Handwerksberufe, die vom Aussterben bedroht sind. Heute: die Hamburger Weberin Ulrike Isensee mit ihrem Laden in der Bernstorffstraße.

Hamburg. Bernstorffstraße, ein Kiez zwischen Schanze und St. Pauli: Ein Laden bietet maßgeschneiderte Unterwäsche an, ein anderer organisiert Häkelkurse. Seit 1983 hat Ulrike Isensee ihre Werkstatt in dem Viertel. Irgendwie passt sie auch in das Gemisch von Wohnen, Gewerbe und preisgünstigen Herbergen für Rucksacktouristen. Vier Webstühle stehen in ihrem Atelier, dazu Tausende Spulen mit Fäden in allen Farben. Hauptsache bunt. Schals in zahlreichen Farbkompositionen sind in der Auslage zu sehen.

Ulrike Isensee gehört zu den letzten ihrer Zunft. Während es im Mittelalter in nahezu jeder Kommune Handwerker gab, die aus Garn Stoffe herstellten, existieren heute in Hamburg noch nicht einmal mehr eine Handvoll Weber. Erst grub die Industrialisierung mit den mechanischen Webstühlen im 19. Jahrhundert den Tuchmachern das Wasser ab, danach die Billigkonkurrenz aus Asien. Die erste Phase des Niedergangs hat Gerhart Hauptmann in seinem Roman "Die Weber" beschrieben.

Die Handweberin und ihre Kollegen haben sich in einer Nische eingerichtet. Keine Massenproduktion, sondern individuell und aufwendig erstellt. "Die Stücke sind Unikate", sagt die Handwerkerin mit Meistertitel. "Für jede Schalserie wird der Webstuhl neu eingestellt und mit Garn bespannt." Dann geht es längs und quer, oder wie es im Fachjargon heißt: "Kette und Schuss". Das hat seinen Preis. 100 bis 180 Euro kostet ein Schal der 56-Jährigen. "Daran arbeite ich aber auch mehrere Stunden", sagt sie.

Zu ihrem Job kam die Handwerkerin auf Umwegen. Nach dem Kunststudium mit der Zielsetzung Lehramt in Hamburg arbeitete sie als Grafikerin. Doch dann entdeckte Ulrike Isensee ihre wahre Leidenschaft, machte eine Ausbildung zur Handweberin und 1992 die Meisterprüfung. Schon 1983 wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit. Damals waren vor allem in alternativ angehauchten Kreisen bei Frauen weite, wallende Gewänder modern. "Da hatte ich gut zu tun", sagt die Weberin.

Dann kam die Zeit mit Stretch und Elasthan und damit der Trend zu enger sitzenden Kleidungsstücken. Ulrike Isensee, die keine Umsatzzahlen nennen will, kann von ihrem Geschäft zumindest gut leben. Sie hat sich auf Schals und Wandteppiche spezialisiert - mit internationalem Erfolg. Ihre Exponate finden sich in Galerien und Geschäften unter anderem in Amsterdam, Barcelona, Basel, Chicago, Wien, Tokio und New York.

"Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hat einen Wandteppich von mir erworben", sagt die Weberin. Auch Trophäen wie den Bochumer Designpreis heimste sie ein. 500 Stammkunden stehen in ihrer Datei. "Von manchen kommen sogar schon die Kinder zu mir."

Dennoch gibt sich Ulrike Isensee nicht zufrieden, besucht seit 1988 überregionale Messen wie die Ambiente und Tendence in Frankfurt, Veranstaltungen in Florenz, München oder London und jedes Jahr die Kunst- und Handwerksmesse im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Die findet im November und Dezember statt. "Kurz vor Weihnachten kaufen die Menschen gerne Geschenke", sagt Isensee. Absolut sommertauglich sind dagegen ihre Fadenschals, deren Herstellungstechnik sie selbst erfunden hat. Ulrike Isensee verbindet Stoffteile, etwa aus Seide, mit Fäden und näht sie luftig zusammen. Am Ende gleichen die bunten Schals einem kleinen Fischernetz, in das sich viele bunte Teile verfangen haben.

"Das macht sonst niemand", sagt die Weberin. Und freut sich auf die Zukunft. Denn in direkter Nachbarschaft wird das da zuvor geschlossene Kino Studio Bernstorffstraße wieder belebt. Ein Programmkino mit anspruchsvollen Filmen und entsprechender Kundschaft. "Das bringt mehr Menschen ins Viertel", sagt Ulrike Isensee und hofft auf weitere Kunden.