Benjamin Lüders arbeitet auf dem HHLA-Terminal Tollerort. Er sorgt dafür, dass die Container aus der Ferne an den richtigen Stellplatz kommen.

Hamburg. Es rumpelt in der Kanzel der Containerbrücke. Der Ausleger wippt nur leicht und dennoch bedrohlich. Denn der stählerne Arm ragt von der Kaikante 61 Meter weit über die Elbe, und wir hängen daran. Benjamin Lüders bedient den Greifmechanismus und stellt den Container auf das Deck der "Hanjin Germany" weit unter dem gläsernen Fußboden seines Arbeitplatzes. 54 Meter über dem Kai und mehr als 40 Meter über dem Schiffsdeck verrichtet der Brückenfahrer sein Werk.

Die ersten zwei Stunden seiner Schicht sind um, es folgt eine Stunde Pause. Lüders, 34, steigt aus dem Sessel, der von Armaturen und Anzeigen umgeben ist. Der Spezialsitz könnte auch in einem Flugzeug stehen. Lüders blickt aus dem Fenster. Hier ist sein Logenplatz. Gegenüber dem HHLA -Containerterminal Tollerort (CTT) liegt die Werft Blohm + Voss, dahinter die Hafenkante, der Michel, der Fernsehturm. Wohl kaum ein großes Terminal irgendwo auf der Welt ist dem Zentrum einer Metropole so nah. Wer aus der Kanzel der Containerbrücke schaut, der sieht, dass Hamburg und sein Hafen eins sind.

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Mit dem Aufzug fährt Lüders nach unten. Die Fahrbereitschaft bringt ihn von der Kaikante in die Kantine. Um sieben Uhr morgens hat seine Schicht begonnen, um 15 Uhr ist Feierabend. Dazwischen liegen drei Blöcke zu je zwei Stunden und zwei Pausen. Sicherheit ist auf dem Terminal oberstes Gebot. Die Wechsel und Unterbrechungen sollen die Konzentrationsfähigkeit der Brückenfahrer fördern. "Ich würde auch längere Schichten machen", sagt Lüders, "aber das erlauben die Richtlinien nicht." Das Terminal allerdings arbeitet mit drei Schichten rund um die Uhr sieben Tage in der Woche. Der Welthandel muss in Schwung bleiben.

Trotz seines jungen Alters ist Lüders ein Veteran. Mit 16 fing er im Hafen an, arbeitete als Decksmann, Ewerführer und Lascher. Sein Händedruck verrät noch heute, dass er harte körperliche Arbeit kennt. "Kästen, Kisten, Fässer, Säcke - habe ich alles verladen", sagt er. Den Hafen allerdings, in dem Lüders einst begonnen hat, gibt es heute nicht mehr. Der Umschlag von Stückgut, der langsam und kompliziert war, ist den Stahlboxen gewichen, den hochbeinigen Vancarriern, den Containerbrücken. Mit einem Druck am Steuerhebel hebt Lüders so viel Ladung, wie früher ein Hafenarbeiter während eines Tages bewegte. "Damals lagen wir mit den Schuten eine Woche vor einem Stückgutfrachter. Heutzutage werden wesentlich größere Containerschiffe innerhalb von zwei Tagen abgefertigt", sagt er. Mehrere Tausend Boxen mit Zehntausenden Tonnen Ladung gehen in dieser kurzen Zeit von und an Bord. Ohne den Container, ohne die hoch technisierten Terminals wäre die moderne Globalisierung nicht möglich.

Eines aber hat sich in diesen Jahrzehnten nicht geändert. Hamburg hängt an der Konjunktur des weltweiten Güteraustauschs. Wenn der Welthandel schrumpft, leidet der Hafen unmittelbar, so wie zuletzt während der Weltwirtschafts- und Finanzmarktkrise 2008 und 2009. Das Tollerort, das kleinste der drei HHLA-Containerterminals in der Stadt, bekam den Abschwung besonders hart zu spüren.

