Höhere Lohnzuschläge zwingen die Metallindustrie im Norden zum Umdenken. Bundesweit könnte Zahl der Leihkräfte um 150.000 sinken.

Hamburg. Noch vor wenigen Monaten galt bei der Meyer-Werftengruppe die Personalplanung als ausgefeilt. Jeder zehnte der mehr als 3000 Mitarbeiter in Papenburg und bei Neptun in Rostock arbeitet dort als Zeitarbeiter. Doch jetzt steht Deutschlands bekanntester Passagierschiffbauer vor einer neuen Herausforderung. Hintergrund dafür ist die Übereinkunft der beiden bundesweiten Zeitarbeitsverbände mit der Gewerkschaft IG Metall.

Danach werden mit dem 1. November neue Lohnzuschläge für alle Zeitarbeiter und damit auch für die gut 300 bei Meyer fällig. "Wenn wir unsere Belegschaft nicht verändern, kommen jährlich fünf bis sechs Millionen Euro zusätzliche Kosten auf uns zu", sagt Hans-Artur Wilker, der zur Geschäftsleitung der Meyer-Neptun-Gruppe zählt. Schwer zu schultern. Vor allem, weil sich an den vereinbarten Preisen für die sechs Kreuzfahrtschiffe im Auftragsbestand nichts ändern lässt. Bei Meyer hat das große Rechnen begonnen.

Ein Ergebnis liegt zwar noch nicht vor. Aber für das Management ist klar, dass die Zeitarbeit zurückgefahren werden muss. "Wir denken darüber nach, unsere festen Mitarbeiter künftig an mehreren verschiedenen Arbeitsplätzen einzusetzen, die Wochenarbeitszeit flexibel zwischen 30 und 48 Stunden zu variieren und so weit möglich, Urlaube an das jeweilige Arbeitsvolumen anzupassen", sagt Wilker. 100 bis 150 Zeitarbeiter könnten fest eingestellt werden. Ausgeschlossen sei aber auch nicht, dass Aufgaben über Werksverträge ausgelagert werden. Auch der Betriebsrat des Schiffbauers weiß bereits Bescheid.

Ähnliche Anpassungen stehen von Anfang November wohl auch in anderen Unternehmen an. "Gerade Firmen, die wie die Werften langfristig kalkulieren, dürften mit den höheren Kosten schwer zu kämpfen haben", sagt Peter Schlaffke, der Leiter der Tarifabteilung des Arbeitgeberverbandes Nordmetall. Betroffen von der Neuregelung ist im Verband etwa die Hälfte der 250 organisierten Betriebe mit 110 000 Beschäftigten. Im Schnitt, schätzt Angelo Wehrli, Hamburger Landesbeauftragter des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) und selbst Chef der Zeitarbeitsfirma afg Personal, wird das Ausleihen von Arbeitskräften für die Firmen um 30 Prozent teurer.

Die Lohnsteigerungen für die Zeitarbeiter sind nach der Einsatzzeit in einem Unternehmen gestaffelt. Der im Mai geschlossene Tarifvertrag, dem auch der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) zugestimmt hat, sieht nach sechs Wochen ein Plus von 15 Prozent vor. In der Endstufe, nach neun Monaten, steigert sich der Zuschlag auf 50 Prozent. Ähnliche Regelungen, allerdings mit insgesamt niedrigeren Zuschüssen, gelten für die Chemie und vom kommenden Jahr an für die Bereiche Kunststoff, Kautschuk und die Eisenbahnen.

Die Vereinbarung ist dabei gleichzeitig eine Antwort auf die scharfe Kritik der Gewerkschaften, die Leiharbeit stets als für die Betroffenen unsichere und schlecht bezahlte Tätigkeit kritisieren. "Wir hoffen jetzt", sagt Nordmetall-Experte Schlaffke, "dass das Thema durch die Neuregelung befriedet wird." Nach einer Umfrage will der Verband Mitte November erstmals berichten, wie die Unternehmen künftig mit der Leiharbeit umgehen wollen.

Beide Zeitarbeitsverbände stimmen aber schon jetzt darin überein, dass zumindest vorübergehend weniger Kräfte vermittelt werden dürften. Von 860 000 Zeitarbeitern bundesweit könnte die Zahl sogar um bis zu 150 000 zurückgehen, schätzt der Hamburger IGZ-Verbandschef Wehrli. Allerdings werde der Rückgang in Hamburg prozentual geringer ausfallen, weil in der Hansestadt vor allem qualifiziertes Personal gesucht werde, das kaum ersetzt werden könne. Solche Zeitarbeiter haben vielmehr gute Chancen, eingestellt zu werden. "Allerdings glaube ich nicht an eine Übernahmewelle, schon weil sich die Konjunktur abkühlt", sagt BAP-Vizepräsident Thomas Bäumer, der als Verhandlungsführer der Arbeitgeber die Zuschläge für die fünf Branchen ausgehandelt hat.

