Berlin. Die Zahl der Übernahmen deutscher Firmen durch chinesische Investoren ist gesunken. Laut einer Studie ist es die Ruhe vor dem Sturm.

Die IMST GmbH ist ein klassischer Mittelständler. 145 Mitarbeiter, Umsatzerlöse vor der Corona-Pandemie von knapp 14 Millionen Euro, den Firmensitz in Kamp-Lintfort am Niederrhein, unweit von Duisburg gelegen. Das 1992 als Ausgründung der Universität Duisburg-Essen gestartete „Institut für Mobil- und Satellitenfunktechnik“, das den Firmennamen IMST bildet, ist auf Forschung und Entwicklung von Funksystemen spezialisiert.

Solche Systeme kommen etwa bei Satelliten zum Einsatz, aber auch beim Mobilfunkstandard 5G oder beim autonomen Fahren. Der Anwender selbst bekommt davon wenig mit, weswegen die IMST bundesweit recht unbekannt ist.

Doch zum Ende des vergangenen Jahres stand die IMST plötzlich im Rampenlicht, wurde zum Politikum. Denn die Firma sollte nach China verkauft werden – an das vor allem im Rüstungsbereich tätige Unternehmen Addsino.

Bundesregierung fährt einen harten Kurs gegenüber China

Das Bundeswirtschaftsministerium machte den Plänen einen Strich durch die Rechnung. Es untersagte die Übernahme, da die ISMT sicherheitsrelevante Bedeutung habe. Das Bundeskabinett billigte die Entscheidung.

Bundesregierung fürchtete deutschen Ausverkauf

Es war eine außergewöhnliche Entscheidung. Und sie zeigt die industriepolitische Richtung, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eingeschlagen hat: Übernahmen deutscher Firmen aus China sind unerwünscht.

Als die Corona-Krise über Deutschland hereinbrach, fürchtete Altmaier die Übernahme deutscher Firmen, die vor allem im Gesundheitssektor tätig sind. Kein Wunder, die Aktienkurse börsennotierter Unternehmen waren niedrig, viele Firmen wären zu einem Schnäppchenpreis zu haben gewesen.

Die Regierung handelte schnell. Die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) wurde überarbeitet, Übernahmen von Nicht-EU-Ländern deutlich erschwert.

2020 wurden von chinesischen Investoren 23 Firmen gekauft

Mit den gewünschten Ergebnissen. Nur 23 deutsche Firmen wurden im vergangenen Jahr von chinesischen Firmen übernommen, der einstige Ausverkauf deutscher Unternehmen scheint gestoppt. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft aus Köln (IW), die unserer Redaktion vorliegt.

Noch 2016 kam es zu 44 Übernahmen oder Beteiligungen durch chinesische Investoren, seitdem sinkt die Zahl kontinuierlich. Und dennoch: Vor allem Hightech-Firmen rückten immer wieder ins Visier chinesischer Investoren.

Tom Tailor wurde für einen Euro verkauft

Die wohl bekannteste Übernahme im vergangenen Jahr war die des Hamburger Unternehmens Tom Tailor. Der chinesische Investor Fosun kaufte den bereits vor der Corona-Pandemie in Schieflage geratenen Modehändler für den symbolischen Wert von einem Euro.

Auch der ostwestfälische Luxusküchenhersteller Poggenpohl ging im vergangenen Jahr an chinesische Investoren. Nachdem die Traditionsfirma aus Herford im Zuge der Pandemie Insolvenz anmelden musste, kaufte der chinesische Küchenarmaturenhersteller Jomoo die Firma.

Der angeschlagene Modehändler Tom Tailor wurde 2020 von Fosun gekauft.
Der angeschlagene Modehändler Tom Tailor wurde 2020 von Fosun gekauft. © imago images/Rene Traut

Verbot zum Handel mit China

Mode und Küchen – solche Übernahmen sind auch aus Sicht der Bundesregierung unproblematisch. Ganz anders sieht das bei sicherheits- und industrierelevanten Bereichen aus. Nicht nur IMST geriet ins Blickfeld der Bundesregierung.

Das oberbayerische Raum- und Luftfahrtunternehmen Mynaric stellt sogenannte Laserkommunikationsterminals her, mit denen die Kommunikation mit Satelliten ermöglicht wird. Im Juli erteilte die Bundesregierung der Mynaric AG die Anweisung, seine Aktivitäten in China einzustellen.

