Die Zahl der Arbeitslosen sinkt weiter"+++

Heute, 22 Jahre später, ist der ehemalige Jurastudent Chef der größten deutschen Arbeitsagentur in Hamburg. Er führt fast 2000 Mitarbeiter in der Agentur und dem Jobcenter, das sich um Langzeitarbeitslose kümmert, und ist Herr über einen Etat von fast einer Milliarde Euro. Als Direktor verdient Fock 4100 Euro netto im Monat - deutlich weniger als Manager mit ähnlicher Verantwortung. Dafür aber ist er seinen Traumberufen, die er sich in seiner Jugend ausgemalt hatte, sehr nahe gekommen. "Ich wollte Lehrer, Pastor oder Psychologe werden. Jetzt bin ich von allem etwas", sagt Fock, der in Schleswig aufgewachsen ist.

Seine berufsübergreifenden Fähigkeiten und sein Organisationstalent hatte er rasch bitter nötig. Denn schon gut ein Jahr nach dem Start in Neumünster wurde er Chef von 330 Mitarbeitern in Neubrandenburg, war als Abteilungsleiter für alle Rechts- sowie finanziellen Fragen vor Ort verantwortlich. Für sieben Monate sollte er eine erkrankte Kollegin vertreten. Doch was er gut zwei Jahre nach der Wende im Osten erlebte, hat sich ihm für immer eingebrannt. So gab es im Oktober 1992 auf dem ehemaligen Amt für Arbeit und Löhne keinen Kopierer und nur eine einzige Matrize zum Vervielfältigen. Die Akten standen in mühselig beschafften Bananenkartons, und Fock nutzte das einzige Telefon, mit dem Anrufe nach außen möglich waren.

Noch schlimmer aber war die Situation der Menschen. Als die DDR-Lebensmittelkette HO zusammenbrach, standen 6000 ehemalige Mitarbeiter vor dem elfgeschossigen Sitz des Arbeitsamtes. Mit Tränen in den Augen fragte wenig später der Betriebsratsvorsitzende der Eisengießerei in Torgelow, was aus den 1000 Beschäftigten ohne das Werk werden solle. Und jeden Freitag waren die Flure des Amtes schwarz von Menschen, die sich als Vermittler bewarben. "Aber auch wenn die Arbeit kein Ende nahm", sagt Fock, "war es der richtige Schritt." In dieser Zeit wurde ihm klar, wie stark es Mitarbeiter motiviert, wenn er sie selbstständig entscheiden lässt.

+++"Eine Jobsuche ist immer aufwendig"+++

Weil auch sein Vertreter in Neumünster erkrankte, ging Fock im Mai 1993 zurück, wechselte bald darauf nach Lübeck und später als neuer Personalchef für die Arbeitsämter in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nach Kiel. Dort bat ihn eines Tages sein Chef zu einer Tasse Tee in sein Büro. Es ging um einen neuen Direktor für Neubrandenburg, für die Stadt, in der Fock die Arbeitsverwaltung in schweren Zeiten unterstützt hatte. "Ich kenne die Pläne in der Zentrale in Nürnberg nicht, aber für mich wären Sie der Kandidat", sagte sein Vorgesetzter. Fock sagte zu und stand damit erstmals an der Spitze eines Amtes.

Für die Karriere, sagt er rückblickend, sei Glück nötig und das richtige persönliche Profil. Aber es müsse auch einen Chef geben, der sich für einen Bewerber einsetze. Natürlich zählt Mobilität und Erfolg. Das bedeutet bei der Arbeitsagentur die rasche Vermittlung von Menschen in Arbeit, ohne den Haushalt unnötig zu strapazieren. "Heute sehe ich meine Aufgabe darin, Türen für Neueinstellungen zu öffnen", sagt Fock. Auch mit dem zarten Hinweis an Firmen: "Da geht doch noch was."

Bei seinem zweiten Einsatz in Neubrandenburg ging es aber erst einmal nur darum, das Schlimmste zu verhindern. Mit 36 Jahren war Fock der Mann, der Arbeitslosenquoten von bis zu 42 Prozent in einigen Kreisen des Bezirks bewältigen musste. Die bundesweite Presse reiste an, um über die Not zu berichten. Die Menschen rechneten mit der DDR-Vergangenheit ab. Anonyme Anschuldigungen gingen bei Fock ein. Waren einige seiner neuen Mitarbeiter bei der Staatssicherheit? "Es durfte nicht den Hauch eines Zweifels an unseren Leuten geben, weil unsere Entscheidungen sonst in Verruf geraten wären", sagt Fock. Er stellte sich hinter seine Mitarbeiter, verlangte aber auch absolute Offenheit. Wer die nicht zeigte, musste gehen.

Als Fock dann in die Zentrale nach Nürnberg abgezogen wurde, um die Hartz-Reformen mit vorzubereiten, spielte sein Körper nicht mehr mit. Er erlitt einen Hörsturz, und ihm wurde klar, dass er nicht mehr täglich 150 Prozent geben konnte. Er wechselte zunächst zurück nach Neubrandenburg und stieg dann zum Chef einer der drei Arbeitsagenturen in Berlin auf.

+++So schärfen Bewerber ihr Profil+++

Wieder ein Umzug, der der Karriere nützte, aber zum Aufbau eines neuen sozialen Umfelds zwang. "Bei jedem Wechsel habe ich Freunde zurückgelassen, für die keine Zeit mehr blieb", sagt Fock, der ledig ist. "Für die Karriere habe ich meinen Preis bezahlt." Im Gegenzug bringt sie ihm Zugang zu Politik und Medien. Seine Stimme wird gehört. "Ich habe gelernt, als Vorbild in der ersten Reihe zu stehen und mich mit der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen", sagt der 50-Jährige. Eine Veränderung für den zuvor eher schüchternen Norddeutschen, der sich als Jugendlicher nicht nach vorn gedrängt hatte.

In Hamburg schließlich fand Fock "erstmals einen intakten Arbeitsmarkt vor. Hier geht es darum, Menschen für Stellen fit zu machen, und nicht nur darum, überhaupt Jobs zu finden", resümiert er nach gut einem Jahr in der Hansestadt.

Wird Sönke Fock in fünf Jahren noch in Hamburg sein? Möglich. Ging es vor 22 Jahren um das Zusammenwachsen des deutschen Arbeitsmarktes, so verlangen Demografie, Wandel und Globalisierung nun europäische Strukturen. "Zu Beginn meiner Karriere habe ich in Ostdeutschland geholfen, die Arbeitsbedingungen anzugleichen. Nun Lösungen für Europa zu finden, könnte eine neue Herausforderung sein", sagt Hamburgs Agenturchef. Mammutaufgaben schrecken Fock noch immer nicht ab.