Im Interview spricht Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur Hamburg, über zukunftsfähige Jobs und die Strategie gegen Fachkräftemangel.

Hamburg. Das erste Jahr ist vorbei. Seit dem 1. Mai 2011 steht Sönke Fock, 50, an der Spitze der Hamburger Arbeitsagentur, der größten in Deutschland. Das Abendblatt sprach mit dem Juristen über seinen Wechsel aus Berlin, die Strategie gegen den Fachkräftemangel und weiter sinkende Arbeitslosenzahlen.

Hamburger Abendblatt : Herr Fock, nach gut zwei Jahren in Berlin sind Sie als gebürtiger Schleswiger zurück im Norden. Wie wurden sie aufgenommen?

Sönke Fock : Gut, schon mein Name hat mir viele Türen geöffnet. Oftmals wird gemutmaßt, dass ich wie Gorch Fock aus Finkenwerder stamme. So gab es gleich einen Anknüpfungspunkt.

Was unterscheidet die Arbeit in Hamburg von der in Berlin?

Fock : Hamburgs Personalchefs nehmen ihre Verantwortung für die Stadt und ihre Menschen ernster, als das in Berlin geschieht. Das liegt daran, dass sie mit ihren Familien meist in der Stadt wohnen und so mit den Folgen ihrer Entscheidungen konfrontiert werden. Beim Einkaufen und in der Freizeit können sie ihre Mitarbeiter treffen. Da kann es sich niemand leisten, nicht zu seinem Wort zu stehen. In Berlin ist die Atmosphäre anonymer, und oftmals entscheiden Manager aus Konzernzentralen, die gar nicht in der Stadt liegen.

In Hamburg sinkt die Arbeitslosigkeit, aber die Konjunktur entwickelt sich voraussichtlich 2012 schlechter als im Bundesschnitt. Wie wird sich das auswirken?

Fock : Es gibt keinen Grund für Pessimismus. Zwar liegt das Wachstum bei den sozialversicherungspflichtigen Stellen bundesweit derzeit bei 2,6 Prozent gegenüber 2,4 Prozent in Hamburg. Doch die derzeit 850 000 Arbeitsplätze sind ein Spitzenwert für die Hansestadt. Die Zahl der Arbeitslosen wird - abgesehen von saisonalen Schwankungen - weiter sinken. Im Oktober oder im November werden wir unter die Marke von 65 000 Arbeitslosen kommen. Derzeit liegt die Zahl bei 71 639.

Aber es dauert immer länger, freie Stellen zu besetzen.

Fock : Derzeit liegt die durchschnittliche Dauer bis zur Vermittlung bei 104 Tagen, manchmal sind es 130. Das ließe sich ändern, wenn Arbeitgeber ihren gekündigten Mitarbeitern rascher ermöglichen würden, sich bei der Agentur zu melden, und diese ihre Chance wahrnehmen würden. Je eher die Agentur von einer Veränderung weiß, desto schneller kann ein neuer Arbeitsplatz besetzt werden. Ziel ist es, dies in der Kündigungsfrist zu schaffen, sodass der Betroffene gar nicht arbeitslos wird.

Hamburgs entscheidendes Problem ist das Fehlen von Fachkräften. Arbeitssenator Detlef Scheele (SPD) will bis zum Jahresende eine Strategie entwickeln, wie der Bedarf gesichert werden kann. Welche Rolle spielt die Arbeitsagentur?

Fock : Wir haben zunächst gemeinsam die Branchen identifiziert, die die meisten Mitarbeiter suchen. Das sind die Elektro- und Metallindustrie, die Gesundheits- und Pflegebranche, das Sozialwesen, Hafen, Luftfahrt, Logistik, Gastgewerbe, IT und die privaten Sicherheitsfirmen, um nur einige zu nennen. Jetzt will Scheele eine Strategie entwickeln, die junge Menschen und Frauen in Arbeit bringt und ältere im Beruf halten kann. Die Ziele sind Arbeitsplätze, die besser mit der Familie vereinbar sind, altersgerechte Jobs statt vorzeitiger Ruhestandsregelungen für ältere Arbeitnehmer und natürlich die geplante Jugendberufsagentur, die am 1. September ihre Arbeit aufnehmen wird. Firmen, Verbände, Kammern, Gewerkschaften, Arbeitsagentur und Politik arbeiten dafür zusammen. Eine solche übergreifende Vereinbarung zur Festlegung einer Strategie gibt es bisher nur in Hamburg.

