Trotz Isabella und Lloyd: Vor 50 Jahren meldete Borgwars, einer der erfolgreichsten Automobilhersteller der Nachkriegszeit, Konkurs an.

Oldtimerfans geraten immer noch wehmütig ins Schwärmen, wenn die Namen Isabella oder Arabella fallen. Die Borgwards sowie die dazugehörigen Autos der Marken Lloyd und Goliath standen im Nachkriegsdeutschland in der Gunst der Käufer hinter Volkswagen und Opel an dritter Stelle, noch vor Ford und Daimler-Benz. Im September 1961, mitten im Wirtschaftswunder, meldete der Bremer Autohersteller Konkurs an. Das aufsehenerregende Ende markiert einen der spektakulärsten Vorfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte: 20.000 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz.

Die Wurzeln des genialen Konstrukteurs Carl Friedrich Wilhelm Borgward liegen in Hamburg. Am 10. November 1890 erblickt er in Altona das Licht der Welt, er stammt nicht aus einer reichen Familie, sondern arbeitet sich "mit eiserner Disziplin" nach oben. Er ist das jüngste von 13 Kindern, der Vater muss die Großfamilie als Kohlenhändler durchbringen. Nachdem Borgward zum ersten Mal ein Auto gesehen hat, kann er die ganze Nacht nicht schlafen. In den Fächern Mathematik und Physik ist der Schüler überdurchschnittlich begabt, als Zehnjähriger bastelt er aus einem alten Uhrwerk, einem Zahnradgetriebe und einer Zigarrenkiste ein selbstfahrendes Auto. Auf "Materialsuche" durchstöbert er die Trödlerläden Altonas, dafür nimmt er Entbehrungen, Schelte und selbst Schläge in Kauf. Seine Mutter stellt fest: "Carl ist ein Tüftler."

1906 verlässt er die Oberrealschule in Altona, macht an der Alster eine Lehre als Schlosser und studiert schließlich an der Höheren Maschinenbauschule in St. Georg. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wird Borgward eingezogen und 1915 an der Westfront schwer verletzt. Er nutzt die Zeit der Genesung und heuert schließlich bei einem Bremer Stahlunternehmen an.

Schon in den 20er-Jahren baut er in einem eigenen 20-Mann-Betrieb an der Weser erste eigene Fahrzeuge. Mit dem dreirädrigen "Blitzkarren", der Weiterentwicklung eines Motorrads plus Ladefläche, können bis zu fünf Zentner Last transportiert werden. Damit hat Borgward in wirtschaftlich schwierigen Zeiten in eine Marktlücke gestoßen. Milch- und Gemüsehändler, Landwirte und Kleingewerbler jeglicher Couleur kaufen den von lediglich 2,2 Pferdestärken angetriebenen Wagen. Der "Blitzkarren" wird für Borgward zum Goldesel.

Gemeinsam mit seinem Kompagnon Wilhelm Tecklenborg gründet er 1928 die Goliath-Werke Borgward & Co., übernimmt 1929 die Aktienmehrheit der krisengeschüttelten Hansa-Lloyd Werke AG und verschmelzt die beiden 1931 zur "Hansa-Lloyd und Goliath-Werke Borgward & Tecklenborg". Sie produzieren einen verbesserten "Blitzkarren", der zum meistgekauften Personen-Kfz in Deutschland wird. Daneben stellt Borgward auch Hansa-Pkw, große Limousinen und Lastwagen her. Tecklenborg wird das zu viel, er möchte die Firma lieber konsolidieren. Doch Borgward will expandieren. Deshalb scheidet der Teilhaber 1937 mit einer Abfindung von stolzen 4,4 Millionen Reichsmark aus dem Geschäft aus.

Im Zweiten Weltkrieg stellen Borgwards Werke Fahrzeuge für die Wehrmacht her, zwei Drittel der Belegschaft sind Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Nach 1945 wird er von den Amerikanern als "Wehrwirtschaftsführer" der Nationalsozialisten neun Monate lang interniert. Seine "Entnazifizierung" endet 1948 mit der Einstufung als "Mitläufer". So kann Borgward bereits im März 1949 auf dem Genfer Auto-Salon den neukonstruierten Hansa 1500 vorstellen, das erste deutsche Auto mit Karosserie nach amerikanischem Vorbild. Dabei sind die Räder in das Blechkleid integriert und die Kotflügel nicht angesetzt.

1950 folgt Borgwards nächster Coup: Mit dem Lloyd LP 300 präsentiert er einen neuen Kleinwagen. In der jungen Bundesrepublik sind kleine, erschwingliche Autos gefragt. Der Lloyd verfügt über einen Zweitaktmotor mit zehn PS zum Preis von 3334 Mark. Ein Ersatzmotor kostet gerade mal 98 Mark. Zum Vergleich: Für einen VW-Käfer musste man damals 5050 Mark bezahlen. Das aus mit Kunstleder überzogenem Sperrholz bestehende Vehikel wird zum Verkaufsschlager.

