Putins Land ist für Hamburg ein wichtiger Wirtschaftspartner. Gerade für den Hafen sind die Sanktionen eine Gefahr

Hamburg. Was bedeuten die Sanktionen gegen Russland für Hamburgs Wirtschaft? Am deutlichsten warnt Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg, vor möglichen Folgen: „Für Hamburg spielen die Verbindungen zu Russland eine größere Rolle als für andere Standorte in Deutschland“, sagt er. „Die verschärften Sanktionen sind für das Russland-Geschäft der Hamburger Unternehmen, das ohnehin unter der schwierigen Wirtschaftslage in dem Land leidet, eine weitere Belastung.“ Eine Reihe von Unternehmen und Organisationen aber, die das Abendblatt am Mittwoch befragte, spielten mögliche Folgen für das eigene Geschäft erst einmal herunter.

Dabei ist klar, wie es auch Schmidt-Trenz hervorhebt: Hamburg steht, wenn es um eine wirtschaftliche Konfrontation mit Russland geht, in der ersten Reihe. Der Außenhandel der Hansestadt mit Russland legte in den vergangenen Jahren deutlich zu. Im Jahr 2004 exportierten Firmen aus Hamburg Güter im Wert von 531 Millionen Euro in das einstige Zarenreich. Nach einem Einbruch in Folge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise stiegen die Ausfuhren zuletzt wieder. 2013 überstieg der Wert der Güter die Marke von einer Milliarde Euro (siehe Grafik). Die Russen fragen vor allem Kokerei- und Mineralölerzeugnisse nach, die für gut zehn Prozent der Ausfuhren stehen. Es folgen Nahrungs- und Futtermittel mit gut fünf Prozent sowie chemische Erzeugnisse mit rund vier Prozent.

Auch bei den Einfuhren wurde Russland im vergangenen Jahrzehnt für Hamburgs Wirtschaft deutlich wichtiger. Der Wert verdreifachte sich fast von einer Milliarde auf 2,8 Milliarden Euro im Jahr 2013. Auch bei den Importen stehen Kokerei- und Mineralölerzeugnisse an erster Stelle – sie machen mit rund 74 Prozent den Hauptanteil aus. Erdöl und Erdgas folgen mit knapp fünf Prozent, chemische Erzeugnisse liegen auf Platz drei mit gut zwei Prozent.

Der Hamburger Hafen ist das zentrale logistische Drehkreuz für den seeseitigen russischen Außenhandel über Europa. Rund 11,3 Millionen Tonnen Seegüter von und nach Russland wurden 2013 über Hamburg bewegt, davon etwa vier Millionen Tonnen Massengüter wie Erdöl und Kohle. Mit 717.000 Containereinheiten (TEU) Umschlag stand Russland hinter China auf Rang zwei der für Hamburgs Hafen wichtigsten Zielländer. 32 Zubringerlinien, sogenannte Feederdienste, verbinden Hamburg mit Russland. Zudem gehen 29 Feederdienste in die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Aus Sicht von Hafen Hamburg Marketing (HHM) sind bislang noch keine Folgen der Wirtschaftssanktionen zu spüren, auch nicht angesichts der politischen Spannungen während der vergangenen Monate. Allerdings seien Einschnitte für Hamburg absehbar, sobald die angekündigten Sanktionen der EU und der USA das Handelsvolumen mit Russland direkt beeinflussen: „Ein Rückgang im Russlandverkehr via Hafen Hamburg ist bisher nicht erkennbar. Im ersten Quartal 2014 konnte ein Wachstum von vier Prozent im Containerverkehr festgestellt werden“, sagte HHM-Sprecher Bengt van Beuningen. „Jede Sanktion, die mit dem Verbot des Exports oder Imports bestimmter Waren oder der Einschränkung des Wirtschaftsverkehrs insgesamt verbunden wäre, würde sich auch auf den Hamburger Hafen und den Seegüterumschlag im Russlandverkehr auswirken.“ Transitladung allerdings, etwa aus Asien, die in Hamburg nur für den Weitertransport nach Russland umgeladen werde, sei von den EU-Sanktionen nicht betroffen.