Größte Verlierer der Neuregelung könnten Arbeitnehmer ohne Berufsausbildung oder mit anderen Handicaps werden. Denn bei den meisten von ihnen wird die Lohnerhöhung voll auf die Kosten der Unternehmen durchschlagen - im Gegensatz zu Facharbeitern, bei denen sich die Zuschläge zum Teil gegen bereits gezahlte übertarifliche Zahlungen verrechnen lassen.

So steigt der Stundenlohn in der untersten Gruppe der Zeitarbeit zum 1. November nach dem Entgelttarif um 3,8 Prozent auf 8,19 Euro. Nach sechs Wochen im Betrieb kommen dann weitere 15 Prozent dazu. "Unsere Kunden werden kaum bereit sein, für diese Gruppe die höheren Löhne zu zahlen", sagt Bäumer. "Da wird es eine Bremsspur geben." Möglich sei auch, dass Firmen durch das rasche Auswechseln vor allem dieser Zeitarbeiter die Zuschläge sparen wollen.

Dennoch: Beide Verbände gehen davon aus, dass sie die höheren Kosten für die Zeitarbeiter durchsetzen können. Denn der Vorteil, Belegschaften nur für eine bestimmte Zeit ausweiten zu können, bleibe schließlich erhalten. "Es gibt keine bessere Flexibilität als mit Zeitarbeit. Da ist sie unschlagbar", sagt Bäumer. "Selbst wenn sich Firmen zunächst bei ihrer Nachfrage zurückhalten", sagt der Hamburger IGZ-Landeschef Wehrli, "werden sie wiederkommen."

Für die IG Metall ist mit der weitgehenden Angleichung der Löhne zunächst ein erstes Ziel erreicht. "Die Zeitarbeit als billiger Jakob, das geht nicht mehr", stellt der Tarifsekretär der IG-Metall-Küste, Daniel Friedrich, fest. Nun soll beobachtet werden, ob die höheren Löhne auch bei den Beschäftigten ankommen. "Schon in der Vergangenheit gab es Fälle, in denen die Zeitarbeitsfirmen Zuschläge nicht ausgezahlt haben", sagt Friedrich. Das dürfe nicht wieder passieren. "Sonst haben wir einen neuen Konflikt."

Der zweite Schritt ist für die Gewerkschaft aber ebenso klar: Die Firmen sollen einstellen. Beispiele dafür sind Airbus oder das Lübecker Drägerwerk, die in diesem Jahr 700 beziehungsweise 100 Zeitarbeiter in ihre Belegschaften übernehmen. "Das geht in die richtige Richtung", sagt Friedrich. Denn aufgrund des sich immer stärker abzeichnenden demografisch bedingten Fachkräftemangels seien "gute Leute" sonst kaum mehr zu bekommen.

Kay Pietsch, der Betriebsratsvorsitzende des Hamburger Gabelstaplerbauers Still, geht noch einen Schritt weiter. Er fordert gar eine weitgehende Abkehr von der Zeitarbeit. Dabei gilt gerade im Hamburger Werk für die rund 200 Zeitarbeiter unter den 2000 Beschäftigten ein günstiges Modell. Es stellt sie beim Entgelt vom ersten Tag mit ihren Kollegen gleich. "Wir haben wohl neben Airbus die beste Regelung in Hamburg, auch wenn die Zeitarbeiter nicht in die betriebliche Altersversorgung und den Bonus einbezogen sind", räumt Pietsch ein. Ausreichend findet er das nicht. Vielmehr wollen die Arbeitnehmer durchsetzen, dass die Stammbelegschaft aufgestockt und Auftragsschwankungen über variable Arbeitszeiten aufgefangen werden. "Das würde dem Unternehmen zudem helfen, Fachleute zu bekommen", sagt der Betriebsratschef.

Bei den zum Jahresende anstehenden Verhandlungen über die Zeitarbeit will Pietsch nun die variablen Arbeitszeiten aushandeln. "Lässt sich das Management nicht darauf ein, werden wir Leiharbeit nicht mehr genehmigen", droht Pietsch. Für ihn ist sie schlichtweg überholt. "Wer auf sie setzt, setzt auf ein totes Pferd."