Mehr als 300 000 Lloyds werden in den 50er-Jahren verkauft - sie tragen maßgeblich zur deutschen Volksmotorisierung bei. Das beste Verkaufsjahr bringt Borgward 16 Millionen Mark Reingewinn.

Dafür, woher der Spitzname "Leukoplastbomber" stammt, gibt es mehrere mögliche Erklärungen: Manche sagen, der Lloyd sehe mit seiner beigen Farbe "verpflastert" aus, andere sehen den Ursprung des Namens in der Tatsache, dass viele Fahrer leichte Schäden in der Außenhaut mit Pflasterstreifen reparieren. Allerdings sind die Insassen bei Unfällen in der wackligen Sperrholzschachtel kaum geschützt, der Volksmund erfindet den wenig schmeichelhaften Slogan "Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd".

Bekanntestes Modell in Borgwards Fahrzeugimperium aber ist die 1954 vorgestellte Isabella, mit reichlich Chrom und eleganter Linienführung, als Vorbild dienen amerikanische Straßenkreuzer. Die ab 1957 in Großserie produzierte Coupé-Version zählt zu den schönsten Autos der 50er-Jahre. Sein umfangreiches Sortiment vom holz- und kunststoffverleimten Kleinwagen über die Mittelklasse bis zur repräsentativen Pullman-Chauffeur-Limousine bietet für jede Käuferschicht das passende Automobil. Eine rationelle Massenfertigung ist mit dieser Produktvielfalt unmöglich. Borgward ist dennoch Deutschlands kreativster Autobauer: Als Erster bringt er Innovationen wie Motoren mit Benzineinspritzung, automatische Getriebe, elektrische Fensterheber oder eine Luftfederung auf den Markt.

Doch dieser vermeintliche Vorteil wird auch zu Borgwards größtem Manko. Der Patriarch und mexikanische Honorarkonsul liebt das Experimentieren, was zeitweise zu einer chaotischen Typen- und Modellvielfalt führt. 15 unterschiedliche Karossen sind im Angebot, die Konkurrenz von Volkswagen und Opel hat höchstens fünf. Zudem verzettelt sich Borgward in zu viele parallele Projekte.

Ende der 50er-Jahre hat Borgward neun Prozent am westdeutschen Pkw-Bestand. Die solide Grundlage wird durch ein gut florierendes Lastwagengeschäft gestärkt. Obwohl Borgward den Anteil der Lkw-Produktion am Gesamtumsatz mit den Jahren von 50 auf 25 Prozent herabgedrückt hat, bringt die Lkw-Herstellung gute Einnahmen. Aber das Geld, das die Lastwagen und Borgwards Starmodelle - der kleine Lloyd, die Isabella und das unsterbliche Dreirad - hereinholen, versickert in vielen Experimenten.

Borgward investiert ständig aufs Neue, sein Credo lautet: "Geld gebe ich stets fünf Minuten, bevor ich es habe, wieder aus." So steckt er Millionen in die Entwicklung von prestigeträchtigen Produkten wie Hubschraubern und Rennwagen. Die neu gegründete Bundeswehr zeigt an seinen Hubschrauberprototypen vom Typ "Kolibri" jedoch kein Interesse, auch die Erfolge des werkseigenen Rennsportteams sind mäßig. Mahnungen seines Finanzdirektors Otto Carstens wegen zunehmender Liquiditätsschwierigkeiten schlägt er in den Wind: "Sie sind ja doof, ich weiß schon, wo mein Geld geblieben ist." Und noch im Dezember 1960 erklärt er in einem Beitrag des "Spiegels": "Das ist ja das Gute in meinem Fall: Keiner kann mir dazwischenquatschen."

Reklamationen lädieren zusätzlich den Ruf und lassen die Verkaufszahlen so stark sinken, dass eine kostendeckende Produktion unmöglich ist; allein der Rückruf der Arabella bringt pro ausgeliefertem Auto 1000 Mark Zusatzkosten. Viele Käufer fühlen sich als Ersatz-Versuchsabteilung verschaukelt, normalerweise sollten Probleme mit Wassereinbrüchen im Innenraum und lauten Getrieben noch vor Auslieferung der Serie im Werk ausgemerzt werden. Bezeichnungen wie "Gauner im Frack", "Aquabella" und "Sie tanzt nur einen Sommer" sind die Quittung. Im Laufe des Jahres 1960 sinkt der Absatz in der Bundesrepublik und im Ausland immer weiter, zum Jahresende stehen 14 000 Borgwards auf Halde. Der Exportrückgang schmerzt besonders, denn die Bremer verkaufen 63,6 Prozent der Produktion außer Landes.

