Bei Deutschlands größter Gläubigerversammlung traf der Ex-Chef des Windparkbetreibers Prokon auf den Insolvenzverwalter, der ihn entließ.

Hamburg. „Einen Verlust werden wir hinnehmen müssen“ – damit haben sich Elfriede und Günter Schmidt schon abgefunden. Bereits am Tag vor der Prokon-Gläubigerversammlung sind sie aus Flensburg angereist. Sie kennen aus ihrem Umfeld viele Menschen, die in Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein investiert haben. „Diese Anlagen sind alle unglaublich profitabel“, sagt Günter Schmidt. Die von Prokon seinerzeit versprochenen sechs Prozent Verzinsung seien ihm daher durchaus realistisch erschienen. Doch habe der Firmengründer Carsten Rodbertus schließlich „die Bodenhaftung verloren“ und von Buchhaltung habe er offenbar „keine Ahnung gehabt“.

Allerdings sieht Schmidt eine Mitverantwortung für die Insolvenz des Itzehoer Unternehmens bei den Banken: „Weil Prokon ihnen Konkurrenz gemacht hat, haben sie dafür gesorgt, dass die Anleger ihr Geld zurückwollten.“ Als sich Ende vorigen Jahres die Berichte über finanzielle Probleme häuften und daraufhin Tausende von Gläubiger ihre Beteiligung in Form von Genussscheinen kündigten, musste der Windkraftanlagenbetreiber im Januar Insolvenzantrag stellen.

„Ich hoffe, wenigstens die Hälfte meines Geldes wiederzubekommen“, sagt Janna Schönfeld. Über ihre Mutter hatte die junge Frau, die in Brüssel lebt, von den verlockend erscheinenden Prokon-Anteilen gehört. Nun setzt sie auf das Geschick des Insolvenzverwalters Dietmar Penzlin: „Ich denke, er leistet gute Arbeit.“ Dass die Auseinandersetzung zwischen Penzlin und Rodbertus im Vorfeld der Gläubigerversammlung mit extrem harten Bandagen geführt wurde, findet Schönfeld verständlich: „Es geht schließlich um sehr viel Geld – um 1,4 Milliarden Euro.“ Unbegreiflich sei hingegen, warum Rodbertus nicht bereit sei, die Verantwortung für das Scheitern von Prokon zu übernehmen.

Anders sieht es Alois Mieslinger, der für die Gläubigerversammlung aus dem hessischen Bad Wildungen nach Hamburg gekommen ist: „Der Insolvenzverwalter will aussichtsreiche Unternehmensteile verkaufen, und das gefällt mir nicht.“ Er hatte sich für die Prokon-Genussscheine entschieden, weil ihm die Idee, die Windparks praktisch ausschließlich mit Eigenkapital zu finanzieren, überzeugend erschien. Die bis zu acht Prozent Rendite, die Prokon zeitweise bot, müssten in dieser Höhe gar nicht gezahlt werden, meint Mieslinger: „Mir würden auch vier oder fünf Prozent reichen. Aber wohin soll man denn sonst mit dem Geld, wenn es bei den Banken kaum noch Zinsen gibt?“

Schon um 8 Uhr, drei Stunden vor Veranstaltungsbeginn, waren bei bestem Hochsommerwetter mehrere Hundert Anleger zu der größten Gläubigerversammlung Deutschlands in die gleißend weiße Halle B6 der Hamburg Messe gekommen. Gegen 9 Uhr traf Rodbertus, der ein auffallend orangefarbenes Poloshirt mit Prokon-Logo trug, dort ein. „Wir werden unsere Hausaufgaben tun“, sagte er.

Rodbertus setzt sich mit einer Arbeitsgemeinschaft für eine „lebenswerte Zukunft von Prokon“ ein und verspricht, das Anlegerkapital bei einer reduzierten Verzinsung nahezu vollständig innerhalb von drei bis fünf Jahren zurückzahlen zu können.

Doch gleich zu Beginn der Gläubigerversammlung wurde klar, dass der Ex-Chef der Ökostromfirma wohl nicht die Chance erhält, sein Sanierungskonzept einer praktisch unveränderten Fortführung des Unternehmens umzusetzen. Denn die Übertragung der Stimmen von rund 15.000 Anlegern, die Rodbertus für seinen Kurs gewinnen konnte, auf die Arbeitsgemeinschaft wurde vom Amtsgericht Itzehoe für ungültig erklärt. Zwar stellte das Rodbertus-Lager umgehend Anträge, die zuständige Rechtspflegerin für befangen zu erklären. Die Anträge wurden aber abgewiesen.

Rodbertus sieht sich als Opfer der mächtigen Bankenbranche

Danach lief die Veranstaltung, die nicht öffentlich war und bis gegen 18:30 Uhr dauerte, nach Angaben von Teilnehmern abgesehen von einzelnen Zwischenrufen ruhig ab. Die Rechtspflegerin, die den Vorsitz hatte, gewährte dem Insolvenzverwalter und seinem Team fast zwei Stunden Redezeit, um die Lage von Prokon darzustellen und das Sanierungskonzept zu skizzieren. Rodbertus hingegen gestand sie nur 20 Minuten zu. Tatsächlich habe er dann rund 30 Minuten gesprochen, hieß es.

„Rodbertus hat versucht, sich als Märtyrer hinzustellen“, sagte der Anlegeranwalt Julius Reiter. Der Prokon-Gründer sehe sich als „Opfer der Finanzindustrie“. Zu den Verschwörungstheorien, mit denen Rodbertus operiere, gehöre auch der Hinweis, dass der Vater des Insolvenzverwalters Penzlin früher Direktor am Amtsgericht Itzehoe gewesen sei. Schon seit längerer Zeit versucht der Prokon-Gründer, den Eindruck zu erwecken, er sei der mächtigen Bankenbranche zu unbequem geworden. Das Unternehmen habe sich stets „extrem kritisch mit der Gesellschaft, den Banken, den Medien und der Politik auseinandergesetzt“, schrieb er. Indem Prokon die Kündigungsfrist der Genussscheine zugunsten der Anleger auf vier Wochen reduzierte, sei die Firma „erfolgreich angreifbar“ geworden.

Für Insolvenzverwalter Penzlin und die an den Sanierungsgesprächen beteiligten Anlegerschutzverbände ist Rodbertus jedoch für den Niedergang verantwortlich. Die Rede ist inzwischen von Vorwürfen bis hin zu Betrug in besonders schwerem Fall. Penzlin zufolge ermittelt deshalb die Staatsanwaltschaft Lübeck.

Im Raum steht demnach außerdem der Verdacht, das Finanzierungsmodell von Prokon könne ein betrügerisches Schneeballsystem gewesen sein. Demzufolge konnte die Firma die versprochenen Zinsen an Altanleger nur ausschütten, weil sie ständig neue Investoren gewann. Rodbertus weist dies zurück. Ende April wurde er als Prokon-Chef von Penzlin unter Verweis auf Pflichtwidrigkeiten fristlos entlassen. Penzlins Konzept sieht vor, das Kerngeschäft des Windparkbetreibers und 300 Arbeitsplätze von ehemals 450 zu erhalten. Nicht zum Kern gehörende Firmenteile wie etwa Aktivitäten in der Holzindustrie sollen verkauft werden.