Ein Gespräch mit Foodwatch-Chef Thilo Bode über Nervengifte und krebserregende Stoffe im Essen und Quälerei in der Massentierhaltung.

Hamburg/Berlin. Wer bei Thilo Bode, dem Gründer und Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch anruft, wird in der Warteschleife thematisch eingestimmt. Mit ihrem Hit von 1992 warnt die Popgruppe "Die Prinzen" lautstark: "Vergammelte Speisen zu überhöhten Preisen sind zurückzuweisen..." Dann ist Thilo Bode selbst am Apparat.

Hamburger Abendblatt:

Herr Bode, die Skandale um Gammelfleisch, Lebensmittelimitate und Pestizidrückstände häufen sich. Wie steht es um unsere Ernährung?

Thilo Bode:

Die häufige Berichterstattung über Skandale im Lebensmittelmarkt ist ein Anzeichen dafür, was nicht stimmt: Konzerne können ganz schlechte Produkte als Premium anpreisen, Verbraucher werden systematisch getäuscht. Und sie haben keine Möglichkeiten, sich vor unnötigen Risiken zu schützen. Beides ist gesetzlich nicht ausreichend geregelt. Deshalb funktioniert der Lebensmittelmarkt nicht.

Abendblatt:

Wo sehen Sie die größte Baustelle?

Bode:

Die Lebensmittelindustrie gaukelt den Verbrauchern ständig vor, alles sei in Ordnung, sicher und legal. Nun, legal ist das meiste tatsächlich - aber deshalb muss es noch lange nicht richtig sein. Die größte Baustelle ist, dass die Lebensmittelkonzerne noch nicht begriffen haben, dass sie ein Problem haben.

Abendblatt:

Auch viele Verbraucher sind sich offenbar der Problematik nicht bewusst.

Bode:

Bei Foodwatch merken wir an den Zuschriften, dass sehr viele sauer sind, weil sie keine Informationsrechte haben, getäuscht und unnötigen Risiken ausgesetzt werden. Wir arbeiten daran, diese Unzufriedenheit in eine öffentliche Debatte umzusetzen, sodass es zu politischen Änderungen kommt. Bisher wird das Thema von Politik und Medien aber eher als Kuschelthema abgehandelt. Da geht es dann um gesunde Ernährung, aber nicht die Auseinandersetzung um neue Regeln für den Lebensmittelmarkt.

Abendblatt:

Viele Menschen wollen vor allem günstig einkaufen, andere setzen auf teure Biokost. Spaltet sich unsere Gesellschaft beim Essen?

Bode:

Es gibt bei allen Themen Menschen, die mit einer Situation zufrieden sind und andere, die etwas ändern wollen. Letztere wollen wir mobilisieren. Wir haben es nicht mit einem Luxusthema zu tun, sondern mit Grundrechten der Bürger. Dazu gehören das Recht auf Information und körperliche Unversehrtheit. Besonders schutzbedürftige Gruppen wie Kinder, Heranwachsende und ältere Menschen sind den verwirrenden Informationen und mangelnden Schutzbestimmungen des Lebensmittelmarkts hoffnungslos ausgeliefert.

Abendblatt:

Wie gesundheitsschädigend sind denn die Produkte in unseren Supermärkten?

Bode:

Direkte Sicherheitsmängel, etwa durch verschmutztes Wasser, finden Sie heute natürlich nicht mehr. Die Risiken haben sich verlagert: Zum einen werden regelmäßig die zulässigen Höchstmengen an Pestiziden überschritten und bestimmte Produkte enthalten Kontaminanten aus dem Produktionsprozess, wie etwa Acrylamid. Pestizide sind Nervengifte und Acrylamid ist krebserregend! Dazu kommen Risiken durch gesundheitlich umstrittene Zusatzstoffe wie Farbstoffe und Geschmacksverstärker. Es gibt aber auch indirekte Risiken durch zu hohe, versteckte Gehalte an Nährstoffen wie Zucker und Salz. Ein Riesenproblem: Das Gesundheitsministerium schätzt, dass die Kosten für ernährungsbedingte Krankheiten wie Frühdiabetes oder Bluthochdruck in Höhe von 70 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Das zahlt dann die Gesellschaft.

Abendblatt:

Inwieweit tragen die Billigsupermärkte zum Problem bei?

