Oberhausen. „Deutschland ist noch in der Entwicklungsphase des Onlinehandels“ – das sagt Amazon-Chef Ralf Kleber. Ein Interview zum Onlinehandel.

Amazon dominiert auch in Deutschland den Onlinehandel. Vor allem kleine Händler sehen im US-Internetriesen einen übermächtigen Konkurrenten. Deutschland-Chef Ralf Kleber spricht über das Image des Konzerns, die neuen Pläne im stationären Handel und das Adventsgeschäft.

Herr Kleber, Amazon ist für viele Einzelhändler in den Städten das größte Feindbild. Wie fühlt es sich an in dieser Rolle?

Ralf Kleber: Es gibt auch im stationären Handel tolle Angebote und viele Gewinner der Digitalisierung. Ich glaube nicht an online oder offline, sondern an Vielfalt. Wer Kunden ein passendes Angebot macht, gewinnt ihre Gunst. Klar ist: Das Kundenverhalten hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark verändert. Der Wettbewerb findet heute nicht mehr nur in den Einkaufsstraßen oder den Städten statt, sondern es gibt auch einen globalen Wettbewerb um deutsche Kunden.

Wann waren Sie denn das letzte Mal in echten Läden shoppen?

Kleber: Letzte Woche. Und meine Brötchen kaufe ich wie die meisten anderen auch beim Bäcker. Ansonsten gibt es nicht den einen Kunden mit einem Bedürfnis, sondern sehr unterschiedliche Einkaufsverhalten. Uns begeistert Vielfalt. Nicht ohne Grund gehen wir auch in den stationären Handel, um zu schauen, ob wir Kunden hier einen Mehrwert bieten können.

Warum eigentlich? Der stationäre Handel wächst doch viel langsamer als der Onlinehandel?

Kleber: Unser Ziel war vom ersten Tag an, das kundenzentrierteste Unternehmen der Welt zu sein. Als solches versuchen wir immer zu schauen, wo und wie wir einen Mehrwert für die Kunden schaffen können. Wir haben nie geglaubt, dass Kunden nur online einkaufen würden.

In den USA plant Amazon 3000 stationäre Läden ohne Kassen. Haben Sie Ähnliches in Deutschland vor?

Kleber: Ich kann die Zahl nicht bestätigen. Fakt ist, wir sind mit unterschiedlichen Formaten an verschiedenen Standorten unterwegs. Gerade erst hat Amazon in New York den Amazon-4-Star-Laden eröffnet, wo nur Produkte mit vier oder mehr Bewertungssternen angeboten werden. Kunden entscheiden also, was dort im Laden steht. Ob, wann und wie wir uns in Deutschland stationär zeigen, kann ich nicht sagen.

Derzeit stehen die Real-Märkte zum Verkauf. Haben Sie Interesse?

Kleber: Das sind Spekulationen, an denen ich mich nicht beteiligen möchte.

In Deutschland läuft jeder zweite Online-Einkauf über Amazon. Wo wollen Sie noch hin mit Ihrer Marktmacht?

Kleber: Wir messen unseren Erfolg am Mehrwert, den wir Kunden bieten. Der Onlinehandel in Deutschland macht bisher nur rund zehn Prozent des Handelsvolumen aus – daran lässt sich sehen, was möglich ist. Deutschland ist noch in der Entwicklungsphase des Onlinehandels. Perspektivisch ist also für viele Händler hier noch viel zu gewinnen.

Aber Sie wollen nicht nur Ihre Umsätze, sondern auch Ihren Marktanteil steigern, oder?

Kleber: Solche Berechnungen stellen wir gar nicht an. Auch weil heute weltweit schon 50 Prozent aller über Amazon bestellten Artikel von einem der Hunderttausenden Händler kommen, die ihre Produkte über Amazon-Webseiten verkaufen. Insofern ist Amazons Wachstum auch vom Wachstum dieser Händler getrieben. Für uns ist viel wichtiger, zu schauen, welche Produkte wir noch nicht im Sortiment haben und wie Service und Zustellung noch besser werden können. Das ist für unsere Kunden relevant, und nicht, welche Marktanteile Amazon hat.

Was haben Sie noch nicht im Sortiment?

Kleber: Von rezeptpflichtigen Arzneimitteln bis Autos gibt es vieles, was wir nicht verkaufen. Aber auch in den Bereichen, in denen wir von Anfang an dabei waren, gibt es noch Lücken. Zum Beispiel gibt es bei uns noch nicht jedes Buch zu kaufen, was aber unser Ziel ist. Der Ausbau des bestehenden Sortiments ist genauso wichtig wie, neue Kategorien zu eröffnen.

Wie weit sind Sie im Aufbau der eigenen Zustelldienste?

Kleber: Wir nutzen in Deutschland viele Lieferpartner, von den kleinen Stadtboten bis hin zu den großen Zustellern. Mit der Auslieferung in eigener Regie sind wir seit zwei Jahren am Start und reagieren hier kontinuierlich auf die gestiegene Nachfrage. Unser Ziel ist es, immer genügend Kapazitäten zu haben, damit Kunden ihre Pakete pünktlich erhalten.

Steht das für Sie im Vordergrund – oder wollen Sie am wachsenden Zustellgeschäft mitverdienen?

Kleber: Das Allerwichtigste ist es, zu lernen, was auf der letzten Meile besser werden kann und muss, weil sie für die Zufriedenheit der Kunden entscheidend ist. Und man lernt am besten, wenn man dort auch selbst unterwegs ist.

Die Post setzt auf der letzten Meile zunehmend auf Elektrofahrzeuge. Und Sie?

Kleber: E-Mobilität ist ein sehr wichtiges Thema und unsere Lieferpartner experimentieren von Anfang an damit. Hierfür haben wir zusammen mit Daimler dieses Jahr einen Piloten in Bochum gestartet. Wir stoßen an Grenzen, weil es nicht genügend geeignete Fahrzeuge gibt. Für mich wäre es ein Traum, wenn wir die Lieferung auf der letzten Meile mittelfristig emissionsfrei gestalten könnten.

Im Advent benötigen Sie wieder viele Aushilfen. Wie viele Saisonkräfte stellen Sie dieses Jahr ein?

Kleber: Im fest angestellten Bereich werden wir in diesem Jahr von 16.000 auf 18.000 Mitarbeiter wachsen, nicht zuletzt weil wir in neue Logistikzentren in Deutschland investiert haben. Wir rechnen damit, dass wir in der Adventszeit wieder mehrere Tausend Saisonkräfte zusätzlich benötigen werden.

Verdi wird Ihre Logistikzentren wieder bestreiken. Sorgt Sie das?

Kleber: Nein. Wir gehen auch in diesem Jahr davon aus, dass jeder Kunde seine Bestellung pünktlich zum Fest erhält.

Das heißt, Sie sehen keine Veranlassung, mit Verdi über einen Tarifvertrag zu reden?

Kleber: Wir wissen, dass wir ein guter und verantwortungsvoller Arbeitgeber sind, der ordentliche Gehälter zahlt und mit den Betriebsräten ständig versucht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dafür brauchen wir keine Gewerkschaft.

Zur Person: Manager Ralf Kleber arbeitet seit 1999 für Amazon, davon 15 Jahre als oberster Amazon-Vertreter in Deutschland. Zuvor war der Betriebswirt im Management des Modeunternehmens Escada beschäftigt. Kleber liebt die US- Metal-Gruppe Metallica und ist glühender Fan des 1. FC Kaiserslautern. Der Manager ist verheiratet und hat zwei Kinder.