Der achte Stock des neuen Verwaltungsgebäudes ist noch im Rohbau. Während der Krise wurde der Endausbau gestoppt. Zeitweise erwog die HHLA, das Terminal vorübergehend stillzulegen. Die Pläne wurden wieder verworfen. So schnell, wie die Ladung zuvor von den Terminals verschwunden war, standen die Anlagen mit dem Aufschwung der Weltwirtschaft wieder voll. Das Ringen um die knappen Stellplätze begann aufs Neue.

Thomas Koch, 56, der Leiter des Tollerorts, blickt von der Dachterrasse auf das Terminal. Vor der Abfertigung stehen beladene und leere Lastwagen, die Container bringen oder abholen. Die Schienen des Terminalbahnhofs bilden eine Kurve - nur so konnte der nötige Schienenstrang in den beengten Verhältnissen der Halbinsel seinerzeit verlegt werden. In gleichmütiger Präzision bewegen sich Lastwagen, Vancarrier und Züge und halten den endlosen Strom der Stahlboxen in Gang. "Das Terminal wird weiterhin eigenständig operieren. Wir sehen für die Anlage sehr gute Perspektiven", sagt Koch.

Seit zwölf Jahren arbeitet er für die HHLA, seit 2009 ist seine Kompetenz am Tollerort gefragt. Denn Koch weiß, wie man ein Terminal entwickelt. Seine erste Aufgabe bei der HHLA war die Planung und der Aufbau des besonders stark automatisierten Terminals Altenwerder, das bis heute als modernste Containeranlage der Welt gilt. Eine Kopie von Altenwerder auf dem Tollerort ist wegen der geografischen Verhältnisse allerdings nicht machbar. "Das Blocklagerkonzept von Altenwerder kommt auf der schmalen Halbinsel im vorderen Teil des CTT aus Platzgründen nicht infrage", sagt Koch. "Bei der Erweiterung wären Blocklager aber wohl möglich." Diese Anordnung der Containerlager und die Ausstattung mit Portalkränen ermöglichen einen besonders hohen Durchsatz der Stahlboxen.

Fläche ist das Gold der Terminalbetreiber. Auch für das Tollerort hat die HHLA vorgesorgt. Vor einigen Jahren kaufte Hamburgs größtes Hafenunternehmen das benachbarte Ross-Terminal. "Mit der Fläche des Ross-Terminals kann die Kapazität des CTT künftig verdoppelt werden", sagt Koch. "Dort können weitere Flächen und noch zwei weitere Liegeplätze für Großschiffe hinzukommen. Auf lange Sicht ist die Gesamtkapazität der bestehenden Anlage aber durch die Lagerfläche begrenzt."

Bis zum Jahr 2025, so kalkulieren die Hafenwirtschaft und die städtische Politik, könnte der Containerumschlag in Hamburg auf bis zu 25 Millionen Boxen jährlich steigen - im Wesentlichen auf den bestehenden vier Großterminals der HHLA und von Eurogate. Eine gewaltige Aufgabe: 2011 erreicht der Umschlag in Hamburg voraussichtlich zwischen acht und neun Millionen Boxen. Die Hafenunternehmen wollen bald wieder an die bisherige Spitze von zehn Millionen Containern anknüpfen, die Hamburg 2007 erreicht hatte.

Gute Planung auf den Terminals und leistungsfähige Wasserwege, Straßen und Schienen sind dafür nötig. Der Druck des Güterumschlags kommt ganz von allein. "Die Zeitfenster in den Häfen und an den Terminals werden immer kleiner. Für uns steigt dadurch der Termindruck", sagt der Umschlagplaner Reinhard Baras, 48. "Die Reedereien lassen ihre Schiffe langsamer fahren, um Brennstoff zu sparen. In den Häfen versuchen sie, Zeit wieder aufzuholen."

Backbord an der "Hanjin Germany" arbeiten vier Containerbrücken, um die letzten Kisten an Deck zu bringen. In einigen Stunden soll das Schiff wieder auslaufen. Auch Benjamin Lüders ist noch mit dem Frachter beschäftigt. Den zweiten Teil seiner Schicht absolviert er in der Brückenaufsicht. Die Arbeit muss weiterlaufen, präzise und routiniert, Container für Container. Denn der Welthandel ruht nicht.