Immer mehr Menschen machen sich im Zweitjob selbstständig

Maike Günther arbeitet in ihrem Hauptjob als Unternehmensberaterin in der Pharmabranche. Im Zweitjob hat sie zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Melanie Manegold den Praxistest versucht: mit Nähfaktur eine eigene Geschäftsidee umzusetzen. Die kam der Hamburgerin am Wickeltisch in der Babypause. „Es gibt kaum Textilien, die auf Mutter und Kind abgestimmt sind“, sagt die 34-Jährige. Zusammen entwickelten die beiden Frauen eine Kollektion im Setcharakter, etwa das Schlabberset aus Lätzchen und Spucktuch. Vertrieben werden die Produkte im eigenen Onlineshop.

Immer mehr Deutsche versuchen sich als Existenzgründer, allerdings nur im Nebenerwerb. Tagsüber arbeiten sie im Angestelltenverhältnis, abends und am Wochenende bauen sie die eigene Firma auf. Das bietet auch Sicherheit, falls die Selbstständigkeit scheitern sollte. Ob Kinderkleidung, Fahrradvertrieb oder Fitness – mit der Sicherheit einer festen Stelle oder der Elternzeit im Rücken, erwacht der Gründergeist. „Der Markt ist da, und viele nutzen ihn, um sich mit einem selbstständigen Nebenerwerb etwas hinzuzuverdienen“, sagt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW-Bankengruppe. Auch in diesem Jahr erwartet er einen Anstieg der Gründungsaktivitäten im Zweitjob.

Schon im vergangenen Jahr stiegen die sogenannten Nebenerwerbsgründungen bundesweit um 22 Prozent, während die Vollerwerbsgründer seit 2010 immer weniger werden, wie aus dem jährlichen KfW-Gründungsmonitor hervorgeht. 562.000 Personen wagten 2013 eine Existenzgründung – nebenbei. Das sind 65 Prozent aller Gründer. „Unter diese Zahl fallen auch Gründer, die ihre Firma aus der Elternzeit oder einer anderen Phase der Erwerbslosigkeit heraus gründen und das in Teilzeit“, sagt Sonja Höpfner von der KfW-Bank. Deshalb ist das Übergewicht der Frauen unter den Nebenerwerbsgründern nicht verwunderlich. Ihr Anteil liegt bei über 50 Prozent.

„Wegen der flexiblen Arbeitszeiten eignet sich auch der Wiedereinstieg nach der Familienpause für eine Nebenerwerbsgründung“, sagt die Hamburger Unternehmensberaterin Claudia Kirsch, die schon 5000 Gründer mit ihrem Know-how unterstützt hat. „Häufig wird die Elternzeit zur beruflichen Umorientierung genutzt.“ Für Günther, die auch schon zwei Kinderbücher geschrieben hat, geht es auch um den kreativen Ausgleich. „Mir gefällt, dass ich vom Design über die Produktion bis zum Vertrieb alles nach eigenen Vorstellungen gestalten kann“, sagt sie. Es gibt keinen Erfolgsdruck. „Die Nähfaktur läuft ganz entspannt“, sagt Günther.

Aber es geht um mehr als ein Hobby, auch wenn der Lebensunterhalt in den meisten Nebenerwerbsgründungen ohnehin nicht zu bestreiten ist. „Die Motive sind nicht anders als im Haupterwerb“, sagt Marco van Elkan vom Institut für Mittelstandsökonomie an der Universität in Trier. „Sie wollen aus eigener Kraft etwas entwickeln und ihre Geschäftsidee verwirklichen.“ Der Forscher, der nebenbei als Winzer arbeitet, hat im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums die Gründungen im Nebenerwerb untersucht. Jeder vierte Nebenerwerbsgründer plant, die eigene Firma zum Haupterwerb zu machen.

Für den Start wird meist nur wenig Kapital benötigt. Zwei Drittel aller Neugründer kommen mit bis zu 5000 Euro aus. „Meist sind weder ein Ladengeschäft mit hoher Miete noch ein kapitalintensives Warenlager nötig“, sagt Kirsch. „Für eine Gründung im Nebenerwerb eignen sich vor allem Berufe aus dem Dienstleistungsbereich und den freien Berufen, weil die Investitionen meist gering sind.“

Auch wenn der Erfolgsdruck geringer, die Sicherheit größer ist, sollte auf eine ausreichende Gründungsplanung und einen Businessplan nicht verzichtet werden. Die Voraussetzungen sind günstig, denn die Gründer verfügen über hohe Bildungsabschlüsse. Der Immobilienkaufmann Sebastian Suckow, der Bambusfahrräder verkauft, hat sich Rat bei seiner ehemaligen Ausbildungsstätte, der Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie Hamburg, geholt. „Die haben mich bei der Gründung toll unterstützt“, sagt er. Im Schnitt arbeiten die Gründer 13 Stunden pro Woche für ihr Unternehmen. Die Doppelbelastung lässt sich nur mit einem guten Selbst- und Zeitmanagement meistern.

Expertin Kirsch rät grundsätzlich dazu, die Nebentätigkeit mit dem Arbeitgeber abzusprechen – auch wenn das nicht explizit im Arbeitsvertrag vorgeschrieben ist. Wer keinen sozialversicherungspflichtigen Job hat oder bei der Krankenkasse familienversichert ist, dem drohen eigene Beiträge. „Wenn der monatliche Gewinn 450 Euro übersteigt oder mehr als 15 Stunden wöchentlich für den Nebenerwerb aufgewendet werden, droht die Sozialversicherungspflicht“, sagt Rainer Lange von der DAK.