Wie hoch ist das Potenzial in den dreigenannten Gruppen?

Fock : Arbeitslos gemeldet waren im April knapp 32 000 Frauen, knapp 19 000 Menschen ab 50 und knapp 5000 junge Menschen bis 25. Für Fördermaßnahmen stellen die Arbeitsagentur Hamburg und das Jobcenter 2012 rund 150 Millionen Euro bereit. Bei der Agentur sind es 41,7 Millionen Einstiegsgeld und Gründungszuschüsse.

Fachkräfte sind auch unter den 3500 Arbeitslosen mit Behinderung. Aber Hamburg hat eine der niedrigsten Beschäftigungsquoten bundesweit. Warum?

Fock : Weil viele Firmen fürchten, dass der mit der Einstellung verbundenefinanzielle und organisatorische Aufwand zu hoch wird oder die Behinderten ihre Aufgaben nicht erfüllen.

Sprechen die Erfahrungen dafür?

Fock : Eher nicht. Behinderte kompensieren ihre Handicaps oft mit guten Fachkenntnissen, einer hohen Motivation und großer Teamfähigkeit. Das kalkulieren viele Arbeitgeber aber nicht ein. Generell sollten die Firmen mehr tun. Wir helfen jetzt mit einer Jobmesse, die heute und morgen bei uns in der Arbeitsagentur in der Kurt-Schumacher-Allee stattfindet.

Kann Hamburg bei der Suche nach Fachkräften davon profitieren, dass junge Menschen aus Griechenland oder Spanien an die Elbe kommen?

Fock : Bisher kaum, weil es oft an Deutschkenntnissen fehlt. Anders wäre es, wenn sich Firmen beispielsweise aus dem Gesundheits- oder Gastronomiebereich zusammentun und ihren genauen Bedarf beziffern würden. Dann könnte die Zentrale Stelle für Auslandsvermittlung der Arbeitsagentur helfen. Das macht aber nur Sinn, wenn sich Arbeitgeber auch um Sprachkurse und bezahlbare Wohnungen bemühen.

Wie geht es mit den Ein-Euro-Jobs in Hamburg weiter?

Fock: Die Vermittlung von Arbeitslosen hat Priorität. Ein-Euro-Jobs sind hier nicht effizient. Wir haben für 2012 die Zahl der Stellen noch einmal um 500 auf 4400 erhöht. Damit liegen wir im oberen Bereich, der von Experten empfohlenen Größe von 1200 bis 6000 Ein-Euro-Jobs. Der Etat des Jobcenters wird weiter sinken. Nach 110 Millionen Euro 2012 möglicherweise auf noch 89 Millionen Euro 2013. So wird es künftig auch weniger Ein-Euro-Jobs geben.

Fast die Hälfte der 60 Schlecker-Filialen in der Stadt ist inzwischen geschlossen. Was wird aus den Beschäftigten?

Fock : 64 Beschäftigte haben sich bei uns arbeitslos gemeldet. 43 von ihnen kamen zu einer extra für sie einberufenen Veranstaltung, bei der 120 Jobs vor allem im Einzelhandel angeboten wurden. Aber es waren auch die Hochbahn und die Bäcker-Innung dabei, die Busfahrer und Fachverkäufer suchen.

War der Wechsel von Berlin nach Hamburg eine gute Entscheidung?

Fock : Eindeutig ja und nicht nur, weil der Zuständigkeitsbereich für 1,8 Millionen Einwohner hier größer ist. Berlin teilt sich ja in drei Agenturen auf. Ich kann in Hamburg Akzente setzen, und die Firmen nehmen ihre Verantwortung für die Belegschaften ernst. Im ersten Jahr bin ich viel herumgekommen. Ich bin gespannt, was im zweiten Jahr an Neuem auf mich zukommt.