Die Zeiten, in denen die Deutschen bei Lebensmitteln auf den Preis geschaut haben, sind vorbei. Qualität ist gefragt - auch in Hamburg.

Hamburg. Ihre Einkaufstour startet Hermine Seifert regelmäßig auf dem Ottenser Ökomarkt. Zusammen mit ihrer ein Jahr alten Tochter Lina steuert die Kostümbildnerin zielsicher auf einen großen Obst- und Gemüsestand zu, beäugt kritisch den Spinat. "Den kaufe ich eigentlich nur in Bioqualität, weil da weniger Nitrat drin ist", sagt die Hamburgerin. 6,20 Euro kostet das Kilo, Ökoäpfel zu knapp 4 Euro nimmt sie auch noch mit.

"Ich gebe schon sehr viel Geld für Lebensmittel aus", sagt Seifert. Einen genauen Überblick hat sie nicht, "aber einige Hundert Euro im Monat sind das bestimmt." Geschmack und Frische sind Seifert wichtig, aber auch die Schadstofffreiheit und eine artgerechte Tierhaltung. "Bevor ich bei Obst und Gemüse spare, verzichte ich lieber auf teure Kleidung."

Die Hamburgerin ist wohl das, was die jüngste Studie des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé zum Essverhalten der Deutschen einen Quality Eater nennt - jemanden, der besonders hohe Maßstäbe an die gekauften Lebensmittel anlegt. Mehrheitlich weiblich, über 30 Jahre und überdurchschnittlich gebildet ist diese Gruppe, die laut der Untersuchung schon rund ein Viertel der deutschen Verbraucher ausmacht.

Insgesamt ist eine hohe Qualität von Obst, Gemüse oder Getränken für 58 Prozent der Deutschen mittlerweile wichtiger als ein besonders günstiger Preis. "Lebensmittelqualität ist heute ein wesentlicher Bestandteil von Lebensqualität", sagt Renate Köcher vom Institut für Demoskopie in Allensbach, die die Untersuchung im Auftrag des Nahrungsmittelriesen durchführte.

Entwickelt sich in Deutschland also eine neue Wertschätzung für Lebensmittel, gar eine neue Esskultur? Kaum zu glauben, schließlich gelten die Bundesbürger im europaweiten Vergleich eigentlich als besonders geizig, wenn es um Ausgaben für Brot oder Bananen geht. Die großen Billigketten wie Aldi und Lidl haben die Verbraucher schließlich über Jahrzehnte an extrem niedrige Preise gewöhnt. Standardprodukte wie Milch oder Butter werden nur zu gerne verramscht, um Kunden generell möglichst günstige Preise vorzugaukeln. Sehr zum Unmut von Bauern und anderen Produzenten.

Gerade einmal elf Prozent ihrer gesamten Konsumausgaben rückten die Deutschen zuletzt für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke raus. Die Franzosen ließen hingegen 13,4 Prozent für Käse, Wein und Baguette springen, die Griechen 16,2 und die Portugiesen gar 16,9 Prozent, wie das Europäische Statistikamt Eurostat ermittelte.

Und dennoch gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass sich tatsächlich etwas an der Einstellung der Bundesbürger zu ihren Lebensmitteln ändert. "Die Sehnsucht nach möglichst ursprünglichen Nahrungsmitteln ist groß", sagt Martin Fleischhauer vom Biohof Sommerfeld, der in Ottensen zweimal pro Woche selbst angebauten Salat und anderes Gemüse aus Ochsenwerder verkauft. "So frisch wie möglich soll die Ware sein und einen kurzen Weg zurückgelegt haben." Dabei gingen die Ansprüche der Kunden allerdings nicht immer mit einem tiefen Verständnis für die Produkte einher. "Es gibt Menschen, die am Morgen geernteten Brokkoli verlangen", schmunzelt Fleischhauer. "Dummerweise wird der hier nicht angebaut, sondern importiert."

Dass die Hamburger auch jenseits der Bioszene bereit sind, tiefer für Lebensmittel in die Tasche zu greifen, zeigt sich nur einige Meter vom Ottenser Spritzenplatz entfernt. Hier hat gerade eine neue Filiale des Berliner Unternehmens Kochhaus eröffnet. Das edle, ganz in Schwarz gehaltene Geschäft verkauft seine Ware nicht wie gewohnt in uniformen Regalen, sondern appetitlich arrangiert nach Rezepten.

Für schwarze Taglioni in Paprikaschaumsoße lassen sich hier die Zutaten einzeln zusammenstellen. Knallrote Paprika im Weidenkörbchen, ein Bund Petersilie, ein einzelner Brühwürfel, eine Knoblauchzehe, ein Kräuterseitling. Da macht es dann auch nichts, dass die schwarzen Nudeln satte 4,30 Euro pro Packung kosten. Das Geschäft ist gut besucht, und die Kunden nehmen häufig noch eine Flasche Wein zu 10 Euro, ein Küchenmesser oder einen Pürierstab mit. 20 Prozent mehr als im Supermarkt zahlen sie im Schnitt für die Produkte. Weil das Konzept so gut aufgeht, hat Kochhauschef Ramin Goo schon seine dritte Filiale in Hamburg eröffnet. Ein weiterer Ausbau des Netzes ist nicht ausgeschlossen.

