Berlin. Floria Huettl erklärt, warum Opel als einziger Autohersteller in Deutschland auf die Technik setzt – und wie stark die Preise steigen.

Mit Florian Huettl hat Opel schon wieder einen neuen Chef. Sein Vorgänger blieb nicht mal ein Jahr lang. Ist die Traditionsmarke immer noch im Krisenmodus? Im Interview erklärt Huettl seine Strategie, die auch auf Wasserstoff setzt, welche Folgen die hohe Inflation für die Autopreise hat und wie viel Energie der Hersteller schon eingespart hat.

Herr Huettl, ist es gut für eine Automarke, wenn der Chef ständig wechselt? Ihr Vorgänger war nur neun Monate im Amt…

Florian Huettl: Das ist natürlich nicht die Regel. Seine beiden Vorgänger waren mehr als vier Jahre im Amt. Und Uwe Hochgeschurtz ist jetzt für unseren Mutterkonzern Stellantis in der wichtigen Position des Europachefs tätig. Wir arbeiten weiterhin eng zusammen. Das ist auch gut für Opel.

Welche Strategie für Opel verbindet sich mit Ihrem Namen?

Huettl: Wir haben sehr viel vor. Opel wird elektrisch und digital. Wir sind hier auf einem guten Weg. Schon heute haben wir zwölf elektrifizierte Modelle im Angebot – vom Rocks bis zum Movano-e. 2024 werden 100 Prozent unseres Portfolios auch elektrifiziert erhältlich sein. Und bis 2028 werden wir in Europa ausschließlich vollelektrische Autos verkaufen. Diesen Weg gehen wir mit aller Konsequenz nach vorne. Dabei wollen wir unsere Kunden überzeugen, die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter steigern und die Marke weiter profilieren.

Ihre Elektroautos sehen aus wie normale Verbrenner. Ist es ein Nachteil, dass Sie keine futuristisch anmutenden Entwürfe wie Volkswagen mit der ID-Serie haben?

Huettl: Im Gegenteil. Das ist ein klarer Vorteil. Vollelektrische Pkw wie der Corsa-e und der Mokka-e laufen auf der gleichen Linie wie Benziner und Diesel vom Band – dank moderner Multi-Energy-Plattformen. Das gibt uns große Flexibilität. Beide Modelle kommen übrigens sehr gut bei den Kunden an: Beim Corsa ist heute schon jeder Vierte batterieelektrisch, beim stylishen Mokka sogar jeder Dritte.

Mit Verlaub, Corsa ist eine alte Marke und klingt nicht nach Zukunft. Denken Sie auch daran, den Autos neue Namen zu geben?

Huettl: Der Corsa ist eine der Ikonen im europäischen Autogeschäft. Das Modell gibt es seit 40 Jahren. Der Corsa ist die Nummer 1 in seinem Segment in Deutschland, die Nummer 3 europaweit. Und gerade am Corsa sehen Sie, wie man erfolgreich den Weg in die Elektromobilität beschreiten kann, ohne die Tradition zu vergessen. Wir schaffen es, unsere Autos konsequent in die Zukunft zu bringen und sehen keinen Bedarf, neue Namen einzuführen.

Stattdessen soll der Manta wiederkommen. Bleibt es dabei?

Huettl: Ja! Der neue Manta kommt Mitte des Jahrzehnts. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. Der Manta wird vollelektrisch sein und ein klares, pures, deutsches Design bekommen. Beim Innenraum konzentrieren wir uns auf das, was für den Kunden wirklich zählt: Wenige Knöpfe und Screens, keine Überladung an Informationen. Wir nennen das Detox, also die Vereinfachung auf das Wesentliche, und es ist schon bei unserem neuen Astra zu sehen. Wir bieten ein dynamisches Informationssystem: Auf der Autobahn haben Sie etwa bei höheren Geschwindigkeiten einen anderen Bedarf als in der Innenstadt.

Opel hat zuletzt wieder mit Personalabbau Schlagzeilen gemacht. Wie viele Mitarbeiter werden noch gehen müssen?

