Berlin/Chicago. In der Krise um den Unglücksflieger 737 Max hat Boeing-Chef Dennis Muilenberg versagt. Der Konzern hat ihn ohne Dankesworte gefeuert.

Um Boeing ist es dieser Tage nicht gut bestellt. Ab Januar steht bei dem US-Luft- und Raumfahrtkonzern die Produktion des Unglücksfliegers 737 Max still. Noch immer ist unklar, ob und wann das nach zwei Abstürzen im März verhängte Flugverbot für das wichtigste Modell des Airbus-Rivalen aufgehoben wird. Obendrein scheiterte am Freitag der Testflug der neuesten Boeing-Raumkapsel „Starliner“ zur Internationalen Raumstation ISS. Jetzt muss Vorstandschef Dennis Muilenberg unverzüglich seinen Posten räumen, teilte das Unternehmen mit.

Der Führungswechsel sei nötig geworden, um das Vertrauen in das Unternehmen wieder herzustellen, erklärte der Verwaltungsrat des Konzerns. Unter der neuen Leitung wolle Boeing volle Transparenz herstellen und die Kommunikation mit den Aufsichtsbehörden weltweit und den Kunden verbessern.

Ein branchenfremder Manager übernimmt bei Boeing

Kritiker hatten seit Monaten den Rücktritt Muilenbergs gefordert. Nach den beiden Abstürzen der neuen 737 Max in Äthiopien und Indonesien mit 346 Toten gab sich der Manager wortkarg und gefühlsarm. Juristen befürchteten etwa, eine Entschuldigung bei den Angehörigen der Opfer könnte als Schuldeingeständnis gewertet werden.

Die Nachfolge soll am 13. Januar David Calhoun antreten. Der branchenfremde 62-Jährige hatte im Oktober bereits die Leitung des Verwaltungsrats von Muilenberg übernommen. Calhoun kommt vom Vermögensverwalter Blackstone und war Chef des Marktforschungsunternehmens Nielsen.

In drei Jahrzehnten an die Spitze gearbeitet

Dennis Muilenberg, 55, hat sich bei Boeing in mehr als drei Jahrzehnten vom Ingenieur in der Militärsparte bis ganz nach oben gearbeitet. Seit 1985 arbeitet er bei Boeing. 2015 trat er als Nachfolger von James McNerney an die Konzernspitze. Schon unter McNerney wandelte sich Boeing zu einem Unternehmen, bei dem weniger die Technik und mehr die Aktionäre im Fokus standen.

Nach den Abstürzen der 737 Max gab es viel Kritik am Fehlermanagement Muilenbergs, unter dem die Sicherheitskultur stark gelitten habe. Bedenken von Mitarbeitern seien teils konsequent ignoriert worden. Bei Anhörungen vor dem US-Kongress war von einer Kultur der Gier und ernsthaften Qualitätsproblemen die Rede.

US-Luftfahrtaufsicht ermahnte Muilenberg

Nun ist Muilenberg am Management der tiefsten Krise des US-Konzerns gescheitert. Nachdem Aufsichtsbehörden die 737 Max nach dem zweiten Absturz im März weltweit mit Flugverboten belegt hatten, wollte Muilenberg die Angelegenheit innerhalb weniger Wochen per Software-Update aus der Welt geschafft haben.

Inzwischen ist ein Dreivierteljahr vergangen. Und das Update ist noch immer nicht zugelassen. Die US-Luftfahrtbehörde FAA spricht vielmehr von fast einem Dutzend Mängeln, die Boeing bei dem Unglücksflieger abzuarbeiten habe.

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Die Behörde hat zuletzt unmissverständlich deutlich gemacht, dass Boeing nicht auf eine rasche Wiederinbetriebnahme hoffen dürfe. FAA-Chef Steve Dick­son fand deutliche Worte gegen Muilenberg. Er habe Bedenken, dass der Flugzeugbauer einen „unrealistischen“ Zeitplan verfolge, sagte Dickson.

Und so recht glaubt keine Airline mehr daran, dass die 737 Max vor Beginn des nächsten Sommerflugplans wieder in die Luft kommt. Die US-Airline United hat den Typ bereits bis Juni aus dem Flugplan gestrichen.

Neue Triebwerke passten nicht mehr unter die 50 Jahre alte Konstruktion

Die 737 Max geht auf Muilenbergs Vorgänger McNerney zurück. Dieser suchte 2011 eine kostengünstige Antwort auf die A320neo-Reihe des europäischen Konkurrenten Airbus mit neuen, besonders sparsamen Triebwerken. Diese sind größer als bei vorherigen Flugzeuggenerationen und ließen sich, anders als bei Airbus, nicht einfach unter die Tragflächen des 50 Jahre alten Modells montieren. Boeing entschied sich gegen eine kostspielige Neuentwicklung.

Ingenieure entwickelten stark abgeflachte und in die Tragflächen hereinragende Triebwerksgondeln, die jedoch die Flugeigenschaften veränderten. Die Software MCAS – die heute als Hauptursache für die Abstürze gilt – sollte den Flieger stabilisieren. Bei der Zertifizierung durfte sich Boeing zudem teils selbst überwachen. Dem Hersteller wird vorgeworfen, die 737 Max auf Kosten der Sicherheit überstürzt auf den Markt gebracht zu haben.

Der wirtschaftliche Schaden für Boeing und die Fluggesellschaften ist riesig. Bis zum Flugverbot waren schon 400 Exemplare der 737 Max in der Luft, weitere 400 Stück hat Boeing inzwischen auf Halde produziert. Sie stehen auf jeder verfügbaren Fläche, selbst auf Mitarbeiterparkplätzen. Wert: rund 20 Milliarden Dollar.

12.000 Mitarbeiter sollen sich mit anderen Aufgaben beschäftigen

Frühestens Ende Januar will sich Boeing dazu äußern, wann die Produktion wieder anläuft. Bis dahin sollen sich die 12.000 Mitarbeiter im Hauptwerk in Renton bei Seattle an der Westküste vorübergehend mit anderen Aufgaben beschäftigen. Der Konzern sieht sich mit zahlreichen Klagen von Angehörigen der Todesopfer konfrontiert. Auch Airlines wollen Kompensationen für den Zwangsstillstand ihrer Flugzeuge einfordern.

Das Desaster um die 737 Max ist jedoch nicht das einzige Problem Boeings. Beim tausendfach verkauften Vorgängermodell 737 NG wurden in zahlreichen älteren Jets Risse an Verbindungsteilen zwischen Tragfläche und Rumpf gefunden.

Im April warnte die US-Flugsicherheitsbehörde FAA vor einem möglichen Defekt am Feuerlöschsystem beim Dream­liner 787, und es gab Berichte über Fertigungsmängel wie nicht ordentlich entfernte Metallspäne. Obendrein riss im Herbst bei einem Drucktest an einer Testzelle der Neuauflage des Großraumjets 777x eine Frachttür heraus.