Washington. Die US-Justiz geht mit Großkonzernen oft ruppig um. Vor allem VW bekommt das jetzt zu spüren. Die Manager werden unter Druck gesetzt.

169 Jahre Haft für einen VW-Manager in den USA? Die amerikanischen Justizbehörden wissen, wie sie im Abgas-Dieselskandal abseits bereits erzielter Milliarden-Entschädigung weiter Schlagzeilen erzeugen und Angst verbreiten können. „Arm-twisting“, nennen es Juristen. Der Mann, dem die scheidende Justizministerin Loretta Lynch den Arm auf den Rücken dreht, ist Oliver Schmidt.

Der Techniker war zwischen 2012 und 2015 für Volkswagen in Amerika der zentrale Verbindungsmann zwischen dem Wolfsburger Konzern und den US-Regulierungsbehörden. Und in dieser Funktion am Betrugsskandal um Abgas-Manipulationen bei rund 550.000 VW-Dieselautos in den USA beteiligt.

Konzerne zahlen Milliarden für Vergleiche

So beteiligt, dass Schmidt am Wochenende während einer Reise nach Florida festgenommen wurde und seither in Haft sitzt. Versuche seiner Anwälte, ihn auf Kaution frei zu bekommen, wurden wegen Fluchtgefahr vom Richter abgewiesen. Auch darum haben Anwälte VW-Managern in Deutschland dringend von Reisen in die USA abgeraten.

Die US-Behörden gingen in der Vergangenheit oft energisch gegen Konzerne, die sich etwas haben zu Schulden kommen lassen, vor. Die Summen sind hoch. VW einigte sich gerade mit der US-Justiz auf eine Vergleich, der den Konzern weitere vier Milliarden Dollar kostet. Die Deutsche Bank zahlt wegen Tricksereien auf dem US-Immobilienmarkt insgesamt 7,2 Milliarden Dollar. In beiden Fällen entfallen auf diese Weise lange Strafprozesse. Einzelne Manager werden allerdings eher selten so unter Druck gesetzt wie Oliver Schmidt.

Strafandrohung als Drohgebärde

Zu dem „lebenslänglich“ gleichkommenden Strafmaß, auf das die US-Justiz ausdrücklich hinwies, wird es nach Angaben von Anwälten in Washington für den Fall einer Verurteilung Schmidts „natürlich nicht kommen“. Die Strafandrohung sei eine „theoretische Größe“, die sich aus der Summe der Einzel-Delikte (Verschwörung, Betrug etc.) ergebe. „Aber sie kann als Drohgebärde funktionieren.“

Schmidt, so die Hoffnung, könnte – ähnlich wie der als Kronzeuge gegen die eigene Firma aufgetretene VW-Manager James Liang in Kalifornien – „umfangreich auspacken“ und belegen, wovon die US-Fahnder fest überzeugt sind: Dass höchste VW-Manager bis zum Ex-Konzernchef Martin Winterkorn den Dieselabgas-Betrug aktiv befördert haben. Besonders unter Beobachtung steht der ehemalige Entwicklungsvorstand Hans-Jakob Neußer.

Schmidt taucht in Akten als Schlüsselfigur auf

Im Gegenzug dürfte Schmidt auf Strafmilderung hoffen. Straffreiheit erscheint angesichts einer eidesstattlichen Erklärung des FBI-Agenten Ian Dinsmore zweifelhaft, sagen Juristen. In dem Papier, das in Klageschriften eingeflossen ist, taucht Schmidt in einer Chronik der Tricksereien und Vertuschungen, die bei VW vor über zehn Jahren begann, als Schlüsselfigur auf.

Schon 2006 sei Fachleuten bei VW klar gewesen, dass sie mit ihrer Dieseltechnik die strikten Auflagen in Amerika beim Ausstoß von umweltschädlichen Stickoxiden nicht erfüllen können. Darum, so heißt in einer 86-seitigen Ablaufschilderung des Justizministeriums, entschloss man sich auf hoher Ebene, die „US-Abgasnormen zu umgehen und zu überwinden“.

Auftrag, „sich nicht erwischen zu lassen“

Das war die Geburtsstunde der Software, die den Abgasausstoß bei Dieselmotoren verschleiert. Bedenken von Mitarbeitern, die auf die Illegalität des Vorhabens hinwiesen, seien von höheren Ebene verworfen worden. Mit dem Auftrag, „sich nicht erwischen zu lassen“.

Oliver Schmidt muss dem Auftrag besonders eifrig nachgekommen sein. Bereits im Mai 2014, so belegen vom FBI gesicherte E-Mails, unterrichtete Schmidt den damaligen VW-Amerika-Chef Michael Horn über das teure Risiko, wenn der Betrug auffliegt. Ausweislich der Ermittlungs-Unterlagen leugnete Schmidt noch im Sommer 2015 in Gesprächen mit den Umweltbehörden die Hintergründe für die Diskrepanz zwischen Real- und Testbetrieb beim Abgasausstoß und sprach von lösbaren technischen Problemen.

40 Mitarbeiter sollen Material vernichtet haben

Schmidt soll sich vom damaligen VW-Entwicklungsvorstand Hans-Jakob Neußer, ein enger Wegbegleiter des kurz nach Bekanntwerden des Skandals zurückgetretenen Konzernchefs Winterkorn, ermächtigt und gedeckt gefühlt haben. Neußer, seit 2015 beurlaubt, soll den Einsatz der Schummelsoftware über Jahre autorisiert haben. Am 27. Juli 2015 sollen auch Winterkorn und Markenvorstand Herbert Diess definitiv von dem Betrug unterrichtet worden sein.

Als kurz darauf nichts mehr zu retten war – ein VW-Mitarbeiter hatte am 3. September gegenüber der kalifornischen Umweltbehörde Carb den Betrug erstmals offiziell zugegeben, am 18. September erfuhr die Öffentlichkeit davon – soll bei VW eine große Säuberungsaktion stattgefunden haben. 40 Mitarbeiter von VW und Audi haben laut Anklageschrift Tausende Seiten mit kompromittierender hausinterner Kommunikation vernichtet.

Verschwörung gegen den amerikanischen Staat

Neußer gehört neben Jens Hadler (50), Richard Dorenkamp (68), Bernd Gottweis (69) und Jürgen Peter (59) zu den fünf VW-Managern, die in dieser Woche ebenfalls von US-Justizministerin Lynch wegen Betruges und Verschwörung gegen den amerikanischen Staat angeklagt worden sind.

Weil sie sich alle in Deutschland aufhalten und nach deutscher Rechtspflege vor dem Zugriff der US-Behörden geschützt sind, richten sich alle Blicke auf Schmidt. Arbeitet er umfassend mit den US-Behörden zusammen, beeidet er, dass die erste Riege der VW-Chefetage über den Diesel-Betrug im Bild war, „ist das Arm-Verbiegen vorbei“, vermuten Anwälte in Washington“, „und die Zahl 169 verschwindet so schnell wie sie gekommen ist.“