Huettl: Wir stehen im Moment im Austausch mit unseren Sozialpartnern zur Fortführung unserer attraktiven Freiwilligenprogramme. Denn es geht darum, in einem sehr schwierigen Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben.

Gibt es eine Zahl, wie viele Mitarbeiter sinnvoll sind, um in die Zukunft zu kommen?

Huettl: Das müssen Sie ganzheitlich sehen. Nehmen Sie das Beispiel Kaiserslautern. Am Standort unseres historisch gewachsenen Komponentenwerks errichten wir als Partner im Joint-Venture ACC eine hochmoderne Batteriefabrik, eine Gigafactory mit dem Bedarf an bis zu 2000 Arbeitskräften. In Rüsselsheim fahren wir wieder zwei Schichten – dank der Produktion des DS4 und unseres neuen Astra. Das war vor einem Jahr anders. Anfang September haben wir wieder 170 Auszubildende eingestellt. Außerdem stellen wir als Konzern Mitarbeiter im Bereich Software ein. Auch beim Thema Wasserstoff-Brennstoffzelle gibt es eine große Dynamik.

Wird Wasserstoff eine Technik für die breite Masse sein?

Huettl: Die Technik hat ganz klar ihren Platz. Wir haben jetzt im Nutzfahrzeugbereich angefangen mit dem Vivaro-e Hydrogen. Die ersten Fahrzeuge sind bei den Kunden unterwegs. Die Technologie hat gerade für leichte Nutzfahrzeuge und gewerbliche Anwendungen eine Menge Vorteile: Wenn Sie große Strecken zurücklegen müssen und größere Lasten dabei bewegen, kommt die Brennstoffzelle ins Spiel. Die Produktion wird bald im Stellantis-Werk Hordain industrialisiert. Zudem hat Wasserstoff einen entscheidenden Vorteil: Sie können den Energieträger grün erzeugen, speichern und transportieren.

In Europa hat man sich auf ein faktisches Aus für Verbrennungsmotoren in Neuwagen ab 2035 geeinigt. Teile der Autoindustrie wollen den Verbrenner mit klimaneutralen E-Fuels retten. Wie stehen Sie dazu?

Huettl:E-Fuels sehen wir als eine interessante, wissenschaftsgestützte Option zur Senkung von Emissionen bei Verbrennungsmotoren. Sie können – wie auch Wasserstoff – an einem Ort mit Ökostrom produziert und mit bestehender Infrastruktur zur Tankstelle geliefert werden. Aber nochmal: Elektroautos sind für Opel der klare Fokus. Hier liegt unser Marktanteil in Europa heute bei 4,6 Prozent, im Gesamtmarkt bei 4,2 Prozent. Das zeigt, dass wir neue Kunden für unsere Elektro-Modelle gewinnen, die Opel bislang noch nicht auf ihrer Einkaufsliste haben.

Da wären wir beim Thema Ladesäulen. Steht die Infrastruktur 2028 so, dass Sie Ihre Produkte auch loswerden?

Huettl: Der Ausbau der Ladesäulen muss beschleunigt werden. Da ist klar die öffentliche Hand gefordert. Unsere Opel-Heimatstadt Rüsselsheim hat übrigens innerhalb kurzer Zeit in einem gemeinschaftlichen Projekt 1200 Ladesäulen aufgestellt.

Die Appelle aus der Industrie sind oft ziemlich verhalten. Warum hauen Sie nicht viel stärker auf den Putz?

Huettl: Unser Appell ist ganz klar: Wir müssen den Ausbau der Infrastruktur beschleunigen. Stellantis selbst plant, bis 2025 mit dem Partner „TheF Charging“ 15.000 Ladestationen in ganz Europa aufzubauen. Das hat in Italien bereits begonnen und wird jetzt ausgerollt. Stellantis-Kunden dürfen an den Stationen vergünstigt laden.

Der Chef von Opel: Florian Huettl.
Der Chef von Opel: Florian Huettl. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Haben Sie Sorge, dass dauerhaft hohe Strompreise die Elektromobilität ausbremsen?