Der Hamburger Hafenlogistikkonzern HHLA betreibt das Containerterminal im ukrainischen Odessa am Schwarzen Meer, äußerste sich aber am Mittwoch nicht zu den Auswirkungen des Bürgerkrieges in der Ostukraine. Auch in Odessa hatte es in den vergangenen Wochen gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern der Russischen Föderation gegeben, allerdings keine kriegerische Eskalation wie in der Ostukraine. Der Terminalbetreiber Eurogate mit Sitz in Hamburg und Bremen ist mit 20 Prozent am modernsten russischen Containerterminal Ust Luga westlich von St. Petersburg beteiligt. Eine Eurogate-Sprecherin sagte am Mittwoch, es sei noch zu früh, um Auswirkungen auf das Geschäft des Unternehmens mit Blick auf Russland zu bewerten.

Risiken für Hamburgs Wirtschaft sieht der künftige Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Professor Henning Vöpel. „Die Sanktionen stellen ein erhebliches Investitionsrisiko für Unternehmen dar. Insbesondere kleine und mittlere Firmen, die stark in Russland engagiert sind, könnten hart getroffen werden“, sagte Vöpel, derzeit Konjunkturexperte am HWWI, der vom 1. September an als Kodirektor das Institut leitet. Dazu zählten auch einige ,Hidden Champions‘ aus Hamburg, die mit ihren Spezialprodukten stark gefragt seien, sagte Vöpel. Grundsätzlich stelle sich die Frage, inwieweit die Ausfälle kompensiert werden könnten, die aus den politischen Sanktionen für Unternehmen resultierten. Der Hamburger Hafen werde zwar von den Rückgängen betroffen, „aber angesichts seiner Diversifizierung nicht nachhaltig beeinträchtigt“.

Generell beurteilt Vöpel die Sanktionen als „gerechtfertigt“. Es sei ein wichtiges Mittel, um Russland zum Umdenken zu bewegen. Der Volkswirt sieht jedoch die „Gefahr, dass Putin die Situation zu einem Handelskrieg ausweitet“. Russland dürfte wirtschaftlich deutlich stärker unter einer Eskalation leiden als Europa. Auch die Energieversorgung sieht der Wissenschaftler in Europa derzeit nicht in Gefahr. Allerdings sei die Entwicklung „ein Rückschlag für die Anbindung Russlands an Europa. Putin ist kein verlässlicher und kalkulierbarer Partner mehr.“

Der Hamburger Otto-Konzern wollte sich nicht zu den Sanktionen äußern. Die Strafmaßnahmen dürften das Handelsunternehmen vor allem dann treffen, wenn sich durch die Sanktionen die Konsumstimmung in dem Riesenreich insgesamt verschlechtert. Für Otto gehört Russland zu den wichtigsten Wachstumsmärkten und ist schon heute mit Marken wie Bonprix, Witt oder Quelle der größte Onlinehändler des Landes. 549 Millionen Euro erwirtschaftete der Konzern dort 2013.

Mit Blick auf die gesamte Krise in der Ukraine und die Spannungen mit Russland hatte Konzernchef Hans-Otto Schrader schon bei der Bilanzvorlage Ende Mai auf eine konkrete Prognose für das Gesamtjahr verzichtet.

Der Hamburger ShoppingcenterBetreiber ECE hat erst im Frühjahr dieses Jahres sein zweites Einkaufszentrum in Russland in Betrieb genommen. „Auswirkungen auf das Konsumklima spüren wir bislang aber nicht“, sagte Sprecher Christian Stamerjohanns. Auch der Hamburger Nivea-Hersteller Beiersdorf ist betroffen. Allerdings wird die Umsatzdelle vermutlich nicht so groß ausfallen. Russland hat in der Strategie des Konzerns eher eine untergeordnete Rolle, wie dem Unternehmen nahestehende Personen sagen.

Die in Hamburg ansässigen Hersteller von Gabelstaplern, Still und Jungheinrich, zeigten sich ebenfalls gelassen. „Bei Still kommen weniger als zwei Prozent der Fahrzeugneubestellungen aus Russland“, hieß es. „Im Systemgeschäft spüren wir derzeit so gut wie keine Auswirkungen, im Geschäft mit Neufahrzeugen beobachten wir einen deutlichen Rückgang“, sagte Jungheinrich-Sprecher Markus Piazza. Das Unternehmen habe aber „eine unverändert stabile Position in Russland“.

Der Öl- und Gasförderer RWE-Dea wiederum, dessen Zentrale in Hamburg sitzt, soll für 5,1 Milliarden Euro an das Investmentunternehmen LetterOne des russischen Oligarchen Mikhail Friedmann verkauft werden. Das kündigte der Mutterkonzern RWE bereits im März an. Doch die Umsetzung des Geschäfts liegt jetzt auf Eis. Angesichts der Krise in Osteuropa prüft die Bundesregierung das Projekt noch. (HA)