Auf Wachstumskurs ist auch Jan Schawe mit seinem Hamburger Delikatessengeschäft Mutterland. "Zu uns kommen vor allem Kunden, die sich nach einem harten Arbeitstag mit einer besonderen Schokolade, selbst gemachter Marmelade oder einem Pesto belohnen möchten", sagt der Chef. "Vielen ist es zudem wichtig, kleine Produzenten zu unterstützen." Dafür gehen dann auch schon mal 6 Euro für eine Himbeer-Limonen-Marmelade oder 30 Euro für ein besonderes Arganöl über die Ladentheke. Nach dem Stammhaus in St. Georg und einer weiteren Filiale in Eppendorf hat Schawe im Frühjahr einen weiteren Laden an der Poststraße in der City aufgemacht. "Außerdem haben wir 150 Franchiseanfragen."

Schaut man sich die Gewinner des deutschen Lebensmittelmarktes an, dann sind es vor allem die großen Biosupermarktketten, die im vergangenen Jahr mit Wachstumsraten von mehr als 16 Prozent glänzen konnten. Der gesamte Markt legte hingegen gerade mal um 2,4 Prozent auf 231 Milliarden Euro zu. Insbesondere der Biogroßhändler Dennree aus dem bayerischen Töpen ist mit seiner Einzelhandelskette denn's Biomarkt in Hamburg auf dem Vormarsch. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Geschäfte von drei auf sechs verdoppelt.

Neben ökologisch korrekten Produkten ohne Gentechnik und chemische Pflanzenschutzmittel stehen bei den Konsumenten derzeit vor allem regionale Lebensmittel hoch im Kurs. Darauf haben sich auch die normalen Supermarktketten eingestellt. So hat die Kölner Rewe-Gruppe die Marke Rewe Regional aufgelegt, unter der Obst und Gemüse angeboten werden, das aus dem Umkreis des jeweiligen Marktes oder zumindest aus dem gleichen Bundesland stammt. Konkurrent Edeka, Deutschlands größte Supermarktkette, will die Qualitätskäufer mit einer breiten Palette von Bioprodukten und gerecht gehandelten Waren ansprechen und baut ebenfalls das Angebot an regionalen Lebensmitteln aus. Mit der Umweltschutzorganisation WWF ist der Hamburger Konzern eine Partnerschaft eingegangen, um nach Sortiment noch nachhaltiger zu gestalten. Man verstehe sich als "ökologischer Fitnesstrainer" der Kaufleute, heißt es dazu von den Naturschützern.

Neben den Veränderungen im Sortiment inszenieren die selbstständigen Edeka-Kaufleute ihre Lebensmittel heute zudem viel aufwendiger als noch vor einigen Jahren. Im Edeka-Markt in der HafenCity hat Chef Markus Böttcher beispielsweise sein Obst und Gemüse in eine Theke gesteckt, die wie ein Schiffsrumpf geformt ist. In der Getränkeabteilung sitzt eine Plastikmöwe auf einigen Kaffeesäcken. Maritimes Flair soll das vermitteln. Auf St. Pauli plant Edeka in der alten Rindermarkthalle gar einen Markt mit einzelnen Ständen nach südländischem Vorbild. Und an der Langen Reihe wird ein historischer Kolonialwarenladen in den dort geplanten Supermarkt integriert.

Für die Lebensmittelhändler rechnen sich solche Investitionen offenbar. Auch Edeka hat im vergangenen Jahr beim Umsatz um 4,7 Prozent auf fast 46 Milliarden Euro zugelegt. Insgesamt haben sich die großflächigen Supermärkte, die sogenannten Vollsortimenter, deutlich besser als die Discounter entwickelt. Aldi, Lidl, Penny und Co. konnten ihre Umsätze laut der Marktforschungsgesellschaft TradeDimensions zwar noch um 1,4 Milliarden Euro erhöhen, doch aufgrund der stärkeren Zuwächse der Konkurrenz sank ihr Marktanteil erstmals seit Jahren leicht um 0,3 Prozent auf noch 36,7 Prozent.

Kein Wunder also, dass auch die Billigketten mittlerweile ihr Geschäftsmodell überdenken und immer mehr auf Bioprodukte und edle Spezialitäten setzen. Ökoeier und echten Parmigiano Reggiano gibt es heute auch bei Aldi, der Discounter nimmt zudem immer mehr Markenprodukte wie Nutella oder Coca-Cola ins Programm.

Mehrere Hundert Millionen Euro soll Aldi Nord zudem in die Verschönerung der Märkte investieren, in denen graue Fliesen und kahle Regale bislang einen Beweis für das Preisbewusstsein darstellen sollten. Nach dem Motto: "Wenn unsere Läden zu schick sind, halten uns die Kunden für zu teuer."

Wie Aldi-Märkte in Zukunft aussehen könnten, ist derzeit in Lübeck zu besichtigen. Dort hat der Discounter eine Projektfiliale mit einer luftigen Glasfront und breiten Gängen errichtet. Im Ruhrgebiet experimentiert die Kette mit großen Fotos in den Märkten, die die Kauflust der Kunden wecken sollen. Nicht gerade ein Schlemmerparadies, aber für das ausgesprochen konservativ agierende Unternehmen fast schon eine Revolution. Für Hermine Seifert kommt ein Einkauf beim Discounter trotzdem nur in Ausnahmefällen infrage. "Mir ist das Licht in den Läden zu grell, das ganze Ambiente finde ich unangenehm." Da geht sie dann doch lieber auf den Wochenmarkt.