Brüssel. Die EU-Kommission verzichtet auf ein Veto gegen die geplante Lockerung der Stickoxid-Vorschriften. Deutsche Städte könnten profitieren.

Der Plan der Bundesregierung, Dieselfahrverbote in vielen Städten doch noch per Gesetz zu verhindern, hat eine wichtige Hürde genommen: Die EU-Kommission verzichtet nach Informationen unserer Redaktion a uf ein Veto gegen einen entsprechenden Gesetzesplan.

Bei geringfügigen Überschreitungen der europaweiten Stickoxid-Grenzwerte wären Diesel-Fahrverbote demnach in der Regel unverhältnismäßig und damit nicht zulässig. Der Bundestag kann den Gesetzentwurf jetzt zügig beschließen.

Diesel-Fahrverbote: Falsche Berechnung? Das Wichtigste in Kürze:

  • Nach Ansicht der EU-Kommission sind Fahrverbote bei kleinen Überschreitungen des Grenzwerts von Stickoxiden nicht gerechtfertigt
  • Es gibt Kritik an der Berechnung von Lungenarzt Dr. Köhler, die für Aufmerksamkeit gesorgt hatte
  • Das Problem: Verkehrsminister Scheuer unterstützte seinen Vorschlag

Entsprechende Informationen aus der Kommission lagen auch dem umweltpolitischen Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Peter Liese (CDU), vor. Er sagte, er sei sehr froh über die Zustimmung und zuversichtlich, dass Bundestag und Bundesregierung die Sache jetzt zügig abschließen würden. „Damit sind viele drohende Fahrverbote vom Tisch“, meinte Liese.

EU-Kommission: „Die Entscheidung ist gefallen“

Die Bundesregierung hatte die EU-Kommission Mitte November von dem Gesetzesplan unterrichtet, wie es die EU-Regeln vorschreiben. Die Drei-Monats-Frist zur Überprüfung durch die Kommission endete an diesem Mittwoch um Mitternacht. Unter Hinweis auf diesen Termin hatte die Kommission eine offizielle Stellungnahme am Mittwoch noch abgelehnt.

Aber in der Brüsseler Behörde hieß es: „Die Entscheidung ist gefallen. Das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland wird nicht aufgehalten“.

Diesel-Fahrverbote sind wohl vom Tisch.
Diesel-Fahrverbote sind wohl vom Tisch. © dpa | Christoph Schmidt

Die Kommission hat zwar – rechtlich unverbindliche – Kommentare zu den Plänen nach Berlin geschickt, aber gravierende Bedenken hat sie nicht – obwohl Umweltverbände und die Opposition der Bundesregierung einen Verstoß gegen Europarecht vorgeworfen hatten.

Grenzwert könnte auf 50 Mikrogramm pro Kubikmeter angehoben werden

Mit dem Gesetz will die Koalition ermöglichen, dass Städte auf Fahrverbote verzichten können, wenn die Stickoxid-Belastung nur geringfügig über den Vorschriften liegt: In der EU ist ein Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel vorgeschrieben, die Lockerungsklausel soll bis 50 Mikrogramm gelten.

Städte, die maximal bei 50 Mikrogramm liegen, können dann statt eines Dieselfahrverbots in den Stadtzentren andere Maßnahmen zur Luftverbesserung ergreifen – etwa die Umrüstung von kommunalen Bussen oder Software-Updates und Nachrüstungen bei Pkw.

Hersteller kommen bei Nachrüstungen offenbar um teurere Lösungen herum.
Hersteller kommen bei Nachrüstungen offenbar um teurere Lösungen herum. © dpa | Julian Stratenschulte

Wie der „Spiegel“ berichtet, will die Bundesregierung den Grenzwert für Stickoxide für Diesel-Fahrzeuge auf 350 Milligram pro Kilometer aneheben. Bisher lag die Grenze bei 270 Milligram. Nur Fahrzeuge, die diesen Grenzwert nicht übersteigen, sollen in deutschen Innenstädten fahren dürfen.

