Berlin. Fast jeden dritten Tag kommt es auf dem Bau zum tödlichen Unfall – 74 Mal allein vergangenes Jahr. Wer besonders gefährdet ist.

Ein Bauarbeiter stürzt 20 Meter tief in einen Lüftungsschacht. Ein 51-Jähriger wird auf einer Baustelle von einer einstürzenden Wand begraben. Ein Bagger überrollt Bauarbeiter. Solche traurigen Nachrichten sind nicht selten. Das Baugewerbe zählt in Deutschland zu den unfallträchtigsten Arbeitsorten. Immer wieder fallen Menschen von Leitern, Dächern oder in Gruben. Sie werden von herabstürzenden Bauteilen getroffen. Manche werden so stark verletzt, dass sie nicht überleben.

Im vergangenen Jahr ist statistisch gesehen an fast jedem dritten bis vierten Arbeitstag ein Bauarbeiter im Job tödlich verunglückt, 74 Todesfälle gab es laut einer vorläufigen Jahresbilanz der Berufsgenossenschaft für die Bauwirtschaft (BG Bau) im gesamten Bundesgebiet. Hinzu kamen weitere 99.380 Unfälle ohne tödlichen Ausgang. „Das sind erschreckende Zahlen“, sagt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, dieser Redaktion.

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Zwar ist die Zahl der Getöteten und Verletzten gesunken, dennoch sei die Lage „alarmierend“, so Feiger. 2021 waren 85 Menschen auf Baustellen gestorben, 103.518 Unfälle wurden insgesamt gezählt. Auch wenn die aktuellen Zahlen im Vergleich dazu zurückgegangen sind, „das Unfallgeschehen auf dem Bau ist hoch“, sagt Feiger. „Baustellen gehören nach wie vor zum Sorgenkind in Sachen Arbeitsschutz.“

„Sicherheit muss auf den Baustellen oberste Priorität haben“

Die Gewerkschaft geht davon aus, dass die Dunkelziffer der Unfälle noch deutlich höher liegen dürfte. „Zum einen werden viele – gerade kleinere Unfälle – gar nicht gemeldet“, meint Feiger. „Zum anderen werden da, wo ausländische Beschäftigte auf Baustellen arbeiten, Unfälle vielfach bagatellisiert oder vertuscht.“

Die meisten Menschen sterben am Bau durch Abstürze von Dächern oder Gerüsten. 2022 gingen allein 35 Todesfälle darauf zurück – und damit fast die Hälfte. 16 Bauarbeiter wurden durch herabfallende Teile erschlagen oder von Baumaschinen tödlich verletzt. Andere wurden auf Baustellen überfahren, verschüttet oder durch einen Stromstoß getötet. Feiger sieht die Unfallbilanz als große Aufforderung, die Gefahren so weit wie möglich zu minimieren.

Schutzkleidung, Helm und Handschuhe sind bei vielen Arbeiten am Bau wichtig für den Gesundheitsschutz.
Schutzkleidung, Helm und Handschuhe sind bei vielen Arbeiten am Bau wichtig für den Gesundheitsschutz. © dpa | Sven Hoppe

„Sicherheit auf den Baustellen muss oberste Priorität haben“, mahnt Feiger. Insbesondere dürften hoher Kosten- und Zeitdruck nicht dazu führen, dass der Arbeitsschutz vernachlässigt werde. „Die Arbeit auf dem Bau darf für die Beschäftigten nicht zum Hochrisiko-Job werden, weil der Chef am Arbeitsschutz spart oder der Arbeitsdruck immer weiter steigt.“ Viele der Unfälle passieren laut IG Bau in kleineren Betrieben. „Hier müssen wir dringend ein anderes Bewusstsein schaffen.“

Arbeit oft mit schweren Maschinen oder in großer Höhe

Die Arbeit auf dem Bau ist für viele der bundesweit rund 927.000 Beschäftigten ein spannendes Berufsfeld. Doch täglich lauern neue Gefahren wegen der sich ständig ändernden Verhältnisse auf den Baustellen, erklärt eine Sprecherin des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Gearbeitet wird bei Regen, Sonne, Kälte oder Wärme – oft auch in teils großer Höhe, in Baugruben und Tunneln oder in der Nähe von schweren Maschinen, Baugeräten und Gefahrstoffen.

Dennoch, so die Verbandssprecherin: „Jeder Unfall ist einer zu viel.“ Das Thema Arbeitssicherheit spiele deshalb bei den Arbeitgebern eine zentrale Rolle. Die Unternehmen legten „großen Wert auf eine konstante Verbesserung der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes auf Baustellen“. Investiert werde etwa in Arbeitsschutztechnik sowie in Schutzausrüstungen wie Helme, Sicherheitsschuhe, Gehörschutz und Arbeitshandschuhe.

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Auch im Baugewerbe stehen „Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz ganz oben auf der täglichen Agenda, um Arbeitsunfälle so gut es geht zu vermeiden“, sagte Heribert Jöris, Geschäftsführer Sozial- und Tarifpolitik des Deutschen Baugewerbes. „Völlig auszuschließen sind Unfälle gleichwohl nicht. Dass die Zahlen 2022 rückläufig waren, zeigt aber, dass sich die Präventionsarbeit der Arbeitgeber in der Bauwirtschaft auszahlt.“

„Sicherheits-Know-how“ kann vor Gefahren schützen

Die Gewerkschaft drängt dennoch auf noch mehr Prävention. „Der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist für die Beschäftigten das Nonplusultra und kein lästiges Übel“, sagt Carsten Burckhardt, der im IG-BAU-Vorstand für die Bauwirtschaft und den Arbeitsschutz zuständig ist.

Wichtig sei es, die Arbeitenden für die Gefahren zu sensibilisieren, „ihnen klar zu sagen, was alles passieren kann und welcher Schutz möglich und notwendig ist“, so Burckhardt. Dies betreffe alle Sicherheitsaspekte beim Aufbau von Gerüsten bis hin zu gesundheitsgefährlichen Stäuben bei Abbruch- oder Sanierungsarbeiten. Dieser „Sicherheits-Weckruf“ sei auf jeder Baustelle notwendig. „Jeder Beschäftigte braucht ein Sicherheits-Know-how für den Betrieb und für Baustellen, um Gefahren zu erkennen.“

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Noch wichtiger sei, dass Arbeitgeber und Auftraggeber die Gesundheit am Bau als ein wichtiges Gut sehen und schützen. Gleichzeitig müsse jeder Arbeitende aufpassen, „dass die Routine im Job ihn nicht blind macht für die Gefahren, die am Arbeitsplatz lauern“. Auch müssten die staatlichen Arbeitsschutzkontrollen deutlich verstärkt werden, sagt Burckhardt. „Notwendig ist ein höherer Kontrolldruck für die Betriebe, die es mit der Arbeitssicherheit nicht wirklich ernst nehmen.“