Paris/Berlin. Die Unternehmen Airbus und Dassault planen ein gemeinsames Rüstungsprojekt. Die geschätzten Entwicklungskosten: 80 Milliarden Euro.

Es handelt sich um ein Milliardenprojekt. Berlin und Paris planen, Europas Kampfjet der Zukunft im Schulterschluss zu bauen. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die beide für ein engeres Zusammenrücken in Militär- wie Rüstungsfragen plädieren, grundsätzlich hinter dem Vorhaben stehen, geht die Industrie jetzt in die Vorlage.

Auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin (ILA) gaben die Flugzeughersteller Airbus und Dassault Aviation überraschend bekannt, die gemeinsame Entwicklung eines deutsch-französischen Kampfflugzeuges bereits vereinbart zu haben. Dem europäischen und dem französischen Flugzeugbauer gingen die sich seit gut zwei Jahren hinziehenden Gespräche auf politischer Ebene wohl zu schleppend voran.

Die Unternehmen fürchten die US-Konkurrenz

„Wir wollen signalisieren, dass wir bereit sind“, sagte Dassault-Chef Eric Trappier unter dem beifälligen Kopfnicken von Airbus-Rüstungsvorstand Dirk Hoke. Dass die sonst rivalisierenden Konzerne auf einmal geschlossen einer „strategischen Autonomie Europas“ das Wort reden, hat jedoch noch einen anderen Grund. Sowohl Airbus als auch Dassault befürchten, dass der Auftrag für den Bau des Nachfolgers der beiden aktuellen Kampfjets Eurofighter (deutsche Luftwaffe) und Rafale (französische Streitkräfte) am Ende an die amerikanische Konkurrenz gehen könnte.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre französische Amtskollegin Florence Parly neben einem Eurofighter auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre französische Amtskollegin Florence Parly neben einem Eurofighter auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin. © REUTERS | AXEL SCHMIDT

Eurofighter und Rafale sind ein Beispiel dafür, dass die oft beschworene europäische Rüstungskooperation keineswegs ein Selbstläufer ist. Bereits in den 1980er-Jahren wollten Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien gemeinsam einen europäischen Kampfjet entwickeln und bauen.

Doch da Dassault die Pläne für die Rafale schon fertig in der Schublade liegen hatte, stieg Frankreich 1985 aus dem Gemeinschaftsprojekt aus, um fortan solo an seinem Trikolore-Jet zu basteln – mit bösen Folgen für die Rentabilität beider Kampfflugzeuge.

In Europa kollidieren nationale Interessen

Dabei galt schon damals, was in Zeiten der Verkleinerung nationaler Streitkräfte erst recht richtig ist: Die Europäer, vorneweg Deutsche und Franzosen, sollten bei großen Rüstungsprojekten schon deswegen an einem Strang ziehen, um die enormen Kosten auf mehrere Schultern zu verteilen. Der Markt auf dem Kontinent ist zu klein für konkurrierende Waffensysteme.

Trotz dieser Erkenntnis aber lassen sich verschiedene nationale Interessen nicht so ohne Weiteres unter einen Hut bringen. Beim Bau des europäischen Transportflugzeugs A400M sorgten unterschiedliche Vorstellungen über das Anforderungsprofil für erhebliche Verspätungen bei der Auslieferung sowie für eine Kostenexplosion.

Future Combat Air System (FCAS) haben Airbus und Dassault das Projekt getauft. Sollte es tatsächlich umgesetzt werden, sind Geduld und sehr viel Geld gefragt. 20 Jahre wird es mindestens dauern, bevor die ersten Exemplare des neuen Kampfjets in Dienst gestellt werden können. Experten schätzen die Entwicklungskosten auf 80 Milliarden Euro. Das würde FCAS zum aufwendigsten europäischen Rüstungsprogramm aller Zeiten machen.

Auch eine gemeinsame Drohne soll es geben

Der neue Kampfjet wäre das teuerste von mehreren neuen deutsch-französischen Projekten. Angedacht ist auch die Entwicklung einer gemeinsamen Aufklärungsdrohne, von Spionagesatelliten und – seit dem Zusammenschluss der deutschen Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW) mit ihrem französischen Konkurrenten Nexter im Jahr 2015 – eines Kampfpanzers.

Grundsätzlich sollen auch andere EU-Länder in die Projekte einsteigen können, Paris und Berlin aber wollen die Entscheider bleiben. In Wahrheit sind Deutschland und Frankreich sogar darauf angewiesen, dass weitere EU-Länder einsteigen. Rüstungsprojekte dieser Dimension benötigen einen großen Abnehmerkreis, damit sich die enormen Entwicklungskosten rechnen.

Für FCAS gilt das ganz besonders. Eurofighter und Rafale nämlich kommen die Steuerzahler auch deswegen so teuer zu stehen, weil sie sich als direkte Konkurrenten einen überschaubaren Markt teilen müssen. Ebenso wichtig ist es, dass Berlin und Paris sich bis ins Detail auf das Lastenheft des künftigen Euro-Kampfjets verständigen, um Probleme wie bei dem A400M zu vermeiden.

Nationale Aufträge reichen nicht zum Überleben

Wie bei dem künftigen Kampfpanzer steht bei dem Kampfjet sehr viel auf dem Spiel. Es geht sehr grundsätzlich um die europäische Verteidigungspolitik und deren Unabhängigkeit. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die Armeen in Europa verringert und Kapazitäten der Rüstungsindustrie abgebaut. Heute kann kein EU-Mitgliedsstaat mehr aus eigener Kraft die Bedürfnisse der heimischen Streitkräfte befriedigen. Ausländische Hersteller müssen die Lücken füllen.

Für die Rüstungsunternehmen heißt dies im Umkehrschluss: Die Aufträge aus der Heimat reichen nicht mehr zum Überleben. Wer vom Staat nicht über Wasser gehalten wird und sich nicht in Kooperationen flüchten kann, verschwindet vom Markt. Ein Zufall ist es also kaum, wenn im Falle FCAS die Industrie versucht, die Politik ein wenig zum Jagen zu tragen.