Berlin. Die Musterfeststellungsklage ist für VW die letzte Chance, auf die Kunden zuzugehen. Betroffene sollten sich der Klage anschließen.

Drei Jahre nach der Aufdeckung des Dieselskandals beim Volkswagen-Konzern fällt das Zeugnis für die Industrie bescheiden aus. Anders als in den USA, wo die Besitzer der manipulierten Autos anständig entschädigt worden sind, drückt sich VW auf seinem Heimatmarkt noch immer vor der Verantwortung.

Bis heute versteckt sich der Hersteller hinter technokratischen Aussagen, die jegliches Interesse für die Sorgen der Kunden vermissen lassen. Die Fahrzeuge seien genehmigt, technisch sicher und fahrbereit, betont man auch nach der Einreichung der ersten Musterfeststellungsklage in der Wolfsburger Zentrale.

Ja, das mag alles sein. Doch die betroffenen Dieselautos haben auch einen enormen Wertverlust erlitten und dürfen in immer mehr Großstädten nicht mehr ohne Einschränkungen fahren. Nicht zu vergessen, dass sie wegen der teils deutlichen Überschreitung der Abgas-Grenzwerte eine Gefahr für die Gesundheit darstellen. Der Vertrauensverlust in die Automobilindustrie ist enorm – und das in einer Zeit, in der durch Elektromobilität und andere Konzepte in der Branche ohnehin alles infrage steht.

Verbindlicher Plan für Hardware-Nachrüstungen nötig

Auch bei Daimler und Opel will das Kraftfahrt-Bundesamt inzwischen Manipulationen bei Hunderttausenden Autos nachgewiesen haben. Doch statt auf die Kunden zuzugehen, gehen die Konzerne juristisch gegen die Behörde vor. Das Interesse dahinter ist klar: VW musste für die Entschädigungen und Rückkauf-Aktionen in den USA eine niedrige zweistellige Milliardensumme bezahlen. In Deutschland, wo es um deutlich mehr manipulierte Dieselautos geht, würde das den Konzernen nachhaltig die Bilanzen vermiesen.

Nun ist es aber nicht so, dass VW und Co. am Hungertuch nagen. Im Gegenteil. Bei Volkswagen läuft es auch nach dem Dieselskandal so gut wie nie zuvor. Falsche Rücksicht auf die Konzerne aus wirtschaftlichen Erwägungen ist daher nicht geboten. Kein Arbeitsplatz ist in Gefahr, wenn die Dividende für Aktionäre einmal ausfällt.

Nach dieser Fülle von Peinlichkeiten im Dieselskandal wäre es das Geringste für Deutschlands Schlüsselindustrie gewesen, einem verbindlichen Plan für Hardware-Nachrüstungen bei möglichst vielen Autos zuzustimmen und die Kosten dafür zu tragen. Das Signal, das über Deutschland hinausreichen würde: Ja, wir haben verstanden. Wir haben die Technologie und die Innovationskraft. Und wir stehen zu unseren Fehlern und der Verantwortung, die daraus erwächst.

Was ist eine Musterfeststellungsklage?

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    Möglichst viele sollten sich Klage anschließen

    Wenig innovativ ist dagegen die Idee, wenige Jahre alte Autos mit einem Federstrich zu einem Fall für Abwrackprämien zu machen. Im Sinne der Verbraucher und der Umwelt sind die manipulierten Diesel mit überschaubarem Aufwand so nachzurüsten, dass sie noch viele Jahre mit geringem Schadstoffausstoß auf unseren Straßen fahren können.

    Dass sich Autokonzerne mit weltweitem Führungsanspruch derart vor ihrer Verantwortung drücken, ist beschämend. Wie sollen Verbraucher neues Vertrauen in einen Hersteller fassen, der ihnen noch vor wenigen Jahren ein in womöglich betrügerischer Absicht manipuliertes Auto verkauft hat?

    Der Verbraucherzentrale und dem ADAC ist zu wünschen, dass sich möglichst viele Autofahrer der Musterfeststellungsklage anschließen und sie damit Erfolg haben. Eine andere Sprache scheint man in Wolfsburg nicht zu verstehen. Der Konzern wäre gut beraten, frühzeitig einen vorzeigbaren Vergleich mit den betroffenen Autobesitzern einzugehen, um sein Gesicht zu wahren.