Huettl: Der Strompreis ist wie der Benzin- und Gaspreis Schwankungen unterworfen. Für uns ist der Weg klar. Die Bezahlbarkeit von Elektromobilität ist dabei eine der Herausforderungen, mit denen wir umgehen müssen und auch werden.

…und wenn mit dem 49-Euro-Ticket mehr Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen sollten?

Huettl: Auch das zählt zu den Rahmenbedingungen, mit denen wir umgehen müssen. Das gehört zum normalen Geschäft.

BASF-Chef Martin Brudermüller sagt, bei den hohen Strompreisen werden Teile der Produktion in Deutschland zu teuer. Kann das auch bei Opel ein Thema werden?

Huettl: Eins steht fest, die Energiekosten sind in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch. Und andere Kosten auch. Dafür haben wir aber auch Vorteile: Die Nähe zu den Märkten und qualifizierten Fachkräften zum Beispiel. Daher ist das immer als Gesamtpaket zu sehen. Aber natürlich müssen wir auch in Deutschland weiter an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten.

Die Inflation ist auf einem Rekordhoch – erhöhen auch Sie die Preise?

Huettl: Wir erleben die Inflation bei den Produktionskosten so wie jeder von uns an der Ladenkasse. Das wirkt sich auf die Preise aus – bei Opel ungefähr im Bereich der allgemeinen Inflationsrate. Nicht jedes Modell ist davon gleich stark betroffen.

Einen Opel kann ich jetzt auch online ohne Autohaus kaufen. Feilsche ich dann mit einem Algorithmus um den Rabatt?

Huettl: Die Aufgabe für uns als Hersteller ist es, Vertrauen zu schaffen und dafür zu sorgen, dass der Preis überall der gleiche ist. Wenn Sie einen Preis auf der Webseite sehen und der Händler gibt Ihnen einen anderen, vertrauen Sie der Marke nicht.

Das heißt: Rabatt gibt es nicht mehr.

Huettl: Der Preis wird von Anfang an gut sein – und dem Wert des Fahrzeugs entsprechen.

Wie lange wird es noch den klassischen Opel-Händler geben?

Huettl: Den Opel-Händler wird es immer geben. Er ist das Gesicht der Marke zum Kunden. Der Kunde will ein Auto sehen, anfassen, erleben. Und sie brauchen den Service.

So klar sagen das andere Hersteller nicht.

Huettl: Für uns ist das so klar.

Können Sie hier und heute eine Bestandsgarantie für das Stammwerk Rüsselsheim abgeben?

Huettl: Rüsselsheim ist ein integraler Bestandteil unseres Produktionsnetzwerks. Wir haben hier gerade erst stark investiert. Das Werk baut heute in zwei Schichten den Opel Astra in allen Varianten, als Limousine, Kombi und Plug-in-Hybrid sowie den DS4. Die Aufgabe ist klar: Es muss die Modelle in bester Qualität und zu wettbewerbsfähigen Kosten produzieren. Im kommenden Jahr startet dort auch noch der rein batterieelektrische Astra – ein weiterer wichtiger Schritt des Standorts in die Zukunft. Der Lebenszyklus eines Modells beträgt in der Automobilindustrie übrigens durchschnittlich sieben Jahre.

Im Opel-Werk Eisenach soll die Besetzung einer zweiten Schicht an mangelndem Personal scheitern. Ist dem so?

Huettl: Wir haben zwei Schichten in Eisenach. Wir kämpfen hier eher mit der Verfügbarkeit von Halbleitern und Elektroteilen. Unser Werk in Eisenach war davon relativ stark betroffen, insbesondere zum Jahresanfang. Deshalb musste es mehrfach für einige Tage die Fertigung stoppen. Seitdem versuchen wir, mit einem besseren Ausblick auf die Verfügbarkeit von Teilen mehr Stabilität in die Produktion zu bringen.

Wie lange gibt es noch Lieferengpässe?

Huettl: Die Verfügbarkeit von Halbleitern wird noch eine ganze Weile ein Problem bleiben. Wir passen uns da so gut es geht an.

