Wie schlägt das Herz der Stadt in der Krise? Unterwegs zwischen Landungsbrücken und Neumühlen. Eine Reportage-Reihe von Olaf Preuß, Rolf Zamponi und Ingo Röhrbein.

Hamburg. Viele Städte haben einen Hafen. Aber welcher Hafen hat schon eine Stadt? In Hamburg liegt er, was für einen Überseehafen heutzutage ungewöhnlich ist, im Zentrum, mitten im Geschehen, kulturell, politisch, und vor allem im Hinblick auf die Wirtschaft. Die Schifffahrt, der Güterumschlag über die Weltmeere und alles, was damit zu tun hat, ist der Wachstumsmotor der Stadt, seit Jahrhunderten schon, seit der Zeit des historischen Städte- und Handelsbundes Hanse.

Der Hafen gibt rund 160 000 Menschen in der "Metropolregion" Hamburg Arbeit, schätzen Experten. Das bezieht sich vor allem auf die klassischen Hafendienstleistungen wie die Logistikunternehmen auf den Terminals und drumherum, auf die Hafenschlepper und Festmacher, auf die Versorgung der Schiffe während ihrer Liegezeit in Hamburg.

Schon seit Jahren aber wächst die Stadt auch in den Hafen hinein, holt sich Terrain wie die neue HafenCity zurück, ein Gebiet, das bis zum Zweiten Weltkrieg noch bewohnt war und dann zerbombt wurde. Mit dem Musicaltheater, in dem derzeit Disneys "König der Löwen" gespielt wird, gelang in den 1990er-Jahren der Brückenschlag der Unterhaltungsbranche ins Kerngebiet des Hafens - direkt neben die Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss. Am Hafenrand, von der Innenstadt bis nach Neumühlen, entstanden in den vergangenen Jahren neue Wohn- und Büroquartiere und eine vitale, attraktive Gastronomie. All das lebt vom Flair des Welthafens auf der anderen Seite der Elbe.

Die Krise der Weltwirtschaft trifft Deutschlands größten Seehafen mit voller Wucht. 2008 stagnierte der Güterumschlag zum ersten Mal seit Jahrzehnten - nachdem er in den Jahren zuvor teils rasant gewachsen war und die verfügbaren Platzkapazitäten an die Grenzen gebracht hatte. Hamburgs größtes Hafenunternehmen HHLA meldete am Freitag für die ersten drei Monate dieses Jahres einen Rückgang des Containerumschlags auf knapp 1,3 Millionen Einheiten, das ist ein Drittel weniger als im ersten Quartal des Vorjahrs, und eine Verringerung des Gewinns um etwa die Hälfte. Im Hafen insgesamt sank die Zahl der umgeschlagenen Container im ersten Quartal auf 1,9 Millionen Einheiten, das waren fast 500 000 weniger als ein Jahr zuvor.

Die nackten Statistiken aber sagen wenig darüber aus, wie es im Mikrokosmos Hafen in dieser Zeit tatsächlich zugeht. Wie leben und arbeiten die Menschen im und am Hafen mit der Krise? Wie sehen die wirtschaftlichen Perspektiven der Unternehmen aus? Mit welchen Ideen soll es wieder aufwärts gehen? Das Abendblatt war vor Ort - im Hafen, dem Herzen Hamburgs.

Krise? Die hat Stirling Baum jeden Tag, da muss die Weltwirtschaft nicht beben. Wenn man am Hamburger Hafen eine Barkasse betreibt, eine von den schönen alten, dann braucht man starke Nerven, dann knirscht und knackt es täglich, und das nicht nur im Maschinenraum. Auf der Brücke 4 an den Landungsbrücken sitzt Baum mit einigen Kollegen in einem kleinen Büro. Vier Betreiber mit insgesamt sechs Barkassen teilen sich die Stube als Anlaufzentrale. "Haaafenrundfahrt, groooße Haaafenrundfahrt" tönt es draußen über den Ponton. Es ist früher Vormittag, das Wetter prächtig, die Stimmung eher mittel. Bei den großen Unternehmen wie Rainer Abicht füllen sich die modernen Barkassen und die größeren Schiffe schon mit den ersten Fahrgästen, bei den kleinen Hafenschiffern läuft das Geschäft schleppend an. "Die Großen haben Vorverkaufsstellen, Kooperationen mit Musicalbetreibern oder Busunternehmen, die sind vernetzt und bauen ihre Position immer weiter aus", sagt Baum und zündet sich eine Zigarette an. "Wir müssen hier jeden einzelnen Fahrgast kobern. Für die kleinen Firmen wird es enger."

Baums Kapital ist die "Andrea G.", eine klassische Hamburger Hafenbarkasse, gebaut 1910. Eines jener legendären Hafentaxis, das jahrzehntelang Tausende Arbeiter auf die Terminals und Werften übersetzte und sie zum Feierabend wieder abholte.

Man sieht der "Andrea G." ihre Jahre an, aber sie verrichtet sicher und zuverlässig ihren Dienst, berichtet Baum. Deshalb ärgert es ihn sehr, dass er kürzlich gut 67 000 Euro investieren musste, um das Schiff für die neuen, strengen Sicherheitsbestimmungen im Hafen aufzurüsten. Hohes Sicherheitsglas auf dem Freideck am Heck gehört dazu und ein neues Automatikschott vor dem Innenraum. "Unsere wundervolle Teakholz-Tür mussten wir austauschen für diese Kühlschranktür", schimpft der ehemalige Seemann mit den Tätowierungen auf den Armen. All das soll aus Sicht der Behörden dazu beitragen, dass Schiffe wie die "Andrea G." ein wenig unsinkbarer werden.

