Auf den Werften, in der HafenCity, beim “König der Löwen“ - der Güterumschlag im Hamburger Hafen ist gesunken. Doch viele Unternehmen arbeiten mit Erfolg gegen die Krise an. Eine Reportage.

Hamburg. Es scheint, als sei die Zeit hier in den 1960er-Jahren stehen geblieben. Die dunkelbraunen Holztäfelungen an den Wänden des Bürohauses, die Reihe der Schreibtische im altertümlichen Großraumbüro. Es wirkt wie eine Filmkulisse, auch die abgeblätterten Fassaden der Lagerschuppen draußen auf dem Hof. Tatsächlich hat die Filmbranche schon ein Auge auf das Gelände der Norderwerft am Reiherstieg geworfen: "Hier wurden mal Szenen für den Spielfilm ,Sturmflut' über das Hamburger Hochwasser von 1962 gedreht", sagt Betriebsleiter Jochen Prötzig.

Nach wie vor allerdings verdient die 1906 gegründete Werft ihr Geld mit Schiffen, seit Mitte der 1980er-Jahre als reine Reparaturwerft. Die Sietas-Werft in Neuenfelde hatte die Norderwerft Anfang der 1970er-Jahre übernommen und sie damals vor dem Untergang gerettet. Jetzt kämpft Sietas selbst mit aller Kraft gegen den Auftragseinbruch bei den Neubauten an.

Die Norderwerft hingegen, die 86 feste Mitarbeiter beschäftigt, kommt bislang zurecht. "Dieses Jahr entwickelt sich in den ersten Monaten etwa so wie das Jahr 2006", sagt Jochen Prötzig auf einem der drei Schwimmdocks. "2006 hatten wir insgesamt 141 Schiffe in unseren Docks. Im vergangenen Jahr waren es 161."

In der Krise wird es für die Werft schwieriger, die Arbeit zu planen: "Die Charterzeiten für die Reedereien sind sehr kurz geworden, zum Teil nur sechs Wochen. Sehr kurzfristig bekommen wir dann die Reparaturaufträge für die Schiffe", sagt Prötzig.

Auf seltsame Weise profitiert die Norderwerft aber auch von der Krise. "Auflieger" nennt man die Schiffe, die mangels Aufträgen in den Häfen oder auf der Reede davor festgemacht werden. Allein in Hamburg liegen derzeit mehr als 20 vor allem kleinere Frachter auf. "Wir versorgen die Schiffe mit Anschlüssen für Landstrom, damit die Bordelektronik während der Liegezeiten nicht aus den Schiffsmaschinen gespeist werden muss", sagt Prötzig. Bis nach China hat er seine Teams dafür geschickt.

Auf dem Schwimmdock liegt die "Beluga Enterprise", ein Mehrzweckfrachter. In zwei Stunden soll sie nach der Überholung wieder ausgedockt werden. Das nächste Schiff, ein Schwergutfrachter, kommt direkt danach auf die Werft. Manchmal in diesen Monaten, sagt Prötzig, seien die Arbeitstage für seine Leute wegen der rückläufigen Aufträge etwas entspannter. Aber heute ausgerechnet nicht.

Herbert Aly ist wahrlich kein Gesundbeter. Mit seiner Analyse des Schiffsmarktes hat der Chef der Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss viele in der Branche verärgert. Weil ihm die Entwicklung des Marktes aber recht gibt, wiederholt er seine These an diesem Morgen gleich noch einmal: "Überall dort, wo es im Schiffbau lediglich um Preisdifferenzierungen geht, räume ich den europäischen Werften keine Chancen ein", sagt er. "Der Einbruch beim Bau von Handelsschiffen, den die deutschen Werften jetzt erleiden, ist unwiderruflich." Die asiatischen Werften würden ihre Marktposition in den kommenden Jahren weiter ausbauen.

Handelsschiffe baut Blohm + Voss schon lange nicht mehr. Die Werft, die zum Konzern ThyssenKrupp gehört, hat sich auf den Umbau und die Reparatur von Schiffen spezialisiert, auf den Neubau von Marineschiffen und Luxusyachten sowie auf den Maschinenbau, der unter Blohm + Voss Industries firmiert. "Bei Blohm + Voss Repair und bei Industries arbeiten wir am Anschlag", sagt Aly. "Im Neubau wird es eine Delle geben. Es kann in einzelnen Gewerken zu Kurzarbeit kommen. Aber insgesamt ist die Beschäftigungslage sehr gut." Rund 1700 Menschen arbeiten derzeit für Blohm +Voss.

Gemeinsam mit Frank Horch steht Aly auf dem Dach der Hauptverwaltung und erklärt die Abläufe auf der Werft. Horch gehört zur Geschäftsführung von Blohm + Voss. Als Präses der Handelskammer vertritt er zugleich die Interessen der gesamten Hamburger Wirtschaft. "Der Hamburger Hafen und die Metropolregion insgesamt stehen in Europa einzigartig da", sagt er. "Wo findet man eine so differenzierte Hochtechnologieindustrie um einen Welthafen herum?"