Bode:

Die Discounter müssen ständig um ihr Image fürchten, deshalb sind sie anderen Ketten teils sogar überlegen, was das Sicherheitsmanagement und die Produktinformation angeht. Lidl hat zum Beispiel ein vorbildliches Management für die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln, Aldi macht Nährwertangaben bei Eigenmarken, die die Originalmarken zurückhalten.

Abendblatt:

Viele Etiketten wimmeln vor Qualitätssiegeln. Wie weit können Verbraucher darauf vertrauen?

Bode:

Es gibt nur ein staatlich kontrolliertes Siegel, das ist das Bio-Siegel. Der Rest ist Fantasie, darauf können Sie gar nicht vertrauen. Im Fleischbereich gibt's allein 80 oder 90 Siegel - die meisten sind nichtssagend, reine Marketingmaßnahmen.

Abendblatt:

Apropos Fleisch, die Schlagzeilen um Quälereien von Hühnern beim Geflügelproduzenten Wiesenhof zeigen, welch grausame Form die Massentierhaltung annehmen kann...

Bode:

Artgerechte Tierhaltung ist eine große Baustelle. Wir brauchen ein Tierschutzgesetz, das effektiv verhindert, dass die Kreatur gequält wird. Das ist momentan nicht der Fall. Es dürfte nichts anderes als artgerechte Haltung geben. Ein Zwischenschritt wäre transparente Information, sodass der Verbraucher auswählen kann, wie es bei Eiern schon praktiziert wird. Nur so ergeben sich auch Qualitätsunterschiede in der Produktion. Wenn der Verbraucher die Unterschiede aber nicht feststellen kann, dann ist die Tendenz, zum billigsten Produkt zu greifen, sehr groß.

Abendblatt:

Der deutsche Tierschutzbund hat zum Boykott von Wiesenhofprodukten aufgerufen. Machen Sie mit?

Bode:

Es ist legitim, einen scheinbaren Qualitätsanbieter wie Wiesenhof, der solche Zustände billigt, abzustrafen.

Abendblatt:

Sind Sie Vegetarier?

Nein, aber wählerisch. Ich habe einen sehr guten Metzger in meinem Bioladen. Ich kann kein Fleisch essen, bei dem ich nicht weiß, ob die Tiere anständig behandelt wurden.

Abendblatt:

Wie müsste eine Landwirtschaft aussehen, die Mensch und Umwelt gleichzeitig gerecht wird?

Bode:

Die Landwirtschaft muss in die öffentliche Klimapolitik einbezogen werden, sie produziert so viele Treibhausgase wie der Verkehrssektor. Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung das Thema nicht angeht, obwohl sie sich als Klimavorreiter sieht. Es ist ein Skandal, dass es immer noch Exportsubventionen gibt, obwohl diese die Kleinbauern in der dritten Welt ruinieren. Es ist ein Skandal, dass immer noch Subventionen an Betriebe gegeben werden, die die Umwelt schädigen. So eine Landwirtschaft brauchen wir nicht!

Abendblatt:

Was wären die ersten Schritte, um die Zustände zu verändern?

Bode:

Den Großteil der Subventionen streichen, die Landwirtschaft dem Verursacherprinzip unterwerfen - das heißt, der Verschmutzer zahlt. Die ökologische Landwirtschaft hätte dann auch mehr Wettbewerbschancen. Sie hat es ja deshalb schwer, weil ein erheblicher Teil der Umweltkosten in ihre Produktionskosten eingeht. Die konventionellen Landwirte geben diese Kosten hingegen an die Allgemeinheit weiter. Zum Beispiel zahlen wir alle höheren Aufbereitungskosten für verschmutztes Trinkwasser, das die konventionelle Landwirtschaft durch Nitrate und Pflanzenschutzmittel schädigt. Eine schreiende Ungerechtigkeit.

Abendblatt:

Schwer vorstellbar, dass das durchsetzbar ist.

Bode:

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sofort alle Atomwaffen abgeschafft werden oder wir eine gute Klimapolitik haben. Trotzdem setze ich mich dafür ein. Es muss klar werden, dass Verbraucherschutz ein hartes politisches Thema ist - und viel mehr bedeutet als den Verbrauchern zu sagen: Kauft nicht billig!