Berlin. Der Staat nimmt mehr Steuern ein als erwartet. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnt allerdings vor teuren Wahlgeschenken.

Der Staat wird in den kommenden Jahren voraussichtlich mehr Geld einnehmen als erwartet. Bund, Länder und Kommunen können bis zum Jahr 2021 mit 54,1 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen rechnen als im November vorhergesagt. Das gab der Arbeitskreis Steuerschätzung am Donnerstag bekannt. Die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen steigen in diesem Zeitraum von 732,4 Milliarden auf 852,2 Milliarden Euro jährlich. Allein 2017 beträgt das Plus 7,9 Milliarden Euro.

Die anhaltend gute wirtschaftliche Lage treibt die Steuereinnahmen in die Höhe. Laut den Steuerschätzern dürften die Bruttolöhne in diesem Jahr um 3,9 Prozent zulegen – und damit deutlich stärker als die Inflationsrate.

Von 308 Milliarden in diesem Jahr auf 353 Milliarden im Jahr 2021 könnten die Einnahmen auf Bundesebene steigen. Auch Länder und Kommunen dürften in den kommenden Jahren deutlich mehr Geld in den Kassen haben. Während die Länder dieses Jahr 294,8 Milliarden Euro erhalten, sollen es 2021 schon 340,1 Milliarden sein. Hier macht sich unter anderem die geplante, für sie günstige Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen bemerkbar. Die Einnahmen der Gemeinden sollen unterdessen von 103,7 Milliarden Euro in diesem Jahr auf prognostizierte 121,3 Milliarden Euro im Jahr 2021 steigen.

Wahlkämpfer in Stellung

Angesichts des neuen finanziellen Spielraums, den die künftige Bundesregierung zur Verfügung hat, bringen sich bereits die Wahlkämpfer in Stellung. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnte seine Partei am Donnerstag vor allzu üppigen Wahlversprechen. Für die Zeit nach der Bundestagswahl stellt der Christdemokrat dennoch Steuersenkungen in Höhe von 15 Milliarden Euro in Aussicht. An Vorschlägen und Ideen, was mit dem Geldsegen anzustellen sei, mangelt es vier Monate vor der Bundestagswahl im September nicht. Ein Überblick:

• Steuern runter

Der Staat solle die Bürger endlich entlasten – so lautet ein Ansatz, der vor allem von der FDP und Unternehmen angeführt wird.

Für eine Steuerreform spricht, dass mittlerweile selbst für Mittelschichtseinkommen oberhalb von 54.000 Euro jährlich der Spitzensteuersatz fällig wird. Das Finanzministerium schätzt die Zahl der Steuerzahler, für die der Spitzensatz fällig wird, in diesem Jahr auf etwa 2,69 Millionen. 2004 waren es mit 1,2 Millionen weniger als die Hälfte. „Absurd“ sei diese Situation, findet der Bundesfinanzminister. Der Spitzensteuersatz setze viel zu früh ein.

Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der CDU/CSU.
Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der CDU/CSU. © dpa | Michael Kappeler

Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union (MIT) will einen Schritt weiter gehen und fordert umfangreiche Steuersenkungen. „So günstig wie in diesen Jahren war die Zeit für stärkere Entlastungen und eine echte Steuerstrukturreform noch nie“, sagt MIT-Chef Carsten Linnemann. Der Wirtschaftsflügel der Union plädiert für höhere Freibeträge bei Arbeitnehmern sowie geringere Steuersätze für die Mittel- und Oberschicht. So sollen die Bürger um rund 33 Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden.

Sebastian Bach, Steuerexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), hält diese Rechnung jedoch für unausgewogen: „Eine breite Senkung des Einkommensteuertarifs entlastet vor allem Spitzenverdiener, denn diese zahlen den Großteil der Einkommensteuer“, sagte er. „Die Mittelschicht profitiert davon nur wenig.“ FDP-Chef Christian Lindner hingegen fordert die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Jahreseinkommen über 50.000 Euro.

„Verringerte Überschüsse beziehungsweise höhere Defizite machen die Spielräume in der Zukunft kleiner“, warnt jedoch DIW-Volkswirt Bach. „Was man jetzt für Steuersenkungen ausgibt, fehlt für Zukunftsinvestitionen.“

• Mehr investieren

Jetzt sei die Zeit gekommen, nötige Investitionen zu tätigen, finden einige Ökonomen und fordern den Staat auf, ins Bildungssystem oder die Infrastruktur zu investieren. Alleine den Investitionsstau in den Kommunen beziffert die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) auf 126 Milliarden Euro.

„Der Staat gibt zu wenig für Zukunftsinvestitionen aus“, beobachtet auch der Ökonom Bach. Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht fordert daher von der Bundesregierung, die erhöhten Steuereinnahmen für Bausanierungen und das Bildungswesen zu verwenden – statt etwa für höhere Militärausgaben: „Schäuble und Merkel dürfen diese Mehreinnahmen nicht für Aufrüstung verschleudern“, sagte sie unserer Redaktion. „Stattdessen müssen Schulen und Straßen saniert, müssen bezahlbare Wohnungen sowie gute Arbeitsplätze im Gesundheits- und Bildungswesen geschaffen werden.“

• Rücklagen bilden

Der Staat könnte auch weitere Rücklagen bilden – so wie er es bereits zur Finanzierung der Flüchtlingskrise getan hat. Für Integration und Unterbringung der Flüchtline sind etwa 19 Milliarden Euro vorgesehen. Norwegen macht es vor: Im globalen Pensionsfonds der Regierung in Oslo stecken inzwischen rund 800 Milliarden Euro, zu großen Teilen gespeist aus den Einnahmen der nordatlantischen Erdölförderung. Das skandinavische Land legt sich damit ein Polster an. Steuerexperte Bach ist skeptisch. „Im aktuellen Zinsumfeld macht es für den Staat keinen Sinn, Kapital auf den Finanzmärkten anzulegen.“