Das Magazin vermutet, dass Hersteller wie BMW, VW und Daimler durch höhere Grenzwerte um Hardware-Nachrüstungen herumkommt. Es könnte somit ausreichen, wenn an den betroffenen Autos wesentlich günstigere Software-Updates durchgeführt werden.

Lungenarzt Dieter Köhler steht in der Kritik

Zuletzt wurde intensiv darüber diskutiert, welche Grenzwerte als gesundheitsschädlich gelten sollten.

Über 100 Lungenärzte hatten ein Papier unterzeichnet, in dem sie sich gegen die Fahrverbote positionierten. Bundesumweltminister Andreas Scheuer (CSU) hatte den Vorstoß unterstützt.

Lungenarzt Dieter Köhler.
Lungenarzt Dieter Köhler. © Hart aber fair | Hart aber fair

An dem Papier, das der Arzt Dieter Köhler initiiert hatte, gibt es nun jedoch erhebliche Zweifel. Wie die „Tageszeitung“ berichtete, seien Köhler gravierende Fehler in seiner Betrachtung unterlaufen. Köhler hatte – unter anderem in Talk-Shows – stets den Vergleich zwischen den Emissionen im Straßenverkehr und dem Zigarettenkonsum gewagt.

Wie die „taz“ vorrechnet, habe sich Köhler jedoch bei Beispielrechnungen mitunter um den Faktor 1000 verrechnet – dabei ging es beispielsweise um Hochrechnung von Schadstoffausstößen. Die Zeitung führt unter anderem Aussagen Köhlers gegen über dem „Deutschen Ärzteblatt“ als Quelle an.

Köhler hält an seiner Aussage fest

Auch aus Fachkreisen sieht sich Köhler massiver Kritik an der Zulässigkeit seiner Vergleiche ausgesetzt. Andere Mediziner hatten bemängelt, dass Köhlers Vergleich zwischen Zigarettenrauch und Autoabgasen hinke, weil Zigaretten in der Regel nur über einen Zeitraum von wenigen Minuten konsumiert würden, Fußgänger aber mitunter mehreren Stunden Autoabgasen ausgesetzt sind.

Trotzdem blieb der Mediziner bei seiner Aussage, wie er in einer Stellungnahme mitteilte. Er gestehe den Fehler ein, bleibe aber bei seiner These, dass Diesel-Fahrverbote sinnlos seien. „Zusammenfassend hat sich zu den Grundaussagen nichts geändert“, sagte er.

Lungenarzt Köhler hatte bei „Hart aber fair“ auf seine Zweifel bei Stickoxid-Grenzwerten hingewiesen.
Lungenarzt Köhler hatte bei „Hart aber fair“ auf seine Zweifel bei Stickoxid-Grenzwerten hingewiesen. © imago/Future Image | Thomas Bartilla

Und weiter: „Weitere Literaturrecherchen haben ergeben, dass bereits 2004 durch eine EU-Verordnung der Teergehalt (Kondensat) der Zigarette auf 10 mg begrenzt wurde. Die ursprünglichen Angaben bezogen sich auf ältere Arbeiten, wo der Teergehalt deutlich höher war.“ Zum Rechenfehler beim Stickoxid sagte er aber nichts.

Am Sonntag verteidigte Köhler seine Aussagen erneut und sagte dann, die angebliche Fehlberechnung sei für die Autoren nicht nachvollziehbar.

Verkehrsminister Scheuer hält Papier von Lungenärzten weiter für sinnvoll

Das Verkehrsministerium erklärte am Donnerstag, der Aufruf der Lungenärzte habe einen „Impuls“ zur Debatte über die Grenzwerte gesetzt. Die Debatte habe unter anderem dazu geführt, dass sich die Leopoldina als Nationale Akademie der Wissenschaften sich des Themas annehmen solle.