Nach 1959, dem erfolgreichsten Jahr der Unternehmensgeschichte, kann Borgward selber kaum glauben, dass seine Werke mit 21 800 Mitarbeitern in Schieflage geraten sind. Doch die Finanzdecke ist knapp. Die Zeiten der Rohstoffbewirtschaftung, als nach dem Krieg drei Betriebe vorteilhaft waren und mehr Grundkontingente als eines zugeteilt bekamen, sind lange vorbei. Trotzdem leistet sich Borgward immer noch drei Einzelfirmen mit dreifacher Einkaufs-, Finanz- und Versuchsabteilung, auch der Verkauf, die Werbung und der Kundendienst arbeiten separat und sind nicht zentral zusammengefasst. Bei einem Jahresumsatz von 650 Millionen Mark hat Borgward ein Gesamtkapital von nur 15 Millionen Mark, dafür aber ständig anstehende Lieferantenkredite in Höhe von 130 Millionen Mark. Für eine Umstrukturierung und Sanierung ist es nun fast zu spät. Ein 50-Millionen-Mark-Kredit vom Dezember 1960, für den das Land Bremen bürgt, soll die Krise entschärfen.

Im Januar 1961 will der Bremer Senat eine letzte Kreditrate von zehn Millionen Mark nur unter der Bedingung freigeben, dass Carl F. W. Borgward aus seinem Unternehmen ausscheidet und die Werke dem Land Bremen übereignet. Mit undiplomatischem Auftreten, das als arrogant und überheblich interpretiert wird, hat er Landespolitiker vor den Kopf gestoßen. Auf einer Pressekonferenz gibt Wirtschaftssenator Karl Eggers bekannt, dass Borgward zahlungsunfähig ist. Borgward selbst erfährt das aus der "Tagesschau".

Mit der Ankündigung der Zahlungsunfähigkeit richtet Eggers unabsehbaren Schaden an; denn Lieferanten beharren nun auf Barzahlung oder sofortigem Ausgleich ihrer Forderungen, verunsicherte Autokäufer verzichten auf die Anschaffung eines neuen Borgward. Eine neu gegründete Auffanggesellschaft unter Leitung des Wirtschaftsprüfers Johannes Semler soll die Borgward-Gruppe sanieren. Semler hatte zuvor Henschel und BMW retten können. Der Münchner Wirtschaftsprüfer nimmt zur selben Zeit als Aufsichtsratsvorsitzender von BMW Sanierungsaufgaben bei der Konkurrenz wahr, deshalb wird die Neutralität des CSU-Mitglieds im Nachhinein angezweifelt und eine "Dolchstoßlegende" gestrickt. Dafür könnte sprechen, dass der Konkursverwalter schon im August 1961 den Aufsichtsrat der neuen Borgward AG nach nur acht Monaten verlassen hatte - mit der stattlichen Summe von 650 000 Mark.

Die Verkaufs- beziehungsweise Sanierungsbemühungen enden vor 50 Jahren mit dem Konkurs der gesamten Borgward-Gruppe. Kaufinteressenten haben die Zerschlagung des Konzerns abgewartet, um günstiger zugreifen zu können. Siemens übernimmt für 29,8 Millionen Mark das Werk in Bremen, das Werk in Sebaldsbrück wird von der Hanomag aufgekauft. Das Lkw-Werk in Osterholz-Scharmbeck geht 1962 an die Büssing AG. 1964 kaufen Investoren die Borgward-Rechte und produzieren noch bis 1970 in Mexiko.

Erst 1966 wird bekannt, dass Borgward gar nicht pleite war. Jeder Gläubiger konnte ausgezahlt und alle Kredite konnten getilgt werden. Bis heute wird Borgwards Konkursreife im Jahr 1961 bezweifelt. Carl Borgward verkraftet den Verlust seines Lebenswerks nicht, er stirbt am 28. Juli 1963 an Herzversagen. Der Hamburger war einer der letzten großen Autopioniere.

Jetzt will Borgwards Enkel Christian die legendäre Automarke des Opas wieder neu beleben. Vor drei Jahren gründete er gemeinsam mit einem Partner im schweizerischen Luzern die Borgward AG, um Luxuswagen in großer Serie herzustellen. Die Markenrechte an den Autos hat er erworben, Marketingkonzepte und Vertriebspläne sind angeblich vorhanden. Nur potenzielle Investoren geben sich bisher zögerlich, denn mindestens eine Milliarde Euro ist notwendig. Ob Borgward junior seine Autos irgendwann bauen kann und der Name des Wirtschaftswunders wiederaufersteht? Fraglich ...