Berlin. Ampel und Wirtschaft streiten über die Familienstartzeit. Doch nicht alle Konzerne haben auf die Politik gewartet. Aus gutem Grund.

Man ist sich nicht einig innerhalb der Ampel, dabei haben Teile der Wirtschaft die Politik längst überholt: Vätern eine zweiwöchige, bezahlte Auszeit im Job einzuräumen, um sich nach der Geburt des eigenen Nachwuchses um Kind und Mutter kümmern zu können, hatte 2021 erstmals die damalige Familienministerin Anne Spiegel auf die Agenda gesetzt. Spiegels Nachfolgerin Lisa Paus (beide Grüne) hat mittlerweile einen Gesetzentwurf zu der sogenannten Familienstartzeit vorgelegt. Doch beschlossen ist nichts.

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Auch innerhalb der Wirtschaft gibt es Bedenken – aber ebenso Firmen, die in Sachen Vaterschaftsurlaub nicht auf die Politik gewartet haben: Der Düsseldorfer Konsumgüterkonzern Henkel hatte erst im Januar verkündet, künftig beiden Elternteilen bei der Geburt eines Kindes acht Wochen Elternzeit bei voller Bezahlung zu spendieren. In Deutschland erhalten Mütter ohnehin nach der Entbindung acht Wochen lang ihr Nettogehalt weiter überwiesen. Insbesondere Väter profitieren deshalb hierzulande von Henkels Regelung.

Familienstartzeit: Warum Großunternehmen der Bundesregierung zuvor gekommen sind

Die Vorreiterrolle unter den großen Dax-Unternehmen begründete Henkel auch damit, dass die Kinderbetreuung oft noch primär bei der Mutter liege. „Mit der Initiative möchten wir werdende Eltern unterstützen und herkömmliche Geschlechterrollen aufbrechen, um jedem die Teilhabe an der Kinderbetreuung zu ermöglichen“, sagte Henkel-Vorständin Sylvie Nicol. Dazu gehöre es auch, Väter zu ermutigen, sich in den ersten Wochen ihrer Familie zu widmen – ohne finanzielle Einbußen. Henkel werde damit auch wachsenden Erwartungen jüngerer Generationen gerecht, für die gleichberechtigte Kinderbetreuung ein „immer wichtigerer Faktor in der Familien- und Karriereplanung wird“.

Der international agierende US-Softwarekonzern Microsoft bietet in Deutschland eine solche Regelung bereits seit 2018 an. „Dieser Sonderurlaub umfasst insgesamt sechs Wochen bei voller Bezahlung und wird allen frisch gebackenen Vätern oder Adoptiveltern gewährt, die ein unter 16 Jahre altes Kind adoptiert haben“, heißt es von dem Unternehmen. Ein Kind zu bekommen, sei eines der bedeutendsten Lebensereignisse, die ein Mensch erleben könne, so Microsoft.

Deutsche Konzerne wie Adidas, Allianz, Bayer, Beiersdorf, SAP oder Zalando erklärten zwar, grundsätzlich das Ziel zu haben, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Eine über zehn Arbeitstage bezahlte Freistellung für Väter nach der Geburt eines eigenen Kindes gibt es bei diesen Firmen aber noch nicht.

Arbeitgeber haben andere Idee, was Finanzierung der Familienstartzeit angeht

SAP hatte erst kürzlich angekündigt, wegen der fehlenden Umsetzung der Bundesregierung eigene Pläne, Väter nach der Geburt eines Kindes bezahlt freizustellen, überprüfen zu wollen. Derzeit dürfen bei dem Konzern beschäftigte Väter ihre Arbeitszeit lediglich reduzieren – und zwar in den ersten acht Wochen nach der Geburt eines eigenen Kindes bei vollem Gehalt um 20 Prozent, so ein Sprecher.

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Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat weiterhin Bedenken gegen die Pläne der Ampel. Elternzeit und Elterngeld würden Familien bereits die Möglichkeit geben, ab der Geburt im Job eine Pause einzulegen. „Die Politik muss sich entscheiden, ob sie neue Freistellungsansprüche umsetzen möchte – oder ob sie den Arbeitskräftemangel lindern möchte. Beides zusammen geht nicht“, so ein Sprecher der BDA.

Kritik übt der Arbeitgeberverband auch an der Finanzierung. Auf rund 556 Millionen Euro schätzt das Familienministerium die jährlichen Kosten für die Wirtschaft, die analog zum Mutterschutzgeld über ein Umlagesystem finanziert werden sollen. Die Mehrkosten würden also auf alle Arbeitgeber des Landes verteilt.

Familienstartzeit: Die Kosten pro Betrieb halten sich in Grenzen, so eine Berechnung

Das sei fair, heißt es dazu aus Koalitionskreisen: „Partnerschaftsfreistellungen dürfen nicht davon abhängig sein, ob man bei einem Unternehmen beschäftigt ist, welches sich derartige Freistellungen auf eigene Kosten leisten kann oder bei einem kleinen Unternehmen, welches sich dies nicht leisten kann.“ Die BDA lehnt den Finanzierungsvorschlag hingegen grundsätzlich ab. „Ordnungspolitisch korrekt wäre eine vollständige Übernahme aus Steuermitteln“, so der Verband, der die FDP in dieser Sache auf seiner Seite sieht. Die Liberalen blockieren derzeit das Vorhaben Familienstartzeit innerhalb der Ampel-Koalition.

Zoff in der Ampel um höheren Kinderfreibetrag

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    Kleinere Firmen sind den Plänen durchaus aufgeschlossen. Der Mittelstandsverband BVMW begrüßte auf Anfrage das Vorhaben einer Familienstartzeit, pocht aber auf eine bürokratiearme Umsetzung. Solange die vergütete Freistellung auf zehn Arbeitstage beschränkt ist, hat diese laut dem BVMW auch wenig Einfluss auf interne Betriebsabläufe. In vielen Fällen werde bereits jetzt regulärer Erholungsurlaub von Vätern für die ersten Tage nach der Geburt genommen.

    Der erhöhte Erstattungsanspruch könne zwar auch höhere Umlagen für Arbeitgeber bedeuten. So wie das Familienministerium gehen aber auch die Mittelstandsvertreter nur von einer geringen Belastung pro Betrieb aus: Laut Modellrechnung kämen auf eine Firma mit 100 Mitarbeitenden und einem Durchschnittslohn von 3700 Euro brutto 208 Euro Mehrkosten im Monat zu. Bei zehn Mitarbeitenden seien es monatlich 10,40 Euro mehr – für den gesamten Betrieb.

    Gewerkschaft sieht bei Familienstartzeit weiteren Punkt, der dafür spricht

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) pocht nun auf eine schnelle Umsetzung: „Die Bundesregierung darf bei dem Thema nicht länger zaudern, wir brauchen die Familienstartzeit noch in diesem Jahr“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack dieser Redaktion. Hannack forderte die FDP auf, endlich herunterzukommen „vom Bremsklotz und ihre Blockadehaltung innerhalb der Koalition“ zu beenden. Das sei auch im Sinne der Wirtschaft. Einige Unternehmen hätten schon erkannt, dass die Freistellung der Väter rund um die Geburt ein Attraktivitätsbonus im Ringen um Fachkräfte sei.