Andreas Scheuer sieht das Schreiben der Lungenärzte als Impuls.
Andreas Scheuer sieht das Schreiben der Lungenärzte als Impuls. © Getty Images | Michele Tantussi

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer habe zudem ein Schreiben an EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc verfasst, damit die EU-Kommission die Herleitung der Grenzwerts sowie eine Neubewertung prüfe. „Auf diesen Ebenen muss die Debatte wissenschaftlich fortgesetzt und eine Versachlichung herbeigeführt werden.“ Eine Distanzierung von den sachlich kritischen Teilen des Papiers gibt es von Andreas Scheuer jedoch nicht.

Städte wie Berlin, Essen und Hannover könnten profitieren

In Deutschland liegen die meisten Kommunen, in denen die Grenzwerte überschritten werden, unterhalb der Marke von 50 Mikrogramm: Neben Berlin zählen dazu in NRW:

  • Essen,
  • Hagen,
  • Oberhausen,
  • Gelsenkirchen,
  • Wuppertal,
  • Aachen,
  • Bielefeld und
  • Leverkusen.

Sie könnten also drohende oder mögliche Fahrverbote noch umgehen.

In Niedersachsen lägen

  • Hannover,
  • Oldenburg und
  • Osnabrück

laut der jüngsten Daten des Umweltbundesamtes im Toleranzbereich zwischen 40 und 50 Mikrogramm, bei dem Fahrverbote noch vermieden werden könnten. Hamburg lag 2018 an einer Messstation mit 55 Mikrogramm aber noch über der Toleranzschwelle.

Ausnahmen sollen auch für neuere Diesel-Autos gelten

Die Bundesregierung sieht Fahrverbote bei nur geringfügigen Überschreitungen der Grenzwerte als unverhältnismäßig an. Auch der CDU-Europapolitiker Liese meinte, die Verbesserung der Luftqualität in den Städten könne durch viele sinnvolle Maßnahmen wie die Nachrüstung von Fahrzeugen erreicht werden – Fahrverbote bei geringfügigen Überschreitungen des Grenzwertes seien aber „völlig unverhältnismäßig“.

Der Gesetzentwurf sieht außerdem generelle Ausnahmen für neuere Diesel-Autos vor: Fahrverbote sollen nicht gelten für Euro-6-Diesel und für Diesel-Fahrzeuge der Klasse Euro 4 und 5, wenn sie weniger als 270 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen. Mit Hardware nachgerüstete Pkw könnten also auch dort fahren, wo Fahrverbote bestehen.

EU: Kein Veto bedeute nicht die Lockerung der Grenzwerte

Die EU-Kommission hatte die Fahrverbots-Debatte in Deutschland schon länger kritisch betrachtet. EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska warnte kürzlich bei einem Expertentreffen in Brüssel: „Wir bestrafen mit Fahrverboten die Verbraucher als letzten Teil der Kette, aber nicht die Hersteller“.

Zudem verstärkten die Fahrverbote das Problem, dass ältere Dieselfahrzeuge in einigen Ländern Westeuropas mit Förderung der Hersteller aus dem Verkehr gezogen und dann ohne Nachrüstung nach Osteuropa verkauft würden, so Bienkowska.

In der Kommission heißt es aber, dass auf ein Veto gegen die Gesetzespläne verzichtet werde, bedeute nicht die Lockerung der Grenzwerte. Brüssel mahnt die Bundesregierung vielmehr, mit geeigneten Maßnahmen zügig die Einhaltung der EU-Schadstoffgrenzwerte zu sichern.

Liese sagte, die Deutsche Umwelthilfe habe sich bei ihrem Klagen für Dieselfahrverbote auf diese Richtlinie berufen. Dabei habe die EU-Kommission selbst jedoch auch immer klargestellt, dass sie keine Fahrverbote vorschreibe.