In unserer Serie stellen wir die letzten Handwerker ihres Gewerks vor. Heute: Helmut Wiederhold ist St. Georgs einziger Glasbläser.

Hamburg. Das Glas glüht wie ein Feuerball. Unaufhörlich dreht Helmut Wiederhold die schmale Röhre zwischen seinen Fingern, während aus dem Brenner auf seinem Arbeitstisch eine mehr als 1000 Grad heiße Flamme faucht. Behutsam führt Wiederhold die Röhre zum Mund und bläst die zähflüssige Masse auf wie einen Ballon. Das Weinglas, das er formen möchte, nimmt langsam Gestalt an.

"Alle meine Gläser sind Unikate, sie sehen immer ein wenig unterschiedlich aus", sagt der 67 Jahre alte Mann mit den freundlichen Augen und dem grauen Backenbart. Wiederhold übt ein Handwerk aus, das nur noch ganz wenige in Hamburg beherrschen. "Außer mir gibt es nur noch einige wenige Glasbläser in der Hansestadt, die vor allem Reagenzgläser und Kolben für Labore herstellen."

Wiederhold hat sich hingegen auf Gebrauchskunst aus Glas spezialisiert. In seinem engen, verwinkelten Atelier in St. Georg drängen sich Rotweinkelche, Karaffen und Weißweingläser auf den Regalen. Einige sind ganz schlicht gehalten, andere mit einem blauen oder roten Rand und farbenfrohen Punkten versehen.

Die Glasbläserei braucht vor allem Fingerspitzengefühl und ein gutes Auge. Bevor Wiederhold mit seiner Arbeit beginnt, setzt er stets eine Spezialbrille auf seine Nase. Diese dient weniger zum Schutz vor Hitze, sondern filtert vor allem die orangefarbenen Anteile aus dem Feuer heraus. "Damit kann ich viel tiefer in die Flamme hineinblicken und genau erkennen, wie sich das Glas verformt", sagt Wiederhold.

Sein Handwerk hat der Glasbläser in seiner hessischen Heimatstadt Fulda gelernt. "Ich wollte eigentlich Koch werden", erinnert sich der 67-Jährige. Doch seine Eltern schickten ihn zu einem sogenannten Thermometerbläser in die Lehre. "Das war in einem extrem heißen Sommer, ich habe mich am Anfang fast zu Tode geschwitzt", sagt Wiederhold.

Thermometerbläser arbeiten im Gegensatz zu den traditionellen Glasbläsern mit bereits vorgefertigten Glasröhren, die sie mit einem Gasbrenner auf bis zu 1400 Grad erhitzen. Dieses sogenannte Glasblasen vor der Lampe geht auf ältere Techniken mit einer Öllampe und einem Blasebalg zurück. Schon im 17. Jahrhundert hatten Italiener diese Technik zur Meisterschaft entwickelt und konnten kleine Figuren, Perlen und andere dekorative Objekte aus dem erhitzten Material formen.

Mit Kunst hatte das Handwerk von Helmut Wiederhold anfangs allerdings wenig zu tun. Neben Thermometern stellte er zunächst technische Geräte aus Glas her, später formte er Neonröhren für Leuchtreklamen. Dazu zählte etwa das Logo des Autobauers BMW, das lange Jahre über dem Konzernsitz in München leuchtete.

Bis in die USA brachte Wiederhold seine Arbeit, bevor er Ende der 70er-Jahre einen tschechischen Glaskünstler kennenlernte und mit ihm zusammen nach Hamburg zog. Einige Jahre später gründete er zusammen mit drei Freunden die Firma Cactus Glas und spezialisierte sich ganz auf Gebrauchsgegenstände aus dem durchsichtigen, zerbrechlichen Material.

Doch in Zeiten, in denen industriell gefertigte Gläser schon für einige wenige Euro in Einrichtungshäusern, Baumärkten oder sogar bei Discountern zu bekommen sind, wird es für den Handwerker immer schwieriger, sich gegen die Konkurrenz zu behaupten. Wegen des hohen Aufwands kosten seine handgefertigten Gläser zwischen 20 und 49 Euro. "Bei solchen Preisen kann ich natürlich nicht mit Ikea und Co. konkurrieren", sagt der Glasbläser, der als Einziger der vier Freunde das Geschäft heute noch weiterführt. "Dafür bekommen die Kunden bei mir aber einzigartige Stücke."

Wie zum Beweis nimmt Wiederhold zwei Rotweinkelche aus dem Regal und schlägt sie gegeneinander. Ein tiefer, lang anhaltender Ton breitet sich in seinem Atelier aus. Leben muss der Rentner mittlerweile nicht mehr von seiner Arbeit. "Ich mache weiter, solange es mir noch Spaß macht", sagt er. "Und solange ich noch das nötige Gefühl in den Fingerspitzen besitze."