Die Gegenwart und die Zukunft von Blohm + Voss sind in den Docks zu besichtigen. Ein kleineres Kreuzfahrtschiff liegt dort zur Überholung und ein Versorgungsschiff für die Offshore-Industrie, die Öl- und Gasförderung auf See. Beide Zweige der Schifffahrt boomen. "Wir hier bei Blohm + Voss sind gut und krisenfest aufgestellt, unser Geschäftsmodell steht auch in dieser Zeit nicht in Frage", sagt Aly. Topqualität und hohe Termintreue seien entscheidend, um gegen den wachsenden Druck der asiatischen Werften zu bestehen.

Das allerdings klappt langfristig nur mit gut qualifizierten Mitarbeitern, nicht nur bei Blohm + Voss: "Wir müssen wirtschaftspolitisch alle Instrumente nutzen, die uns zur Verfügung stehen, um den Arbeitsmarkt zu entlasten, vor allem Kurzarbeit und Qualifikation", sagt Frank Horch. "Der Zustand des Arbeitsmarktes entscheidet, wie schnell wir aus der Krise als Wirtschaftsstandort insgesamt herauskommen." Das werde gar nicht so lange dauern: "Ich glaube, dass wir am Ende des Jahres die erste Erholung an den Märkten sehen werden."

Wer mag hier wohl wohnen - wenn er mal da ist? Die dreistöckige Designerwohnung in einer der oberen Etagen des Hauses am Dalmannkai wirkt unbehaust. Teure Möbel, schickes Dekor, ein Buch in Übergröße mit Fotos von Helmut Newton. Von der Dachterrasse geht der Blick auf die Baustelle der Elbphilharmonie, vor dem Wohnzimmerfenster glänzt die Elbe in der Sonne. Philip Bonhoeffer, Geschäftsführender Gesellschafter bei der Hamburger Immobilienvermittlung Engel & Völkers, soll das Objekt neu verkaufen.

Rund eine Million Euro dürfte es vor rund zwei Jahren gekostet haben - der nächste Eigentümer wird da einiges drauflegen müssen. "Wir sind bis heute selbst vom starken Anstieg der Nachfrage überrascht und davon, wie sich die Preise für Eigentums- und Mietwohnungen hier entwickeln", sagt Bonhoeffer beim Blick auf all die Baustellen und Neubauten draußen.

Wirtschaftskrise? Jedenfalls nicht am Immobilienmarkt in Europas größtem städtischen Bauprojekt, der HafenCity zwischen Elbbrücken und Landungsbrücken. Dabei hatte die schwere Krise der Weltwirtschaft mit Immobilien begonnen, mit dem Zusammenbruch wichtiger Banken und Hypothekenfinanzierer in den USA. Auch in etlichen anderen Staaten platzten danach die "Immobilienblasen". In Hamburg allerdings platzte nichts, schon gar nicht im nagelneuen Stadtviertel am Hafen. Ganz im Gegenteil, die weltweite Krise bringt den vor Ort tätigen Maklerunternehmen wie Engel & Völkers neue Kunden: "Vielen Investoren geht es beim Kauf einer Eigentumswohnung hier mittlerweile darum, ein sicheres Investment einzugehen", sagt Bonhoeffer. Im jüngsten Prestigeobjekt Marco Polo Tower am Kreuzfahrtterminal, das noch im Bau ist, werden angeblich bis zu 12 000 Euro je Quadratmeter geboten - dort allerdings auch mit "unverbaubarem" Blick auf die Elbe und die Hafenanlagen gegenüber. In der HafenCity, sagt Bonhoeffer, komme vieles zusammen, was Hamburg ausmacht. Und die Krise bleibt schön draußen.

Die Decks der gelben Fähren stehen voller Menschen, die das Abendlicht genießen. Zwei Schiffe je Vorstellung pendeln für "König der Löwen" mehrfach von und zu den Landungsbrücken. "Eine schönere Anfahrt zu einem Musical wird man in Deutschland wohl nicht finden", sagt Stephan Jaekel, Marketingchef für das Stück beim Musicalkonzern Stage Entertainment. Seit Dezember 2001 läuft im Musicalzelt im Hafen das große Afrikaopus von Disney. Ende Mai erwartet Stage Entertainment den sechsmillionsten Besucher. "Wir sind ausgebucht, rund 2000 Plätze je Aufführung, achtmal die Woche", sagt Jaekel. Stage Entertainment führt in Deutschland eine Reihe von Musicals auf. Es gebe hier und da durchaus rückläufige Kartenverkäufe "im einstelligen Prozentbereich", sagt Jaekel. Beim "König der Löwen" aber seien die Buchungen konstant. "Hamburg ist die Musicalhauptstadt in Deutschland, die Attraktivität der Stadt und der Stücke verstärken sich gegenseitig." Rund 1,8 Millionen Übernachtungen jährlich gingen in Hamburg auf das Konto der drei Stage-Musicals "König der Löwen", "Tarzan" und "Ich war noch niemals in New York".

"Solange die Menschen ihre Arbeit nicht verlieren, gönnen sie sich immer noch den Luxus, 80 bis 120 Euro für eine Karte im Musical auszugeben", sagt Jaekel. "Wir werden ,König der Löwen' hier im Hafen sicher noch einige Jahre lang spielen."

Lesen Sie am kommenden Sonnabend den dritten Teil der Reportage: auf dem Schlepper Bugsier 5, dem Fischmarkt, dem Burchardkai und auf dem Kiez.