Baum lässt den Diesel an, ein alter Lastwagenmotor mit 85 PS, der herrlich scheppert. Der Skipper dreht eine Runde um die Landungsbrücken, noch sind nicht genügend Passagiere für eine große Hafenrundfahrt zum Preis von zwölf Euro da. Spürt er die Wirtschaftskrise? "Bisher nicht", sagt Baum. "Wir hoffen auf einen guten Sommer. Es könnte ja sein, dass mehr Deutsche als sonst in diesem Jahr Urlaub in Deutschland machen - wegen der Krise. Davon könnten wir profitieren."

Hauptsache, die Bürokratie ist weit weg. Den Rest, sagt Baum, werde man schon meistern: "Als wir die ,Andrea G.' abnehmen lassen mussten, waren die mit acht Leuten hier, vier davon aus Brüssel, richtig hohe Tiere. Die wussten am Schluss selbst nicht mehr, was sie hier an Bord noch alles abnehmen sollten."

Klaus-Dieter Peters ist kein Mann der großen Worte, in guten Zeiten nicht und erst recht nicht in diesen schlechten. Aus den Backsteinmauern der Zentrale der HHLA in der Speicherstadt verbreitet der Konzernchef am Freitag eine dürre Mitteilung, die Zahlen des größten Hamburger Hafenlogistik-Unternehmens für das erste Quartal.

Das sind andere Zahlen als früher, als die HHLA wuchs mit den Bergen von Containern, die sich auf ihren drei Hamburger Terminals immer höher stapelten, Jahr für Jahr. Nun lichten sich die Reihen. Öfter als sonst sieht man an den Hafenkais freie Liegeplätze und stehende Containerbrücken. Selbst den Beschäftigten des erfolgsverwöhnten Hafenkonzerns droht Kurzarbeit. Wann die genau komme, stehe noch nicht fest, sagt Peters. Klar ist für ihn nur, dass in der Krise weiter gespart werden muss: "Wir werden den Personalaufwand mit Hilfe einer Qualifizierungsoffensive und mit Kurzarbeit merklich reduzieren", sagt er.

Das alles möchte er so wenig öffentlich verkünden wie möglich. Eine kurze Telefonkonferenz mit Analysten am Nachmittag, dann wieder interne Termine. Und ein Blick auf den Börsenticker: Bis zu sechseinhalb Prozent verliert die HHLA-Aktie.

Immerhin: Die HHLA schreibt nach wie vor Gewinn, 51 Millionen Euro waren es im ersten Quartal vor Steuern. "Wir haben ein respektables Ergebnis erzielt", sagt Peters.

Damit geht es dem Logistikkonzern noch weit besser als vielen anderen Unternehmen der maritimen Wirtschaft. Kaum eine Reederei bringt ihre Schiffe derzeit ohne Verluste übers Meer. Und fast jede Werft, vor allem die kleinen, fürchtet derzeit die Abbestellung von Schiffen wegen wachsender Überkapazitäten.

Die HHLA hingegen baut ihre Terminals weiter aus, um gerüstet zu sein für das Ende der Krise, für das kommende Wachstum der Weltwirtschaft. Der Analyst Ingo Schmidt von der Hamburger Sparkasse macht Peters und seinen Mitarbeitern Mut: "Langfristig hat der Hafen Perspektive. Häfen können nicht ersetzt werden." Wie etwa eine Autofabrik.

Mareike Bay geht schnellen Schrittes durch den Sand und setzt das volle Tablett auf einem Holzblock ab - Bier, Cocktails und eine Cola werden den wartenden Gästen serviert. Die Sonne neigt sich, das Licht wird wärmer, der Blick auf den Hafen und die Schwimmdocks von Blohm + Voss romantischer, jetzt, am frühen Abend. Der Beach-Club StrandPauli neben den Landungsbrücken boomt. Für Mareike ist es die zweite Saison am Hafenrand: "Ein großartiges Panorama", sagt sie, obwohl ihr nicht viel Zeit bleibt, das auch zu genießen. Das nächste Tablett wartet.

Geschäftsführer Felix Reyes nippt an einem Fruchtsaft. Die Krise kann er nirgends erkennen hier in der Freiluft-Bar im Robinson-Crusoe-Stil. Langbeinige Damen kuscheln sich in die starken Arme braun gebrannter Männer. In Liegestühlen, auf Sitzsäcken oder im Sand lässt man den Arbeitstag ausklingen. Um 18 Uhr.

"Wir hatten einen der besten Saisonauftakte seit unserer Eröffnung vor fünf Jahren", sagt Reyes, einer der Mitbegründer von StrandPauli. "Das lag am guten Wetter. Wir haben deshalb Ende April schon eine Woche früher geöffnet als sonst üblich." Demnächst wird ihm die Konkurrenz näherrücken, drei andere Strandklubs nahe den Fischmarkthallen in Neumühlen müssen dem Bau eines neuen Kreuzfahrtterminals weichen - sie ziehen direkt neben das StrandPauli. Reyes macht das keine Angst: "Wir haben uns hier fest etabliert", sagt er. "Unser Publikum ist uns treu." Krise hin oder her.

Lesen Sie am kommenden Sonnabend die zweite Folge der Reportage: Von Hafenschleppern, dem König der Löwen und Wohnen mit Blick auf die "Queen Mary".