Bundesregierung zieht die Zügel an

Auch im Gesundheitssektor schaut die Bundesregierung seit Ausbruch der Corona-Krise genau hin. Immerhin musste man zu Beginn der Pandemie feststellen, dass man im Falle einer Notlage ohnehin rar mit Medizintechnikunternehmen hierzulande besetzt ist.

Entsprechend verschärfte die große Koalition die sogenannte Außenwirtschaftsverordnung und nahm den Gesundheitssektor in die Liste der besonders sicherheitsrelevanten Unternehmen auf. Wollen sich Firmen aus Nicht-EU-Staaten an deutschen Unternehmen im größeren Umfang beteiligen, muss das Bundeswirtschaftsministerium vorher einem Erwerb zustimmen.

Zwei Firmen aus der Gesundheitsbranche wurden gekauft

Die Maßnahme verfehlte ihre Wirkung nicht. Nur zwei Firmen aus dem Gesundheitssektor wurden 2020 laut IW übernommen. Die Übernahme der Heyer Medical AG aus Bad Ems, die unter anderem Beatmungsgeräte herstellt, war dabei bereits im Zuge einer Restrukturierung seit 2018 anberaumt worden, im vergangenen Jahr kam es zur finalen Übernahme durch die chinesische Aeonmed Gruppe.In Leverkusen erwarb zudem die chinesische Firma WuXi Biologics eine Produktionsanlage von cGMP.

Bundesregierung will Übernahmen weiter erschweren

Der Schutz deutscher Firmen geht der Bundesregierung aber offenbar noch nicht weit genug. Bereits im Herbst legte die große Koalition nach und verschaffte dem Bundeswirtschaftsministerium weitere Befugnisse, um Übernahmen zu untersagen. Seit wenigen Wochen gibt es nun weitere konkrete Verschärfungspläne.

Eine ganze Reihe von Sektoren soll künftig nur noch mit Zustimmung des Bundeswirtschaftsministeriums übernommen werden können. Dazu zählen etwa Firmen, die an der Entwicklung und dem Vertrieb von Produkten künstlicher Intelligenz, des automatisierten Fahrens und Fliegens sowie Halbleitern arbeiten. Aber auch Luftfahrtunternehmen oder Firmen, die auf Server-Sicherheit, 3D-Druck oder Industrieroboter spezialisiert sind, sollen aufgenommen werden. Deutschland schottet sich ab.

IW Köln erwartet künftig mehr Übernahmen

Denn der eigentliche Angriff von chinesischen Investoren steht laut der IW-Studie erst noch bevor. „Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung der Volksrepublik in der Weltwirtschaft wird auch die Expansion chinesischer Unternehmen nach Deutschland begünstigen“, schreibt IW-Industrieökonom und Studienautor Christian Rusche.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) führte die Abnahme chinesischer Investitionen auf das weltwirtschaftliche Konjunkturtief zurück. „Im vergangenen Jahr sind ausländische Direktinvestitionen weltweit insgesamt um 42 Prozent zurückgegangen“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm unserer Redaktion.

BDI-Präsident Siegfried Russwurm warnt vor einer Überregulierung in Deutschland.
BDI-Präsident Siegfried Russwurm warnt vor einer Überregulierung in Deutschland. © picture alliance / dpa | Matthias Balk

BDI-Präsident mahnt Marktwirtschaft und Offenheit an

Ihn stört die neue Form des Protektionismus, an dem das Bundeswirtschaftsministerium feilt. „Statt eines Rundumschlags ist es sinnvoll, staatliche Eingriffe auf sicherheitspolitische und eng umrissene nationale Interessen zu begrenzen“, sagte Russwurm.

Ausländische Investoren bräuchten dieselbe Rechtssicherheit bei Investitionsvorhaben, die sich auch die deutsche Industrie im Ausland wünscht, mahnte der BDI-Präsident.

Dabei allerdings sieht er auch China in der Pflicht, das ebenfalls zur Investitionsunsicherheit beitrage. „Die deutsche Industrie vermisst eindeutige Si­gnale für mehr Offenheit und Marktwirtschaft. Sie wären zentrale Pfeiler für eine stärkere Zusammenarbeit von China und Europa“, sagte Russwurm.