Berlin. Wenn Unfälle auf Autobahnen passieren, begeben sich die Rettungskräfte oft selbst in Lebensgefahr. Was Verkehrsminister Wissing plant.

Kurz nach dem Aufprall wollte Andre K. nur weg. Raus, sich in Sicherheit bringen. Dort wo eben noch der Anhänger seines Unimogs gewesen war, befand sich nun verkeilt die Front eines Lkw, eines 40-Tonners. „Der Aufprall kam wie aus dem Nichts. Plötzlich wurde ich nach vorne katapultiert. In so einem Moment denkt man nicht nach. Man hat nur blanke Panik“, erinnert sich Andre K. heute, drei Jahre nach dem Unfall.

Andre K. ist Straßenwärter in Schüttorf, im südwestlichsten Zipfel Niedersachsens. Zu seinen Aufgaben gehört es, an der Autobahn zu arbeiten. Das reicht von der Grünstreifenpflege bis hin zur Absicherung von Unfallstellen. Rückt K. aus, um anderen zu helfen, begibt sich der 34-Jährige dabei mitunter selbst in Lebensgefahr.

Denn immer wieder kommen Einsatzkräfte, ob Straßenwärter, Polizistinnen, Feuerwehrmänner oder auch Sanitäter und Notärztinnen, im Einsatz zu Schaden. Manche verlieren ihr Leben. Selbst wer Glück hat, überlegt sich, ob er oder sie wirklich eine Arbeit weiter ausüben möchte, bei der die Gefahr täglich mitfährt.

Autobahnen: Digitales Warnsystem soll Einsatzkräfte schützen

Um Einsatzkräfte besser zu schützen, sollen künftig digitale Helfer auf den Autobahnen zum Einsatz kommen. 1500 Baustellensperranhänger sollen bis Ende 2023 mit Warnsystemen ausgestattet werden. Das entsprechende Programm stellte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zusammen mit Walter Eichendorf, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), am Montag in Berlin vor.

Außerdem sollen bundesweit 700 Plakate aufgestellt werden, um für den rücksichtsvollen Umgang im Autobahnverkehr mit Rettungskräften zu sensibilisieren. Wie viele Einsatzkräfte bei ihrer Arbeit ums Leben kommen, wird in der Unfallstatistik nicht erfasst. Wissing stellte aber klar: „Jeder Unfall ist einer zu viel.“ Lesen Sie hier: Energiesparen: Kommt jetzt Tempo 130 auf Autobahnen?

Anhänger kommunizieren per WLAN

Die Anhänger sollen künftig über Wlan mit den Autos kommunizieren. Im Autodisplay wird dann automatisch angezeigt, wie weit der Anhänger, der auch zur Sicherung von Unfällen zum Einsatz kommt, noch entfernt ist.

Bisher haben die rund 20.000 Euro teuren Anhänger meist nur eine kurze Haltbarkeit: Im Schnitt gehen sie nach zwei bis zweieinhalb Jahren kaputt – weil auf sie aufgefahren wird. Jeder Aufprall kann für Helfer lebensbedrohlich sein.

Fachkräftemangel in den Straßenmeistereien

Meist ist es Unachtsamkeit, die für die Helfer fatal enden kann. So wie bei Andre K. Zweimal bereits war Andre K. in einen Unfall verwickelt. Zweimal hatte er Glück. Beim letzten Mal, als der 40-Tonner auf sein Fahrzeug gekracht war, war Andre K. in einer Kolonne unterwegs, das Wetter war gut. Trotzdem wurde er übersehen.

Er habe nach dem Unfall darüber nachgedacht, den Job an den Nagel zu hängen, sagt Andre K. Aber er mag seine Arbeit. „Ich habe mir hier etwas aufgebaut“, sagt er. In Zeiten, in denen der Fachkräftemangel auch die Straßenmeistereien treffen, sei „weglaufen für ihn keine Option.“ Gänzlich ausblenden kann er die Gefahren nicht. „Natürlich denke ich jedes Mal über den Unfall nach, wenn ich höre, dass anderen etwas passiert ist.“ Das Hauptproblem: Man müsse sich auf die anderen Verkehrsteilnehmer verlassen. Doch die würden immer rücksichtsloser.

Straßenwärter Andre K. hatte Glück: Ein 40-Tonner krachte auf sein Fahrzeug, der 34-Jährige blieb unverletzt.
Straßenwärter Andre K. hatte Glück: Ein 40-Tonner krachte auf sein Fahrzeug, der 34-Jährige blieb unverletzt. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Digitales Warnsystem hat einen Haken

Andre K. hofft, dass perspektivisch das digitale Warnsystem dazu beitragen kann, Unfälle zu vermeiden. Kurzfristig hat die digitale Abhilfe aber einen entscheidenden Haken: Bisher wird das System nur von neueren Modellen von Volkswagen unterstützt, etwa vom Golf 8 oder der ID-Serie.

Andere Autobauer hätten aber bereits angekündigt nachzuziehen, teilten die Initiatoren mit. Lesen Sie hier: Tesla: Produktionsstopp in Grünheide und jede Menge Frust

ADAC begrüßt Aktion

Beim ADAC begrüßt man die Aktion – und arbeitet parallel an eigenen Lösungen. „Helfer, Rettungskräfte, auch die ADAC-Straßenwachtfahrer, sind dem Risiko des nachfolgenden Verkehrs ausgesetzt“, sagte eine Sprecherin unserer Redaktion. Beim ADAC setzt man darauf, dass ähnlich wie beim Baustellensperranhänger die Pannenhilfsfahrzeuge Warnsignale an andere Autos aussenden. Aber auch über eine digitale Schnittstelle zu den Verkehrsinformationsdiensten soll die Sicherheit verbessert werden.

Zudem arbeitet der ADAC den Angaben zufolge an einem Projekt, das mit künstlicher Intelligenz arbeitet. Im Kofferraum eines Pannenhilfsfahrzeugs werden dabei Videokameras angebracht. Befindet sich ein heranfahrendes Auto auf Kollisionskurs, wird automatisch die Hupe des Pannenfahrzeugs aktiviert.

Geholfen werden könne den Einsatzkräften aber auch ohne Technik, meint Wissing: „Angemessen fahren, die Geschwindigkeit reduzieren und die Geschwindigkeitsbegrenzungen, die etwa im Baustellenbereich gelten, einhalten.“ Dies sei auch eine Frage des Respekts gegenüber den Einsatzkräften.

Dieser Artikel erschien zuerst auf abendblatt.de.