Berlin . Hans-Böckler-Stiftung und der DGB haben den „Atlas der Arbeit“ vorgestellt. Er zeigt: Moderne Arbeitsformen bergen ihre eigenen Tücken.

Für die einen ist Arbeit pures Mittel zur Existenzsicherung, für die anderen die Erfüllung – und in der Gesellschaft ist sie oft ein Politikum. Die Hans-Böckler-Stiftung und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) versuchen, sich dem Begriff systematisch und eher sachlich anzunähern: Seit Montag stellen sie einen „Atlas der Arbeit“ als Download zur Verfügung, der in Grafiken und kurzen Texten aktuelle arbeitspolitische Themen aufgreift – vom wachsenden Niedriglohnsektor in Deutschland bis zur sich anbahnenden Deindustrialisierung in China.

Die tägliche Arbeit mit ihren Arbeitsbedingungen und Einkommen sei eines der zentralen Themen im Leben aller Menschen, erklärte Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB und des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung. „Gerade jetzt, in der Zeit eines großen Umbruchs durch Digitalisierung und Globalisierung, kann und soll dieser Atlas Interessierte außerhalb unserer Expertenkreise informieren und zur Diskussion anregen.“

Bei Crowdworking besteht Nachholbedarf im Arbeitnehmerschutz

Diskussionsbedarf gebe es genügend, ergänzte Michael Guggemos, Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung. Unter anderem darüber, dass Deutschland auch ein Land moderner Sklaverei sei. Als Beispiel nennt der Atlas die Zwangsprostitution mit Freiheitsberaubung und sexueller Ausbeutung. Der Bericht zitiert Daten, ausgewertet vom amerikanischen Datenanalysten Verisk Analytics, nach denen das Risiko für Eingewanderte zunimmt, in Deutschland Opfer von Arbeitsknechtschaft und Menschenschmuggel zu werden.

Ausbeutung äußere sich jedoch nicht nur so offensichtlich wie beim Menschenhandel, sondern auch bei neuen Arbeitsformen, wie auf sogenannten Crowdworking-Plattformen, die als Vermittler zwischen Konzernen und Arbeitnehmern stehen. Typische Arbeiten sind etwa das Texten von Produktbeschreibungen, die Recherche von Adressen – aber auch anspruchsvollere Programmier- oder Webdesignarbeiten.

Viele Crowdworker seien Solo-Selbstständige und bezögen selten den gesetzlichen Mindestlohn, weil das Anstellungsverhältnis über die digitale Plattform und nicht über den Konzern abgewickelt werde, so Guggemos. Beim Crowdworking bestehe also Nachholbedarf im Arbeitnehmerschutz: „Da gibt es Notwendigkeit, in den nächsten vier Jahren mit dem Bundesarbeitsministerium zu sprechen, um den Begriff der Selbstständigkeit oder der Scheinselbstständigkeit neu zu definieren.“ Hoffmann ergänzt: „Wer kommt für die Sozialversicherung auf, wenn sich bestimmte Arbeitgeber systematisch weigern, ihre Verantwortung anzuerkennen?“

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    Mehr Digitalisierung, mehr Stress

    Neben Arbeitnehmerschutz zeigt der Atlas auch die verschwommenen Grenzen von Arbeit und Freizeit auf. Je höher der Grad der Digitalisierung, desto mehr klagten Beschäftigte über steigenden Druck, Stress und unbezahlte Mehrarbeit. Nach Erhebungen der Böckler-Stiftung arbeitet ein Neuntel aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland mehr als 48 Stunden pro Woche. Im Jahr 2016 seien 1,8 Milliarden Stunden über Plan gearbeitet worden, davon rund die Hälfte unbezahlt.

    Der Atlas hat aber auch gute Nachrichten parat. Die Produktivität nimmt weiter zu, durch den Einsatz von Technik können weniger Menschen mehr produzieren. Die Autoren führen aus, dass von 2019 bis 2023 bis zu 200.000 Stellen frei werden, ab 2028 sogar über 300.000 pro Jahr. Zumindest rechnerisch könnte die Arbeitslosigkeit damit 2027 komplett beseitigt sein. Auf lange Sicht werden demnach mehr Arbeitskräfte gebraucht.