Warum viele Deutsche umdenken und wieder mehr Geld für Lebensmittel ausgeben.

Der Slogan war so genial wie verheerend. "Geiz ist geil" brüllte und schallte es vor genau zehn Jahren den Deutschen aus Zeitungen, von Plakatwänden und im Rundfunk entgegen. Die Hamburger Werber Jung von Matt hatten den Zeitgeist entlarvt - das Volk schaut vor allem auf eins: den Preis. Geiz, die einstige Todsünde und spätere Unart, wurde per Werbeslogan zur Tugend erklärt und gesellschaftsfähig. Die Deutschen mussten sich des Pfennigfuchsens nicht mehr schämen und räumten guten Gewissens die Sonderpostenlager, Discounterregale und Schnäppchenportale leer. Ein Ergebnis lässt sich heute in den Straßen deutscher Städte erblicken: Kleine Fachhändler geben auf, Großmärkte und das Internet übernehmen.

Besonders exzessiv tobte die Mentalität des Geizes in der Lebensmittelbranche. Hierzulande wundert sich niemand mehr darüber, dass in Supermärkten Milch billiger ist als Coca-Cola, ein Hühnerei weniger kostet als ein Überraschungsei, ein Pfund Käse weniger als ein Pfund Gummibärchen. Die Deutschen sind längst ein Volk der Billigheimer und Schnäppchenjäger. Mit rund elf Prozent des Einkommens geben sie deutlich weniger für Nahrungsmittel aus als 1970, als es noch 19 Prozent des Einkommens waren. Anderen Europäern mit anderen kulinarischen Traditionen sind Lebensmittel mehr wert. Die Italiener investieren mehr als 15 Prozent ihres Einkommens ins Essen, die Franzosen immerhin noch gut 13 Prozent. Bei solchen Vergleichen muss man zwar berücksichtigen, dass Lebensmittel aufgrund der hohen Discounterdichte in Deutschland grundsätzlich billiger sind als im Ausland. Doch es ist wie bei der Henne und dem Ei - was war zuerst da? Der Geiz oder die Discounter? Umfragen zufolge hielten bis vor Kurzem fast zwei Drittel der Bevölkerung den Preis eines Lebensmittels für das entscheidende Kaufargument. Die Jagd nach dem niedrigsten Preis zeitigt Folgen - wenn der Kunde auf jeden Cent schaut, wächst der Druck auf die Erzeuger. Die Qualität steigert das nicht. Ganz im Gegenteil: Wenn Unternehmen in Deutschland Marktanteile vor allem über den Preis erobern, wird hier die günstigste Ware angeboten; wo der Wettbewerb über die Qualität erfolgt, kommen die besten Nahrungsmittel in die Läden

Doch der Zeitgeist beginnt sich zu wandeln. Die "Geiz-ist-geil"-Ära ist vorbei, nicht ohne Grund wird der Slogan nicht mehr verwendet. Die Kunden sind kritischer geworden. Und unzählige Lebensmittelskandale von Dioxineiern über Gammelfleisch bis zu mit Mäusekot verunreinigtem Brot haben die Verbraucher alarmiert. Die Qualität, die Herstellung und die Umweltkosten bekommen ein größeres Gewicht, der Preis wird vom entscheidenden Argument zu einem Aspekt unter vielen. Discounter bauen inzwischen ihre Bioproduktlinien aus und entwerfen eigene Gütestandards- und -siegel, Supermärkte schaffen umfangreiche Öko-Erlebniswelten. Werte und Vertrauen spielen eine Rolle bei der Kundenbindung, keine Imagekampagne oder Werbeaktion kommt ohne die Schlagworte Qualität, Nachhaltigkeit, Umwelt aus. Die Landlust der Deutschen hat längst die Supermärkte der Großstadt erreicht.

Es wäre naiv zu glauben, nur uneigennützige Beweggründe steckten hinter der Biowelle in den Regalen - die Betriebswirtschaft bleibt maßgeblich. Bei hochpreisigen Produkten ist die Marge höher, Gutes rentiert sich. Und doch wäre es wohlfeil, sich über das Renditestreben der Supermärkte zu beklagen. Unter dem Strich zahlt sich die Trendwende im Handel für alle aus - die Erzeuger, die Umwelt, die Konsumenten, die Anbieter.

Jeder kann als mündiger Verbraucher an der Supermarktkasse oder auf dem Markt entscheiden, was ihm wichtig ist und ob Geiz wirklich geil ist. Mehr Nachhaltigkeit und Qualitätsbewusstsein kosten nicht die Welt, machen sie aber besser.