Berlin/Frankfurt. Bankenpräsident und Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing erwartet langfristig höhere Teuerungsraten. Und weitere Filial-Schließungen.

Ein Virus und Transportengpässe auf den Weltmärkten haben Wirtschaft und Verbraucher 2021 nachhaltig beschäftigt. Zudem stiegen die Preise teils dramatisch. Und die Banken schlossen zahlreiche Filialen, viele erhöhten auch die Gebühren. Christian Sewing, Präsident des Bundesverbands deutscher Banken und Vorstandschef der Deutschen Bank, erklärt, worauf sich die Deutschen 2022 einstellen müssen.

Konjunktur und Inflation

Der Verband der privaten Bankhäuser wie Deutsche Bank, Commerzbank, M. M. Warburg und Co. ist optimistisch: „Aus heutiger Sicht ist für das kommende Jahr in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von rund vier Prozent möglich“, sagt Bankenpräsident Sewing. Auch wenn der Start schwierig werde, sollten die wirtschaftlichen Belastungen durch die Pandemie im Frühjahr nachlassen.

Auch die Lieferengpässe dürften im Jahresverlauf verschwinden. Das hohe Auftragspolster der Industrie biete die Grundlage für eine recht dynamische Erholung im Sommer und Herbst.

Inflationsraten von über fünf Prozent wie in diesem Jahr sollte es 2022 Sewing zufolge nicht mehr geben. Die Teuerung sinke wegen statistischer Effekte wieder. „Sie wird aber nicht wieder auf das niedrige Niveau zurückfallen, das wir zuletzt über mehrere Jahre gesehen haben“, sagte Sewing: „Beim Inflationstrend erleben wir gerade einen ,Etagenwechsel‘, also von Inflationsraten unter zwei Prozent im vergangenen Jahrzehnt zu Raten von voraussichtlich 2,5 bis drei Prozent in den nächsten Jahren.“ Lesen Sie hier: Inflation und Preise: Verbraucherschützer für Steuersenkung

Als Preistreiber sieht Sewing längerfristig den demografisch bedingten Fachkräftemangel und den Umbau der Wirtschaft für mehr Nachhaltigkeit. Hinzu komme die Neujustierung globaler Lieferketten. „Zudem könnte mehr mobiles Arbeiten mancherorts die Gehälter in die Höhe treiben, weil auch Mittelständler in der deutschen Provinz plötzlich mit Jobs bei Großunternehmen aus den Metropolen konkurrieren müssen.“

Corona-Krise

„Auch wenn es manchmal gerumpelt hat, sind wir nach meinem Eindruck verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen“, sagt Sewing. Aktuell erweise sich aber die vergleichsweise niedrige Impfquote als Hypothek. Die Hilfsmaßnahmen von Bund, Ländern und EU bewertet der Bankenpräsident als positiv. Sie hätten geholfen, eine tiefe Wirtschaftskrise in Deutschland zu verhindern. „Das ist definitiv ein großer Erfolg.“

Für die privaten Banken hat Corona einiges verändert. „Die Pandemie hat die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen beschleunigt“, sagt Sewing. „Auch unsere digitalen Angebote vom Online-Banking bis zum kontaktlosen Bezahlen werden deutlich häufiger genutzt.“

Banken

Das Jahr 2021 sei für die Banken besser als erwartet gelaufen, sagt Sewing. „So mussten wir dank der verbesserten gesamtwirtschaftlichen Lage deutlich weniger Risikovorsorge für unsere Kreditportfolios bilden als im Vorjahr. Bei den Erträgen verlief unter anderem der Wertpapierhandel sehr erfreulich.“

Zurückhaltend blieben die Unternehmen demnach bei Krediten. Einen Grund sieht Sewing in der hohen Unsicherheit bei Investitionen. Die Kreditnachfrage zieht dem Bankenpräsidenten zufolge aber 2022 wieder an – wenn die Konjunktur sich wie erwartet erholt.

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    Finanzmärkte

    Anleger können sich auf einen weiter positiven Aktienmarkt freuen. „2021 konnten viele Unternehmen in Deutschland ihre Gewinnmargen verbessern; auch das war ein Grund für die steigenden Börsenkurse“, sagte Sewing. „Für das kommende Jahr rechnen wir mit einer gewissen Normalisierung der Kursentwicklung. Da die Kapitalmarktzinsen weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau bleiben, sollte das frisch erweckte Aktieninteresse bei vielen Sparern in Deutschland anhalten.“ Hintergrund: Trotz Talfahrt: Warum sich der Börsen-Einstieg lohnen könnte

    Zinsen und Strafzinsen

    Für klassische Sparer wird es ein weiteres bitteres Jahr: Steigende Zinsen erwartet der Bankenpräsident 2022 nicht. „Aus heutiger Sicht ist ein erster Zinsschritt der EZB im Jahr 2022 nicht sehr wahrscheinlich.“ Die Zentralbank habe sich sehr langfristig festgelegt und eine Zinswende im nächsten Jahr ausgeschlossen. Immerhin gibt es etwas Hoffnung: „Je nachdem, wie sich Inflation und Pandemie entwickeln, könnte sich die Einschätzung der EZB aber ändern.“

    Entsprechend könnte es weitere Institute geben, die Strafzinsen für hohe Guthaben auf dem Sparbuch oder Tagesgeldkonto verlangen. Um kostendeckend arbeiten zu können, hätten viele Banken keine andere Möglichkeit mehr, als Verwahrentgelte einzuführen. Die Banken müssen seit 2014 Strafzinsen für Guthaben bei der Zentralbank zahlen.

    Filialen

    Die Zahl der Bankfilialen wird 2022 weiter sinken. Allein Commerzbank und Deutsche Bank wollen jeweils gut 100 Standorte schließen. „Die Statistik der Bundesbank zeigt seit Jahren einen Trend zu weniger Filialen. Der wird sich fortsetzen“, sagt Sewing. Kunden erledigten ihre Bankgeschäfte zunehmend online von zu Hause. „Aber es bleibt in Deutschland immer noch eine relativ hohe Filialdichte mit mehr Anlaufstellen für Bankkunden als in vielen anderen Ländern Europas.“

    Ganz verschwinden würden Filialen aber nicht, auch wenn reine Internetbanken wie N26 und Neo-Broker wie Tradegate die Branche gerade aufmischen. Sewing: „Wir erleben eine Renaissance der Beratung, weil die Welt der Finanzen komplexer wird.“