Wie sicher ist das Werk Eisenach?

Huettl: Für Eisenach gilt das Gleiche wie für Rüsselsheim. Hier haben wir stark investiert, um den Opel Grandland zu produzieren. Die Aufgaben sind die gleichen wie in jedem anderen Werk: Wettbewerbsfähigkeit und Qualität. Und Eisenach hat in diesem Jahr beide Aufgaben sehr gut gemacht. Gerade haben wir bekanntgegeben, dass auch der neue Grandland GSe in Eisenach gebaut wird.

Bei den anhaltenden Lieferengpässen gibt es auch eine Bewegung, die einen Teil der Produktion wieder zurück nach Deutschland holen will.

Huettl: Ja, das gibt es. Ein Beispiel sind die Batterien. Die haben ein hohes Gewicht und erfordern gewisse Transportbedingungen. Wegen eines zu knappen Angebots sind zudem die Lieferzeiten sehr lang. Die Versorgung sichern wir künftig über unser Gemeinschaftsunternehmen ACC zusammen mit unseren Partnern Mercedes-Benz und dem Energiekonzern Saft/Total. Das Unternehmen wird Batterien in Europa und Nordamerika in fünf Gigafactorys bauen. Eine entsteht in Kaiserslautern. Damit verringern wir natürlich auch die Abhängigkeit von Asien.

Deutschland könnte im Winter das Gas ausgehen. Hat Opel einen Notfallplan für diesen Fall?

Huettl: Diesen Plan gibt es. An unserem Standort in Thüringen zum Beispiel betreiben wir ein Hybridkraftwerk, das normalerweise mit Gas läuft. Das können Sie aber auch mit Öl betreiben. So gehen wir jede Energiequelle in unserem Unternehmen durch.

Konnten Sie den Gasverbrauch reduzieren?

Huettl: Wir haben das ganze Unternehmen durchleuchtet und auch diverse Maßnahmen eingeleitet, um unseren Energieverbrauch um bis zu 20 Prozent zu senken. Ganz auf Gas verzichten können wir aber noch nicht. In der Lackiererei zum Beispiel brauchen Sie Temperaturen von über 400 Grad.

Deutschland streitet um die Autobahnkleber von der „Letzten Generation“. Was halten Sie als Autochef von illegalen Aktionen, die Autofahren unmöglich machen sollen?

Huettl: Wir möchten unseren Kunden umweltfreundliche Mobilitätslösungen anbieten – und das zu einem erschwinglichen Preis. Wir haben das klare Ziel, künftig auch als Unternehmen CO2-neutral zu werden. Opel wird 2028 einer der ersten großen Hersteller sein, die in Europa emissionsfreie individuelle Mobilität anbieten. Unser Mutterkonzern Stellantis hat bei der Veröffentlichung des Strategieplans „Dare Forward 2030“ bereits ein sehr ambitioniertes Ziel ausgegeben: nämlich Netto-Null-CO2-Emissionen im Jahr 2038.

Bleiben wir in der Politik: China wird immer autokratischer. Ist das Land noch ein sicherer Handelspartner?

Huettl: Opel hat die China-Pläne auf Eis gelegt. Das war eine Marktentscheidung – und keine politische Entscheidung. Aufgrund der aktuellen Herausforderungen für die Automobilindustrie ist es für Opel wichtiger denn je, klaren Prioritäten zu folgen: Qualität, Rentabilität, Kundenzufriedenheit und Nachhaltigkeit.

Wie groß war der russische Markt für Opel-Fahrzeuge?

Huettl: In Russland haben wir zuletzt hauptsächlich leichte Nutzfahrzeuge verkauft. 2021 waren es etwa 2000. Bei einem jährlichen Gesamtabsatz von 130.000 Opel-Transportern also eine niedrige Zahl. Wir verkaufen 90 Prozent unserer Fahrzeuge in Europa, die restlichen zehn Prozent in Übersee. Damit haben wir beim Absatz stabile Rahmenbedingungen. Und wir bereiten den Eintritt in neue Märkte vor. Opel wird immer internationaler.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.